: Berlins neue Gasse
ARCHITEKTUR Lange war es die größte Baustelle in der Stadtmitte, jetzt ziehen die ersten Mieter ins Hackesche Quartier ein: Gasag, Scholz & Friends und zahlreiche teure Läden. Mit dem neuen Viertel gelingt der städtebauliche Sprung über das S-Bahn-Viadukt. Aber die Architektur einer Metropole ist es nicht
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Möbelwagen fahren vor, es wird gehämmert, geschraubt und gepflastert. Man ist beim letzten Schliff. Trotzdem haben die Kellner am Garnisonkirchplatz Stühle und Tische vor das kleine Restaurant gestellt. Sie haben das neue Hackesche Quartier bereits eröffnet.
Die größte Baustelle in der Berliner Mitte steht vor der Fertigstellung, die kompakten Gebäude des Hackeschen Quartiers zwischen Museumsinsel und Hackeschem Markt werden bezogen. Zu dem Mietern zählt der Energieversorger Gasag, der dafür das berühmte Shell-Haus (1932) von Emil Fahrenkamp am Reichpietschufer verlässt. Auch die Kommunikationsagentur Scholz & Friends zieht in die Nachbarschaft. Die Ostseite des insgesamt 36.600 Quadratmeter Raum bietenden Doppelblocks für Büro- und Ladenflächen nutzt die Hotelkette Adina für 145 luxuriöse Apartments. Daneben werden Restaurants, Feinkostgeschäfte, Coffee Bars und Boutiquen hergerichtet.
Man gibt sich exklusiv, exklusiv sind auch die Mieten. Das Immobilienunternehmen Engel & Völkers, das für den Bauherrn, die Bonner Immobilien AG, die Flächen vermarktet, bietet diese „im obersten Segment“ an. „1-A-Flächen“ kosten dort für den Einzelhandel zwischen 40 und 80 Euro pro Quadratmeter. Büroflächen sind zwischen 18 und 25 Euro pro Quadratmeter zu haben.
Man kann an diesem Standort so viel Geld nehmen. Das Quartier rund um den Hackeschen Markt zählt zu den beliebtesten Vierteln Berlins. Die Gegend lebt vom Mythos der dicht bebauten historischen Hackeschen Höfe und von der Realität teurer Adressen. Kinos und Kabaretts, Verlage, Musik- und Modelabels, Galerien und Stiftungen residieren hier. Die Gegend ist nur ein Steinwurf weit entfernt von der Museumsinsel. Sie ist Touristenmagnet, Ausgeh- und Inviertel zugleich. Also schick.
Dass angesichts eines solchen genius loci das Risiko der IVG Development, 160 Millionen Euro zu investieren, überschaubar schien, ist evident. Nichtsdestotrotz barg die städtebauliche Ausgangslage einige Schwierigkeiten. Das 11.000 Quadratmeter weite Grundstück ist vom Hackeschen Markt durch das Bahnviadukt abgeschnitten. Bis 2009 bildete es eine stadtbekannte Brache, über die sich quer eine Straße bis zur Unterführung an der Spandauer Brücke schlängelte. Plattenbauten, Hochhäuser und Brachen bestimmten das Umfeld in der „Linse“ zwischen dem Viadukt, der Spandauer und der rückseitigen Karl-Liebknecht-Straße.
Dass die Einbindung des neuen Viertels in das Quartier rund um den Hackeschen Markt gelang, beruht auf einem Trick. In ihrem städtebaulichen Masterplan hoben die Architekten Müller/Reimann, die auch das neue Außenministerium gebaut haben, den alten Straßenverlauf auf und führten diese um den Block herum. Während sie in Richtung Spandauer Straße den Bezug zu den sozialistischen Blöcken weitgehend ignorierten, dockten sie das neue Ensemble eng an das Bahnviadukt und die Bebauung vis-à-vis zur Museumsinsel an.
Ebenso wie die Bahntrasse sind auch die Blockränder leicht geschwungen. Damit werde das Projekt „in den Stadtraum integriert“, wie Ivan Reimann erklärt. Die S-Bahn-Bögen bilden keine Grenze mehr, sondern erfüllen mit ihren Kneipen, Geschäften, Durchgängen sowie dem S-Bahnhof eine „Scharnierfunktion“ zwischen Hackeschem Markt und Hackeschem Quartier. Quasi durch diesen Sprung über das Viadukt vergrößert sich der Hackesche Markt aufs Doppelte.
