: „Wann krieg ich den nächsten Stoff?“
Ellena Jakob war 16 Jahre abhängig von Medikamenten. Es war ein Weg durch alle Phasen der Sucht – bis hin zum Suizidversuch. Danach berappelte sie sich, ließ die Finger davon und hat heute das vergiftete Leben hinter sich gelassen
Schlafmittel, Beruhigungsmittel, Schmerzmittel – beliebig lässt sich die Liste der Medikamente, die Ellena Jakob* täglich einwarf, verlängern. 16 Jahre ihres Lebens bestimmte die Abhängigkeit ihren Alltag. Vor einem Jahr schaffte sie den Absprung: Die 44-Jährige ist seitdem clean.
Der Anfang war klassisch: Ellena Jakob hatte Beziehungsstress. Ihr damaliger Lebensgefährte nahm wenig Rücksicht auf sie: Er arbeitete im Schichtdienst und saß ständig vorm Computer, bis tief in die Nacht.
Zu dem privaten Stress kam, wie so oft, die typische Doppelbelastung: Die damals 28 Jahre alte Berufstätige versorgte zwei schulpflichtige Kinder. Psychosomatische Symptome ließen nicht lange auf sich warten: innere Unruhe, Angstattacken, Herzstolpern. „Anfangs habe ich versucht, das mit Alkohol zu bekämpfen“, erzählt sie. Doch bereits da hatte sie gemerkt: Sie rutscht in eine Abhängigkeit.
Ihr Weg führte sie zur Hausärztin, die ihr Schlaf- und Beruhigungsmittel verordnete. Ein Jahr lang nahm sie die Tabletten. Ihr Körper gewöhnte sich an die Mittel.
Im 4- bis 8-Wochen-Rhythmus erhöhte sie die Dosis – auf Anraten ihrer Ärztin: „Nach einem Jahr habe ich gemerkt, dass ich abhängig bin.“
Schon damals hatte sie Entzugserscheinungen: Sobald sie die Dosis verringerte, hatte Ellena Herzstolpern. Zwar begann sie eine Therapie, doch ihre Probleme verstärken sich: Sie stürzte in eine schwere Bulimie, trieb exzessiv Sport. Weiterhin nahm sie aber Tabletten – immer wieder andere Mittel, immer mehr: Das, was ihr Ärzte verschrieben, reichte nicht mehr. „Sogar am Urlaubsort führte mich mein erster Weg in die Apotheke. Fünfhundert Schlaftabletten, hier ein Pack, da ein Pack, und dann ab in den Safe damit. Papiere und Ausweise konnten offen im Zimmer liegen – Hauptsache, die Tabletten waren im Safe.“ Das klinge makaber, aber erst dann konnte der Urlaub für sie beginnen.
Nach 14 Jahren Abhängigkeit stellte Ellena einen Kurantrag. Er wurde abgelehnt. Begründung: Sie sei nicht oft genug krankgeschrieben gewesen. „Ich bin auf dem Zahnfleisch kriechend zur Arbeit gegangen.“ Soziale Kontakt vernachlässigte sie. Nur ein Gedanke beherrschte ihr Handeln: „Wann krieg ich den nächsten Stoff?“
Vor dem Jahreswechsel zu 2006 beschloss sie davon loszukommen: „Ich hatte mehr Angst vorm Leben als vorm Sterben.“ Ellena machte einen Entzug im Theodor-Wenzel-Werk in Zehlendorf. Anschließend wurde sie nach Hause geschickt. Ihr Antrag, einen Platz in einer Suchtklinik zu bekommen, wurde vom Rententräger nicht schnell genug bearbeitet. „Ich hatte Angst, zurück in meine Drogenhölle zu müssen.“
Elena nahm zu Hause bewusst eine Überdosis. Sie wurde gefunden und danach in eine Klinik eingewiesen. Drei Monate Entwöhnungskur folgten, in denen Ellena ihr Suchtverhalten aufarbeitete und die Entgiftung psychisch verarbeitete– es war die letzte Rettung.
Ein Jahr ist sie jetzt clean. Nicht alle Probleme sind mit einem Mal verschwunden. Aber Ellena hat gelernt, Stress mit anderen Mitteln als Medikamenten zu verarbeiten. Ihre private Drogenhölle, die alte Wohnung, hat sie aufgegeben. Elena steckt voller Tatendrang: Sie zieht gerade um, in eine Dachgeschosswohnung – mit freiem Blick zum Himmel. GITTE DIENER
*Name geändert
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