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Auch Bremen wollte Kurnaz nicht zurück

Der Bremer Innensenator hat aus eigener Initiative versucht, die Einreise von Kurnaz für den Fall seiner Freilassung zu verhindern. Wichtigstes Ergebnis der Akteneinsicht: Auch die USA wussten nur das über Kurnaz, was aus Bremen kam

Aus Bremen Klaus Wolschner

„Es gibt keinerlei belastbare Aussagen gegen Kurnaz über irgendwelche terroristischen Aktivitäten“, das ist das Fazit des grünen Innenpolitikers Matthias Güldner, nachdem er gestern in Bremen mehrere tausend Aktenseiten von Verfassungsschutz und Landeskriminalamt zum Fall des Ex-Guantánamo-Häftlings gesichtet hat. Stundenlang haben die drei Bürgerschaftsabgeordneten, die in der Parlamentarischen Kontrollkommission des Verfassungsschutzes (PKK) sitzen, Akten gelesen. Güldner hatte umfassende Akteneinsicht zum Fall Kurnaz beantragt, seine beiden Kollegen von SPD und CDU hatte sich angeschlossen.

Der SPD-Abgeordnete Hermann Kleen erklärte nach der Lektüre, aus den Akten werde deutlich, dass auch das BKA über keine anderen Informationen verfügte als die aus Bremen gelieferten: „Die Bundesregierung hatte keine eigenen Erkenntnisse über Kurnaz.“ Das bedeutet im Umkehrschluss: Das Handeln der rot-grünen Bundesregierung gegenüber dem Guantánamo-Häftling basierte auf den Bremer Erkenntnissen. Und das waren, so Kleen, „eher Gerüchte als Dokumente“. Sowohl die deutschen Beamten, die Kurnaz im Oktober 2002 in Guantánamo besucht und vernommen haben wie auch die US-Stellen kamen zu der Ansicht, dass Kurnaz keine handfesten Vorwürfe zu machen waren.

Für eine mögliche Vernehmung in Guantanamo hatte Bremen im Mai 2002 einen „Fragenkatalog“ nach Berlin weitergegeben, erklärte der Sprecher des Innensenators Thomas Röwekamp. Offenbar sind diese Fragen in Guantánamo gestellt worden – jedenfalls hat sich Kurnaz-Anwalt Bernhard Docke später gewundert, woher die US-Stellen spezielle Bremer Informationen gehabt haben könnten.

Die wichtigste Erkenntnis für ihn, sagt Güldner, sei es gewesen, dass auch die USA keine wesentlichen eigenen Erkenntnisse hatten, sondern sich auf das stützten, was sie aus Deutschland geliefert bekommen hatten.

Obwohl gegen Kurnaz nichts vorlag, hat die Bremer Innenbehörde seit Mai 2004 daran gearbeitet, die Rückkehr von Kurnaz nach Bremen im Falle seiner Freilassung zu verhindern. Den Anstoß dazu hatte unfreiwillig der Bremer Senatssprecher Klaus Schloesser gegeben, der bei seinem Kollegen im Innenressort nachfragten, ob man auf das Szenario: Kurnaz kommt frei – großer Presserummel in Bremen vorbereitet sei.

Der Sprecher des Innensenators, Markus Beyer, hat dies als Frage nach dem Aufenthaltsstatus verstanden und die Fachabteilung des Innenressorts fand die Stelle im Ausländergesetz, nach der Kurnaz sein Aufenthaltsrecht verwirkt hat, weil er sich länger als sechs Monate im Ausland aufgehalten hatte.

Dass diese Strategie schon 2002 in Berlin festgelegt worden war, wusste man in Bremen nicht, sagt Behördensprecher Beyer. Die Handakte des Bremer Innensenators zum Fall Kurnaz zu den Vorgängen bis 2003 ist verschwunden.

Keinen Hinweis gebe in es den Akten, erklärt der Sprecher des Innensenators, dass schon im Januar 2002 – als Kurnaz in Kandahar im Lager festgehalten und auch von deutschen KSK-Leuten besucht worden war – Informationen aus Bremen von Bundesstellen abgefragt worden seien. Die Frage stellt sich, auf welcher Informationsgrundlage die US-Stellen Kurnaz nicht freigelassen haben wie andere Kandahar-Inhaftierte, sondern als gefährlich einstuften und nach Guantánamo mitnahmen. Der Bremer Verfassungsschutz hatte damals jedenfalls nichts in seinen Akten über Kurnaz. Die belastenste Aussage hatte die Mutter von Kurnaz gemacht, als im Oktober 2001 ihr Sohn verschwunden war und die der Bremer Kripo aufgeregt erzählte, er habe sich immer mehr radikalisiert, einen Bart wachsen lassen und dass sie Angst habe, dass er sich islamischen Kämpfern anschließen werde. Kenntnisse des Landeskriminalamtes könnten auch an Bundesstellen gelangt sein, ohne dass Bremer Behörden sie offiziell weitergegeben haben, erklärte Beyer – Bundesstellen eben auch Zugriff hätten auf Bremer Kripo-Computer.

Noch im November 2005, wenige Tage vor der Wahl der neuen Kanzlerin Angela Merkel, ist ein Beamter des Innenministeriums nach Bremen gekommen. Berlin habe „kein Interesse an einer Wiedereinreise“ von Kurnaz gehabt, sagt Bremens Innensenator. Er rechnete offenbar damit, dass das Verwaltungsgericht den Entzug der Aufenthaltsgenehmigung als rechtswidrig erklären würde und verständigte sich darauf, eine Ausreiseverfügung wegen des Terrorismus-Verdachts vorzubereiten. Noch am 16. Dezember 2005 schrieb der Bremer Verfassungsschutz dazu ein Dossier. In Wahrheit gab es aber keine hinreichend harten Vorwürfe.

Und im Innenministerium zog nach dem Regierungswechsel Wolfgang Schäuble ein. Der Bremer Innensenator akzeptierte schließlich das Verwaltungsgerichtsurteil und ging nicht in die Berufungsinstanz.

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