Das neue Quartier selbst teilten die Architekten in zwei voneinander getrennte Häuserblocks. Zwischen diese schiebt sich diagonal eine Fußgängergasse. Die Gasse zwischen den beiden Blöcken funktioniere wie eine Düse, die die Fußgänger „ansauge“, so Reimann. An beiden Enden der Gasse weitet sich jeweils ein Plätzchen – der Litfaß- und Henriette-Herz-Platz –, um den städtischen Charakter des Quartiers zu betonen.
Genau damit beginnt das Problem der Planung. Ein Manko ist, dass dem richtigen städtebaulichen Schritt nach Norden und hinüber zum DGB-Haus kein gleicher in Richtung Spandauer Straße/Rochstraße und besonders keiner in der Architektursprache gefolgt ist. Nach Süden und Osten dockt das neue Viertel nicht an den Bestand an, sondern erzeugt eine neue Grenzsituation. Zudem ist die Architektur in Teilen mutlos und vergleichsweise provinziell.
Abgesehen von dem schwarzen Block am Litfaßplatz 1 (Müller/Reimann) und Ernst/Grüntuchs wilder Fassade am Garnisonkirchplatz erinnern die Architekturen an jene aus den Zeiten des früheren Senatsbaudirektors Hans Stimmann. Müller/Reimann haben die beiden Blöcke in sieben Einzelgebäude aufgegliedert. Drei Berliner Büros (Grüntuch/Ernst, Weinmiller Architekten und Müller/Reimann) entwarfen dafür die Bauten. Durch die Beteiligung von mehreren Planern sollte ein Eindruck einer differenzierten Struktur, hoher Dichte und unterschiedlicher Materialität der bis zu 30 Meter hohen Gebäude entstehen. Von außen gesehen stimmt dieser Eindruck unterschiedlicher Adressen, innen und in den Tiefgeschossen sind die Gebäude zum Teil aus einem Guss.
Dem schwarz linierten Glaspalast mit einem weiten Atrium für Scholz & Friends folgen östlich ein Büro- und der Hotelbau sowie das steinerne Eckhaus von Gesine Weinmiller. Auf der Westseite reihen sich neben dem langen roten Backsteingebäude für die Gasag drei Häuser mit Glasfassaden und aus unterschiedlicher Materialität. Dies ist ein Spiegel der sogenannten Berliner Kleinteiligkeit, wie man sie vom Pariser Platz über den Friedrichswerder bis hinein nach Mitte und aus Stimmanns „Planwerk Innenstadt“ kennt. Noch heute geistert das Planwerk durch Berliner Bauköpfe – etwa bei der Vorstellung, das Marx-Engels-Forum mit barock anmutenden Häuschen zu gestalten.
Das Hackesche Quartier folgt diesem Leitbild aus den 90er Jahren – wohl weil Mittes SPD-Stadtbaurat Ephraim Gothe ein großer Befürworter solcher Pläne ist. Der einstige persönliche Referent Stimmanns sieht in dem „hochurbanen Projekt, das nicht nur eine Sprache spricht“, und durch seine kleinteilige Struktur, die sich an kleinen Häusern der Altstadt orientiere, die richtige Reaktion auf die Wiederherstellung der historischen Stadtgestalt.
Aber ist Berlin nicht mehr als seine – verschwundene beziehungsweise vernichtete – Altstadt? Gerade in der Mitte der Stadt, an solch prominenter Stelle, wäre es die Pflicht der Masterplaner gewesen, dass ihr Konzept eine Antwort findet auf die Frage, wie auf den Bestand des sozialistischen Städtebaus zu reagieren ist. Vielleicht hätte dies weiter dazu geführt, dem Ensemble eine stärkere Dimension zu verpassen. Andere Großstädte statten ihre Zentren längst wieder mit wirklich metropolitanen Architekturen aus. Aber Berlin ist baulich noch immer nicht Hauptstadt.
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