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TABU UND RECHTSSTAAT: EIN GESETZLICHES INZESTVERBOT IST ÜBERHOLTGeschwisterliebe ist nicht strafbar

Im Strafgesetzbuch wird der Geschlechtsverkehr zwischen Verwandten als „Inzest“ bezeichnet, im Volksmund sagt man oft noch „Blutschande“. Schon dieser Begriff – der stark nach „Rassenschande“ und NS-Jargon klingt – zeigt, dass die Strafbarkeit dieses Delikts überholt ist. Der Fall eines Geschwisterpaars aus Sachsen, das jetzt Verfassungsbeschwerde einlegen will, hat die Frage auch auf die politische Tagesordnung gesetzt.

Begründet wird das Inzestverbot vor allem mit der Gefahr, dass in einer derartigen Beziehung behinderte Kinder entstehen könnten. Das ist schon im Ansatz nicht sehr konsequent – schließlich wird bereits der Geschlechtsverkehr bestraft, nicht erst die Zeugung eines Kindes. Auch Geschwister können verhüten, wenn sie es für erforderlich halten.

Es wäre aber auch archaisch, nur die Zeugung von Kindern innerhalb der Verwandtschaft zu verbieten. Denn in einer humanitär aufgeklärten Gesellschaft gibt es keine Pflicht, behinderte Kinder zu vermeiden. Das Grundgesetz verbietet heute die Diskriminierung von Behinderten.

Auch geistig Behinderte dürfen Kinder bekommen (und werden nicht mehr zwangssterilisiert), nicht einmal für Menschen mit Erbkrankheiten gibt es Beschränkungen. Und Föten, die vermutlich behindert sind, dürfen nicht mehr allein deshalb abgetrieben werden. Es ist daher schwer zu begründen, warum gerade bei Geschwistern die Gefahr von krankem Nachwuchs das strafrechtliche Verbot solcher Verbindungen begründen soll.

Es mag kulturell ungewohnt erscheinen, Sex zwischen Geschwistern zu erlauben. So wie es für viele gewöhnungsbedürftig war, als vor knapp 40 Jahren Homosexualität in Deutschland legalisiert wurde. In vielen anderen Staaten – etwa in Frankreich, den Niederlanden und Portugal – ist Inzest aber nicht strafbar. Möglicherweise ist in Deutschland als erster Schritt eine differenzierte Lösung möglich. Etwa, die Sexualität zwischen Geschwistern zu legalisieren, aber nicht diejenige zwischen Eltern und Kindern: nur um jeden Verdacht zu vermeiden, hier solle sexueller Missbrauch in der Familie enttabuisiert werden. CHRISTIAN RATH

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