piwik no script img

Küssende Goths, tanzende Gays und ein warmes Schwarz

ORANIENSTRASSE Das SO36 ist eine Punklegende, die nie stehen geblieben ist, EA80 sind eine Punklegende, die nie aufgehört hat. Am Donnerstag feierte man das Doppeljubiläum „35 Jahre EA80 – 36 Jahre SO36“

Die Gala, das Buch, die Schau

■ Die Gala: Am Anfang war das zweitägige „Mauerbau-Festival“, mit dem das SO36 am 11. August 1978 eröffnet wurde. Die Mauer gibt es längst nicht mehr, und sie brachte es auch nur auf 28 Jahre, womit das SO36 schon jetzt einen deutlich längeren historischen Atem bewiesen hat. Das wird dieser Tage mit einer Festwoche gefeiert, die am heutigen Samstag mit der großen Gala „36 Jahre SO36“ ihren Abschluss findet. Einlass ist ab 21 Uhr, der Eintritt beträgt 3,60 Euro.

■ Das Buch: Weil sich in 36 Jahren auch einige Legenden und Geschichten ansammeln, die man der Nachwelt erhalten will, soll es ein Buch geben. Vergangene Woche hat man die Crowdfundingkampagne für das Buch gestartet. Bei einem Unterstützerbeitrag von 50 Euro etwa gibt es einen von WestBam signierten SO36-Einkaufsbeutel. Mehr auf www.startnext.de/so36

■ Die Schau: In der Galerie Krüger und Knoth (Oranienstr. 188) ist täglich ab 16 Uhr eine Ausstellung mit Fotos, Audio- und Videoinstallationen sowie Gegenständen aus 36 Jahren SO36 zu sehen. Wer Reliquien aus dem SO36 besitzt, ist eingeladen, sie dort auszustellen. (tm)

VON JENS UTHOFF

SO36, das (ugs. auch nur SO, die Betonung liegt auf dem ersten Vokal): Vor 36 Jahren gegründeter Club auf der ->Oranienstraße, Institution der Kreuzberger ->Subkultur, benannt noch dem einstigen Zustellbezirk Südost 36. Kennt jeder, war schon jeder, wichtiger für Berlin als das ->Brandenburger Tor.

EA80, der/die/das: deutschsprachige Punkband aus ->Mönchengladbach am ->Niederrhein, die 1980 ihren ersten Auftritt hatte und seither 12 Alben veröffentlicht hat. Wichtiger Einfluss für viele spätere Bands von Punk bis Hamburger Schule. Spielen seit vielen Jahren in der Besetzung Junge (Gitarre/Gesang), Oddel (Bass), Hals Maul (Gitarre), Nico (Schlagzeug). Konstanter als ->Borussia Mönchengladbach.

Zwei große Menschentrauben haben sich auf der Oranienstraße gebildet. Vor dem Franken und dem benachbarten Späti stehen Dutzende Altpunks mit blondierten, stacheligen Haaren in schwarzen Lederwesten. Gegenüber weitere gut hundert Leute. Schwarz gekleidete Gothic-Typen, Oi-Skins, Kapuzenpulli-Träger. Nieten und Tattoos sind zu betrachten, Letztere oft nicht gerade frisch gestochen. „Hat noch einer ’n Ticket?“, hört man jemanden rufen. Touristen drängen sich dazwischen durch.

„Party Time!“, steht über der Eingangspforte des SO36, das gerade seinen 36. Geburtstag feiert. Ein rotes Herz mit etwas Plüsch hängt auch über dem Eingang; das Herz hat einen Mund, das in das Logo des Clubs zu beißen scheint. 36 Jahre, ein Kreuzberger Jubiläum. So lange gibt es diesen Laden bereits, ein deutschlandweiter Mythos und einer der wenigen noch existierenden Veranstaltungsorte aus der Frühzeit des Punk. Mit EA80 ist am Donnerstagabend eine Band zu Besuch, die sich bestens als Gratulant eignet: Noch so eine Konstante aus der Zeit des frühen deutschen Punk, die schon so einige Male im SO gespielt hat. Der Abend steht unter dem Motto „35 Jahre EA80 – 36 Jahre SO36“.

