mehdorns fluch von CAROLA RÖNNEBURG:
25. Bundesliga-Spieltag, in der vorderen Hälfte des ICE 848 nach Köln/Bonn-Flughafen. Die mir wichtigste Fußballpartie ist bereits am Freitag gelaufen, und so rolle ich am Sonnabend einigermaßen gelassen auf mein Ziel und die „Sportschau“ zu. Dass ich mich nach kurzer Begrüßung vor den Fernseher setzen werde, wird von meiner Gastgeberin nicht nur akzeptiert, sondern tatkräftig unterstützt. Die Freundin wird kein Spielergebnis vorab ausplaudern, mehr noch: „Bier kalt, Cava auch“, meldet sie per SMS, „Abendessen: gebratene Artischocken, Entrecôte mit Topinambur-Kartoffelpürree.“ Das Leben ist herrlich …
Auch sonst stimmt alles: Ich sitze allein an einem Vierertisch, schräg gegenüber liest ein Mitreisender einen Roman. Niemand telefoniert, niemand hört Musik – nahezu geräuschlos sausen wir voran. Allein die sanfte Stimme der Zugchefin schaltet sich dann und wann zu: „Sehr geehrte Fahrgäste, in wenigen Minuten erreichen wir Bielefeld Hauptbahnhof. Sie haben Anschluss an den IC 2140 nach Gütersloh …“
Eine neue SMS trifft ein: „Spät dran? Soll ich dich abholen?“ D-a-n-k-e, tippe ich ungelenk zurück, „nicht nötig!“ Schließlich komme ich um 18 Uhr in Düsseldorf an und muss dann nur in die Straßenbahn umsteigen. Ein bisschen lesen, den Fortgang der Weißdornblüte beobachten – schon hält der Zug in Hamm. „Sehr geehrte Fahrgäste …“ Ich weiß. Der Zug wird hier geteilt, „nach kurzem Aufenthalt“ geht es weiter. Heute jedoch nicht. Heute verlängert sich der Aufenthalt über Gebühr. Warum heute? Gaaanz ruhig. Die Straßenbahn fährt alle fünf Minuten, ich werde rechtzeitig bei Frau Freundin eintreffen. Außerdem, so die aufmunternden Worte der Zugchefin, überspringt der Zug wegen Bauarbeiten die nächste Station. Das macht sicher wieder Zeit wett.
Oder auch nicht, denn die Nebenstrecke führt weit in die Weißdornblüte des Ruhrgebiets hinein. Ich könnte selbstverständlich auch ein Taxi nehmen. Bis halb sieben wäre ich bestimmt am Ziel. Eventuell muss die Begrüßung noch etwas kürzer ausfallen. Man wird sehen.
Entwarnung: Im lieblichsten rheinischen Dialekt verkündet Mehdorns Mitarbeiterin des Monats, dass nun Duisburg in wenigen Augenblicken und mit nur vier Minuten Verspätung erreicht werde. Und was sind schon vier Minuten?
Doch erneut sprotzelt der Lautsprecher. Welche Hiobsbotschaft erwartet uns – ein Triebwagenschaden, umgestürzte Bäume, marode Weichen? Nein, ein Service der Deutschen Bahn:„Sehr geehrte Fahrgäste, und hier die Ergebnisse der Fußball-Bundesliga“, blökt die vermaledeite Schafsnase von Zugchefin. „Neiiin!“, kreische ich entsetzt und stopfe mir die Finger in die Ohren („Hannover 96 – Schalke 04: eins zu eins!“), doch selbst bei gleichzeitigem, verzweifeltem Gegenansingen („lalalala“) unter den irritierten Blicken des mitreisenden Romanlesers fräst sich jedes Wort („Borussia Mönchengladbach – Hertha BSC: drei zu eins!“) in meine Gehörgänge („VfL Bochum – Borussia Dortmund: zwei zu null!“; sogar, als es mir gelingt, mit dem Kopf in meinen schalldämpfenden Rucksack zu tauchen. Eine Viertelstunde später bin ich pünktlich in Düsseldorf. Hurra.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen