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„Die Ärzte sind aufgeschreckt“

Bremens erster Drogenberater über die Fehler bei Einführung des Methadon-Programms, das unterschätzte Alkoholproblem und die Folgen des Todes von Kevin bei Drogenhelfern und Ärzten

Interview EIKEN BRUHN

taz: Herr Peruzzo, eine von freien Trägern selbst erarbeitete Leitlinie soll deren Drogenberater daran erinnern, dass ihre KlientInnen auch Kinder haben könnten. Hatten Sie die vorher nicht im Blick?

Alexandre Peruzzo, Ambulante Drogenhilfe Bremen gGmbH: Doch natürlich. Wir haben zwei Kolleginnen, die seit zehn Jahren fast nur mit diesen Frauen arbeiten, sie einmal die Woche zu Hause besuchen und den Kontakt zu den Familienhebammen halten. Bis vor zwei Jahren waren das übrigens doppelt so viele, aber sie wurden eingespart.

Und die kennen alle Drogenabhängigen mit Kindern?

Fast alle. 2006 gab es in Bremen 20 Neugeborene von drogenabhängigen Müttern, 18 davon waren bei uns in kontinuierlicher Betreuung. Alle unsere Kollegen kucken auf die ganze Familie.

Dann braucht es die Leitlinie gar nicht?

Doch, sie ist gut, um das Kindeswohl nicht aus den Augen zu verlieren. Das passiert aber eher im niedrigschwelligen Bereich, im Streetworking, nicht so sehr hier in der Beratung, wo die meisten den Ausstieg aus der Szene und der Sucht wollen.

Wie stellen Sie sicher, dass Sie das Kindeswohl nicht vergessen?

Durch Supervision. Dort fällt auf, wenn jemand eine dicke Haut entwickelt hat und zu tolerant wird, etwa eine Frau mit ihrem Kleinkind auf dem Drogenstrich sieht und nicht eingreift.

Viele KollegInnen arbeiten schon sehr lange im Drogenhilfebereich. Wie bleibt man nach 20 Jahren noch frisch?

Gut wäre, wenn es mehr Möglichkeiten geben würde, den Arbeitsplatz zu wechseln. In Niedersachsen kann man halbtags in der Beratung und halbtags in der Therapie arbeiten, weil diese Bereiche nicht wie in Bremen getrennt sind. Und ohne Fortbildung geht es bei so einer schwierigen Arbeit nicht. Im öffentlichen Dienst gab es da keine Verpflichtung dazu. Ich glaube, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die wir aus dem Amt übernommen haben, sind uns ganz dankbar dafür, dass wir so großen Wert darauf legen.

Drogenabhängigkeit und Elternschaft schließen sich aus, sagen die Politiker. Was halten Sie von diesem Credo?

Dann müsste man eigentlich jeder drogenabhängigen Frau zum Abbruch raten oder direkt nach der Geburt das Kind wegnehmen! Nein, das kann es nicht sein, nicht ohne Grund. Allerdings ist es eine Risiko-Konstellation, die intensiv begleitet werden muss und im Zweifelsfall soll lieber ein Kind zu viel fremdplatziert werden als eines zu wenig. Was in der derzeitigen Debatte unter den Tisch fällt, ist der Zusammenhang zwischen Alkoholismus und Kindeswohlgefährdung, vor allem sexueller Missbrauch spielt da eine große Rolle. Das sind noch ganz andere Dimensionen als bei Drogenabhängigkeit.

Welche Folgen hatte der Tod von Kevin für Ihre Arbeit – außer besagter Leitlinie?

Es gibt jetzt endlich einen Fachbeirat, der die Umsetzung der zwei Jahre alten fachlichen Weisung zum Umgang mit substituierten Eltern kontrolliert. Das heißt, dass wir viel enger mit den anderen Beteiligten kooperieren, mit Kinderärzten, Bewährungshelfern, Familienhebammen, dem Jugendamt.

Und den substituierenden Ärzten?

Die gehören auch dazu. Zusätzlich sitzen wir jetzt einmal im Monat in deren Qualitätszirkel. Die Ärzte haben ein großes Interesse an der Zusammenarbeit mit uns, offenbar aufgeschreckt durch den Fall Kevin. Die schicken uns jetzt plötzlich Patienten mit resoluten Auflagen, dass sie mit uns reden müssen, auch über Therapien und Ausstiegsoptionen, sonst würden sie nicht mehr behandelt. Nachdem sie jahrelang den Patienten die Entscheidung überlassen haben, ob sie das wollen.

Eine positive Entwicklung für Sie, oder?

Natürlich. Aber wir haben jetzt das Problem, dass wir zu wenig Personal für zu viele Klienten haben und diese bis zu drei Wochen warten lassen müssen.

Warum haben die Ärzte das nicht schon früher gemacht?

In Bremen wurde die Methadon-Substituierung damals sehr schnell und konzeptlos den niedergelassenen Ärzten überlassen, ohne das zu steuern und eine bedarfsdeckende psychosoziale Begleitung zu finanzieren. Das hatte ordnungspolitische Gründe: Im Viertel gab es ein großes Problem mit Junkies, das gab ein desolates Bild ab. Mit Methadon waren die Leute ruhig und das Problem schien erledigt. Bremen hat im übrigen die höchste Substituierten-Quote Deutschlands und das niedrigste Angebot an Begleitung.

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