„Das SO ist einzigartig“, sagt Elin, die vor dem Konzert draußen auf der Oranienstraße steht, „dass es überhaupt bis heute überlebt hat, ist ja schon unglaublich.“ Sie spricht vom Clubsterben, vom Wandel Kreuzbergs und der O-Straße. Ist die Band für sie ein besonderer Gast? „Auf jeden Fall, EA80 ist für mich eine der wichtigsten Bands. Es ist so geil, dass ich die jetzt noch mal sehen kann.“ Elin trägt schwarze Klamotten. Silberschmuck blitzt im Gesicht auf und baumelt über dem Dekolleté; die 30-Jährige hat eine lila Strähne im schwarzen Haar. „Sollen wir rein?“ Elins Freunde wollen los.

Das erste Bild drinnen: ein knutschendes Goth-Pärchen. Irgendwie 80er. Er mit schwarz gefärbten, hochtoupiertem Strubbel-Iro, Muscle-Shirt, Narben und Wunden auf den Armen. Sie mit schwarzen langen Haaren. Ja, schwarz ist irgendwie die Farbe des SO (und auch die von EA80), die Wände des langen, schlauchartigen Raums, in dem an diesem ausverkauften Abend gut 800 Leute Platz finden, sind ebenfalls schwarz. Ein warmes Schwarz, falls es so etwas geben sollte.

„Wir sind EA80 und der erste Song heißt ‚Alle Ziele‘!“ Los geht’s, eins-zwei-drei-vier. Junge, Sänger und Gitarrist von EA 80, kündigt das erste Lied (eigentlich „Alle Richtungen“) an. Er singt: „Nichts war mehr deutlich, nichts mehr sicher, nichts mehr wahr / letztendlich nur eine Frage, wo man gerade steht / von wo aus sich erklärt, wohin die Welt sich dreht“. EA 80 haben sichtlich Bock, Junge hüpft mit der Gitarre rum, auch wenn er mit seinem Gitarrengurt im Laufe des Abends noch Probleme hat.

Eine Stagediverin wird von Sänger Junge zur Seite gestoßen („Ich hasse Stagediven als Institution“), bei rhythmischem Klatschen wird’s der Band zu kitschig. Sie unterbrechen den Song

Der Sound rumpelt erst noch ein bisschen, mit der Zeit gibt sich das – oder man hört es einfach nicht mehr. Die Band wummert sich durch Lieder aus allen Schaffensphasen. „Vor dem Untergang“ wird das Geburtstagslied für das SO. Die Luft wird stickiger, schweißgetränkter; das ist die SO36-Luft, die man kennt. Vorne pogt man, hinten wippt man, knappe zwei Stunden lang. Und, auch das sind EA80: Eine Stagediverin wird von Sänger Junge zur Seite gestoßen („Ich hasse Stagediven als Insitution“), bei rhythmischem Klatschen wird’s der Band zu kitschig. Sie unterbrechen den Song.

So konsequent seinen Weg gegangen wie die Band ist auch das SO. Es hat sich gewandelt: Mit Gayhane, dem schwullesbischen Abend, der von der türkischen Community mit initiiert wurde, haben sie heute ein wohl einzigartiges Format in der Queer-Szene. „Das find ich halt das Geile, du hast an einem Abend ein Konzert von Agnostic Front [New Yorker Proll-Hardcore-Band, d. Red.] und am nächsten Gayhane“, sagt Myriam Kandulski, die seit etwa 20 Jahren hier Konzerte organisiert und nun in dem Kassenhäuschen sitzt, das von außen mit Aufklebern, Spuckis und Postern zugeklebt ist. „Wir werden immer auf Punk oder heute auch Queer festgelegt, dabei vergisst man, was es hier sonst noch alles gibt“, sagt sie. Hier spielten etwa auch Freundeskreis oder Marianne Rosenberg, das SO ist kein Konzertort, der sich selbst Fesseln auferlegte. „Eine Legende“ nennt man das SO heute. Sagt man „Legende“, meint man oft angestaubte Institutionen, die ihre Kraft nur aus der Vergangenheit ziehen. Das SO36 aber ist nie stehen geblieben, das ist das eigentlich Bemerkenswerte.

Gegen halb eins gruppieren sich die Leute wieder draußen auf der O-Straße. Vor dem Späti legt ein DJ auf. Ein Flaschensammler hat inzwischen geschätzt gute vier Kästen beisammen. Von irgendwo grölt einer: „Scheiß Anarchie“. Es kann noch einiges passieren hier.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen