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Als der Zirkus den Maulwurf jagte

HAUPTSTADT Wikileaks enthüllt im Dezember Berichte von US-Diplomaten. Eine Quelle der Amerikaner ist Helmut Metzner, der Büroleiter des FDP-Chefs. Für eine Woche wird das die Mediensensation: Spitzel! Spionage! Wie ein Mensch seine Laufbahn und seine zweite Familie verlor

Wikileaks-Affäre 2010

■  Die US-Depeschen: Wikileaks, die Enthüllungsplattform im Internet, veröffentlichte Ende November 2010 Dokumente des US-Außenministeriums: 250.000 vertrauliche Berichte, die US-Diplomaten aus dem Ausland nach Washington geschickt hatten. Die Diplomaten wurden unfreiwillig teils sehr undiplomatisch zitiert, das Außenministerium stand als undichte Behörde da („Wikileaks-Affäre“, „Cablegate“).

 Die Berichte aus Berlin: Angela Merkel wird in den Depeschen beispielsweise als „selten kreativ“ beschrieben, Guido Westerwelle als „inkompetent“ und „eitel“. Es fanden sich auch Informationen zu den Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und FDP im Herbst 2009. Sie waren in die Unterlagen gelangt, weil sie der FDP-Mitarbeiter Helmut Metzner an Philip Murphy, US-Botschafter in Deutschland, weitergegeben hatte. Die US-Diplomaten stuften die Informationen zwar als geheim ein, doch es handelt sich vor allem um Dinge, die auch in den Zeitungen standen – und nicht um Staatsgeheimnisse. So hieß es etwa über Guido Westerwelle: „Er wird, wenn er direkt herausgefordert wird, aggressiv und äußert sich abfällig über die Meinungen anderer Leute.“ Im Haifischbecken Berlin nicht gerade eine Sensation.

VON MATTHIAS LOHRE

Wenn dieser kleine Mann ins Plaudern gerät, kommt viel zusammen. In einem Atemzug spricht er von Demütigungen durch die Medien, von der geliebten FDP und einem blau-gelben Hasenkostüm. In fast jeden Satz baut er einen Scherz ein, und häufig findet er allein ihn lustig. Dann lacht er ein Lachen, das an Donald Duck erinnert, ein eckiges „He, he, he“. Eigentlich gibt Helmut Metzner eine miserable Besetzung ab für die Rolle des geheimnisvollen Informanten. Trotzdem haben die Medien ihn als „FDP-Maulwurf“ bekannt gemacht, als einen, der womöglich Geheimes ausplauderte und den Außenminister in Bedrängnis brachte. Schaut man genau hin, geht es in dieser Geschichte nicht um Spionage. Es geht um Macht, eine Partei in Panik und Medien im Rausch.

Montag, 29. November 2010. Für Helmut Metzner beginnt die Geschichte damit, dass er den Spiegel sucht. Es ist 8.50 Uhr, und die Parteizentrale der FDP in Berlin-Mitte, hat kein Exemplar bekommen. Dabei soll es in der Titelgeschichte auch um die FDP gehen, hat Metzner gehört. Er läuft durch die Winterkälte zum Kiosk um die Ecke. Auf dem Magazin-Titel prangt „Enthüllt. Wie Amerika die Welt sieht – Die Geheim-Berichte des US-Außenministeriums“. Köpfe deutscher und internationaler Politiker sind zu sehen, darunter Merkel, Sarkozy und Putin. Auch der Mann, dessen Parteivorsitzendenbüro Metzner seit fünf Monaten leitet: Guido Westerwelle.

Die Spiegel-Geschichte, wird Metzner später sagen, habe er an diesem Morgen nur überflogen. Keine Zeit, weil er schon ab 9 Uhr teilnahm an den Sitzungen von Präsidium und Bundesvorstand seiner Partei. Keine Zeit, darüber nachzudenken, wer dieser „geheimnisvolle Informant“ sein soll, der als „Protokollant“ eifrig „Interna schwarz-gelber Koalitionsabsprachen im Oktober 2009 an die Amerikaner“ weitergab, wie das Magazin schrieb. Keine Zeit, sich zu fragen, ob vielleicht er selbst gemeint sein könnte. Keine Zeit? Ahnte er an jenem Morgen wirklich nichts von der Sprengkraft, die diese Zeilen für die FDP hatten und für ihn? Ahnte er nicht, dass ein medialer Sturm aufkam, und dass er direkt auf ihn zuraste?

Helmut Metzner bestellt einen Darjeeling. Er hat viel zu erzählen. „Ich bin Anfang vierzig“, sagt er. „Für die Amerikaner heißt ‚jung und aufstrebend‘ etwas anderes als für Deutsche.“ Für die Mitarbeiter der US-Botschaft, die Zusammenfassungen der Gespräche mit ihm nach Washington schickten, mag er ein junger Aufsteiger gewesen sein. Aber gemessen an anderen Politkarrieren in Deutschland? „Ich fühlte mich nicht angesprochen“, sagt Metzner. Seine Stimme ist hell, statt der im Dezember berühmt gewordenen Fliege trägt Metzner eine Krawatte. Samstag bis Donnerstag sind Fliegentage, aber Freitag ist Krawattentag. Helmut Metzners Exzentrik hat ihre Ordnung.

Der Sturm, der ihn erfasste, hat ihn fortgetragen aus der FDP-Zentrale in Berlin-Mitte. Nun, einige Monate später, sitzt er nur wenige Kilometer westlich, in einem gediegenen Café in Berlin-Charlottenburg. Er blickt zurück auf das, was er verloren hat: seine politische Heimat, seine Karriere, seine Kollegen.

Metzner versucht, das Geschehene zu rationalisieren. Seine Erlebnisse unterteilt er in Daten, eine Abfolge von Schriftwechseln, Pressemitteilungen und Zeitungsberichten. Aber rational lässt sich das, was in der ersten Dezemberwoche 2010 geschehen ist, nur bedingt erklären.

An jenem Montag, an dem der Spiegel erstmals über die Diplomatendepeschen berichtet, tritt Guido Westerwelle gegen 13.30 Uhr im Thomas-Dehler-Haus vor die Presse. Er bemüht sich, die Wikileaks-Geschichte kleinzureden, spricht von seiner bevorstehenden Reise zum EU-Afrika-Gipfel in Tripolis. Für die Hauptstadtjournalisten ist Libyen zu diesem Zeitpunkt nur eines dieser Länder, über die nichts zu wissen auch nichts schadet. Als Journalisten ihn auf den „Protokollanten“ ansprechen, sagt der Parteichef: „Ich glaube diese Geschichte so nicht.“ Zudem: Was der Spiegel als sensibles, an die USA verratenes Insiderwissen verkaufe, entspreche eher dem Stand von „Zeitungskommentaren“. Westerwelle setzt ein Lächeln auf, das Gelassenheit ausstrahlen soll und schüttelt den Kopf: „Das ist so unbedeutend.“

Intern ist die FDP-Führung dagegen aufgescheucht. Rainer Brüderle schlägt vor, von allen infrage kommenden Mitarbeitern eidesstattliche Versicherungen zu verlangen. Westerwelle lehnt ab. Die eigenen Parteifreunde – schuldig bis zum Beweis des Gegenteils? Schließlich kündigt er an, dass mit den fraglichen Mitarbeitern Gespräche geführt würden. Die Suche nach dem „Informanten“ beginnt.

Als Westerwelle in der Parteizentrale vor der Presse steht, betritt Helmut Metzner drei Stockwerke darüber sein Büro. Er setzt sich an seinen Schreibtisch und liest bei Wikileaks in den Berichten der US-Botschaft vom Herbst 2009. Nun erst dämmert ihm: Der „Protokollant“ der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP, der Vertrauliches ausgeplaudert haben soll – damit ist er gemeint.

Der Maulwurf muss weg

Von seinem Schreibtisch aus kann Metzner auf eine kleine Straße blicken. Eigentlich ist sie eine lärmende Baustelle mit Schutt, Kränen und Zäunen. Die Straße heißt „Am Zirkus“ und führt zu einem traditionsreichen Theater, dem Berliner Ensemble. Zirkus – das passt zum Hauptstadtbetrieb der schrillen Ankündigungen, der lauten Auftritte, der Sucht nach Applaus. Es passt zu den Zuschauern, die nah dran sein wollen an der Sensation, die Abwechslung wünschen, von den Artisten Perfektion erwarten. Aber auch den Patzer goutieren sie.

Und den Sturz.

Was in den folgenden Dezembertagen geschieht, wer wann mit wem redet, wer wann was weiß – darüber möchten die anderen Beteiligten am liebsten schweigen. Die Bundesgeschäftsführerin der FDP will sich nicht äußern, richtet der Pressesprecher der Partei aus. Dort ist man froh, zumindest einen Unruheherd ausgetreten zu haben, sie haben ja genug davon. Auch Metzner hält sich zurück. So viel aber lässt sich sagen über jene Tage: Während die Partei nach außen Gelassenheit verbreiten wollte, aktiviert sie intern eine Art Immunabwehr. Der „Maulwurf“, wie er von nun an genannt wird, muss weg. Die Partei ist ohnehin angeschlagen wie seit fast einem Jahrzehnt nicht. Durch ein nicht eingelöstes Steuersenkungsversprechen für Arbeitnehmer und ein eingelöstes für Hoteliers. Durch einen Parteichef, der behauptet, all die Unterstützung für Arme führe zu „spätrömischer Dekadenz“.

Zum Gespräch zwischen Westerwelle und Metzner kommt es am Montag nicht mehr. Der Außenminister fliegt nach der Pressekonferenz in dieses Land, das da noch keinem Journalisten eine Frage wert ist, Libyen. Auch in den Tagen darauf, sagt Metzner, habe er den Parteichef nicht gesprochen. „Als Politikberater kann ich nachvollziehen, dass Guido Westerwelle nicht persönlich mit mir sprechen wollte.“

Dienstag, 30. November. Von der „Geschichte mit dem Maulwurf“ schreibt die Süddeutsche Zeitung an diesem Tag. Der SZ-Redakteur Hans Leyendecker urteilt: Bei geheimen Gesprächen unter Diplomaten gehe es mitunter um Leben und Tod. Verglichen damit seien die Gespräche der Koalitionsrunde „Geschichten vom Kindergeburtstag“.

„Ich erniedrige mich nicht. Ich komm’ nicht wie ein Dackel an“

METZNER AUF DIE FRAGE, OB ER NOCH MAL MIT WESTERWELLE SPRACH

Kurt Beck von der SPD gibt sich empört: „Nicht nur Amerika hat ein Sicherheitsproblem beim Datenschutz“, es gebe offenbar auch in Deutschland jemanden, der „aus tiefster Kenntnis heraus“ berichtet habe.

In seinem Büro schreibt Metzner eine „Stellungnahme zum Sachverhalt“ für das geplante Gespräch mit Westerwelle oder einem Vertreter. Zehn Punkte. Sie sollen das Chaos ordnen. Ja, er habe mit Mitarbeitern der US-Botschaft gesprochen, auch mit denen anderer Botschaften. Aber Kontakte mit Vertretern anderer Länder, die seien bereits seit 2004 schlicht sein Job gewesen als Leiter der Abteilung Strategie und Kampagnen in der Parteizentrale. Metzner sagt: „Ich habe damit deutlich gemacht, dass ich zu keiner Zeit Geheimnisse ausgeplaudert und Geheimdokumente angeboten oder gar ausgehändigt habe.“

Eine juristische Vorsichtsmaßnahme. Doch noch vertraut der Mann im Fadenkreuz der Solidarität seiner Partei. Ist er ihr gegenüber nicht immer treu gewesen? „Ich hab’ nicht mal Punkte in Flensburg“, sagt Metzner. Auch wegen seiner Korrektheit hat die Partei ihn zum Büroleiter des Vorsitzenden gemacht.

Als die „Maulwurf“-Debatte aufkommt, streuen Westerwelles Leute, der Büroleiter habe nicht viel mehr getan, als den Terminkalender des Vorsitzenden zu verwalten. Je größer der Skandal wird, desto kleiner reden sie Metzners Rolle in der FDP.

Am Dienstagabend läuft eine bizarre Veranstaltung. Beim „Journalistenadvent“ in der FDP-Zentrale plaudern Medienleute, die seit einem Jahr die Partei kritisieren, mit Freidemokraten. Ein Arbeitstermin in der Verkleidung eines netten Beisammenseins. Eine Frage geht um: Wer ist der Maulwurf? Metzner flaniert durch die Reihen. Niemand habe gefragt, ob er der Gesuchte sei, sagt er heute.

Auch Martin Biesel ist da, ein stämmiger Endvierziger mit dem Ruf eines Workaholic. Er war Metzners Vorgänger als Büroleiter des Parteichefs. Nach der Bundestagswahl 2009 nahm Westerwelle ihn mit ins Außenministerium und machte ihn zum Staatssekretär. Nun soll Westerwelles rechte Hand die Gespräche mit den FDP-Mitarbeitern führen. Journalisten behaupten, Biesel habe ihnen schon am Dienstagabend gesagt, er habe einen Verdacht, wer der redselige Parteifreund sei. Metzner sagt, Biesel und er hätten an jenem Abend nicht miteinander gesprochen. Und Biesel selbst? Das Auswärtige Amt, in dem der Staatssekretär arbeitet, verweist auf die FDP. Und diese schweigt.

Mittwoch, 1. Dezember. Spiegel Online schreibt an Tag drei des Skandals: „Ärger über US-Informant – Spitzel-Drama entzweit FDP“. Brüderles Forderung, die Mitarbeiter müssten ihre Unschuld erklären, wird öffentlich. Der Druck wächst.

Aus dem „aufstrebenden Parteigänger“, von dem die Medien berichtet haben, wird der „Spitzel“. Das suggeriert, der Gesuchte habe im Auftrag der US-Botschaft die Koalitionsverhandlungen ausgehorcht. Beweise dafür werden nicht geliefert. Doch das ist egal. Die Wikileaks-Affäre wandelt sich, auch weil die Berichte aus Deutschland wenig Skandalöses bieten, zur FDP-Affäre. Zur Westerwelle-Affäre.

Dieser Mittwoch ist ein erstaunlicher Tag. Der mediale Sturm tobt, und mittendrin scheint die Partei stillzustehen. Es gibt kein Gespräch mit Metzner. Dieser Mittwoch ist der letzte Tag, an dem er sich einreden kann, alles könne gut werden. Denn bislang war die FDP ja gut zu ihm. Er hat dort eine politische Familie gefunden. Heimat.

Die FDP ist seine Liebe

Helmut Metzner, 42 Jahre alt, stammt aus Bamberg in Oberfranken. Er ist das siebte von neun Kindern. Seine Mutter ist mittlerweile 74 Jahre alt, sein Vater tot. Als Teenager ist Metzner mal in der CSU. Ein Fehler. Zwischen Männern, die im Bierzelt schwitzend Franz Josef Strauß bejubeln, hält er es nicht lange aus. Auf seiner Internetseite schreibt er später: „Ich verließ die CSU, trat zur FDP über, weil deren Bekenntnis zur Freiheit des Einzelnen in allen Lebensbereichen genau meiner Lebenshaltung entspricht. Bei den Liberalen kann ich sein wie ich bin.“ Metzner hat eine zweite Familie gefunden. Es ist 1988.

In der FDP findet der schwule Mann Freunde, Karriere, Liebe. Er macht sich einen Namen als origineller Werber für die Liberalen. In einem blau-gelben Hasenkostüm läuft er über Weihnachtsmärkte.

Metzner arbeitet sich hoch bis zum Kreis- und stellvertretenden Landesvorsitzenden. „Helmut Metzner war schon damals sehr engagiert in der Partei“, sagt Matthias Kremer. „Sein Studium und seine Promotion haben darunter gelitten. Man musste ihn manchmal von der Arbeit geradezu fortzerren.“ Kremer war Metzners Nachfolger als FDP-Kreisvorsitzender. Vor fünf Jahren verließ er die Partei, er fühlte sich gemobbt. Da war Metzner schon in Berlin. Über ihn hat Kremer nur Gutes zu sagen. Das ist nicht selbstverständlich.

Helmut Metzner

■  Einstieg: Helmut Metzner, geboren 1968 in Bamberg. Mit 20 Jahren FDP-Mitglied. Parteiämter auf Kreis-, Bezirks- und Landesebene. Vergebliche Kandidaturen für Landtag und Bundestag. Wahlwerbung in einem Hasenkostüm.

■  Aufstieg: Der Magister der Geschichte zieht in die Hauptstadt. Ab 2004 Abteilungschef Strategie und Kampagnen der FDP-Zentrale. 2010 Leiter Büro des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle und Leiter internationale Beziehungen.

■  Abstieg: Im Dezember 2010 werden US-Depeschen enthüllt, die über die Koalitionsverhandlungen von Union und FDP berichten. Quelle: Metzner. Die FDP entbindet ihn von seiner Funktion. Heute: Kommunikationsberater.

Denn Metzner ist Teil dessen, was schnell als „Spaßfraktion“ bekannt wird: die Generation Westerwelle, die seit den Neunzigern dem Bedeutungsverlust der Partei mit professioneller Produktwerbung begegnet. Der Wiederaufstieg der FDP führt auch zum Aufstieg des Kleinbürgerkindes Helmut Metzner.

Donnerstag, 2. Dezember. Gegen 11 Uhr kommt Metzner in Biesels Büro im Auswärtigen Amt. Eine merkwürdige Situation: Ein deutscher Staatssekretär befasst sich mit Parteiangelegenheiten. Aber Westerwelle vertraut nur wenigen und er vertraut Biesel. Metzner übergibt Biesel seine schriftliche Stellungnahme, in der er erklärt, mit den Amerikanern gesprochen, aber keine Geheimnisse verraten zu haben. Jetzt weiß die Partei offiziell: Metzner ist der Gesuchte.

Nun geht es schnell. Am eiligsten ist die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Um 15.53 Uhr meldet die Nachrichtenagentur AFP: „‚FAZ‘: Westerwelles Büroleiter informierte US-Botschaft“. Die FDP schickt eine Mitteilung hinterher: „Der Mitarbeiter der FDP-Bundesgeschäftsstelle, der jetzt seine Gesprächskontakte zur US-Botschaft offenbart hat, ist im gegenseitigen Einvernehmen von seiner bisherigen Funktion als Büroleiter des Bundesvorsitzenden der FDP entbunden worden.“

Metzner zieht seine Mundwinkel, die meist ein Lächeln formen, nach unten. Ein Ende in „gegenseitigem Einvernehmen“ nach 23 Jahren FDP? „Ich war verärgert, auch enttäuscht. Die Behauptung, ich hätte mich ‚offenbart‘, suggeriert ja, ich hätte ein Geständnis abgelegt. Das habe ich nicht. Wo kein Vergehen, gibt es auch nichts zu gestehen.“

Von jetzt an, versteht Metzner, ist sich jeder selbst der Nächste. Am Nachmittag kehrt er in sein Büro zurück. Er nimmt persönliche Informationen von seiner Seite www.MunterMacherMetzner.de. Aber er ist langsam in technischen Dingen, viele Journalisten sehen noch die Fotos von einem Fliegenträger mit Gelfrisur, ein paar lustig gemeinte Einträge, dazu ein Lebenslauf. Was einige Journalisten dann daraus machen, sagt wenig über Metzner – und viel über sie.

Am Abend telefoniert der Gejagte mit seiner Mutter und allen erreichbaren Geschwistern. Mehrere Fernsehsender haben sich bei ihnen gemeldet. Metzner sagt seiner Familie: Wenn weitere Medien anrufen, verweist sie an die FDP-Pressestelle. Manche Verwandten sind besorgt, andere belustigt: Der Helmut soll ein Spion ein? Ausgerechnet Helmut!

Freitag, 3. Dezember. Der Vizechefredakteur der Welt, Ulf Poschardt, schreibt: „Helmut Metzner wirkt wie eine Karikatur jener Figuren, mit denen die FDP-Aversion am Stammtisch gepflegt wird. Dort (und wohl auch in der Opposition) wartet man nur auf derlei Vorlagen.“

Homophobes Rumoren

Dirk Niebel und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verteidigen den Gejagten öffentlich. „Das war kein Maulwurf“, sagt der Entwicklungsminister, der Metzner gut kennt. Die Justizministerin urteilt: „Das ist keiner, der interne Papiere rausträgt.“ Aber es ist zu spät. Metzner geht an diesem Tag nicht mehr zur Arbeit. Gegen Mittag mailt sein Anwalt einen Schriftsatz an Gabriele Renatus, die Bundesgeschäftsführerin der FDP. Metzner ist zu diesem Zeitpunkt nur beurlaubt, nicht entlassen. Aber er will seinen Abgang regeln. Er kann nicht viel mehr tun als hoffen, dass der Sturm ihn bald freigibt.

Die FDP-Spitze leitet die Suche nach dem Maulwurf ein. Nur Meter entfernt liest Metzner die US-Depeschen

Sonntag, 5. Dezember. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt über Forderungen aus der FDP an Generalsekretär Christian Lindner. Der Cheforganisator der Partei solle sich von „Machenschaften“ lösen. Angeblich gebe es homosexuelle Seilschaften in der Partei.

Natürlich hat die FDP schwule Mitglieder. Bürgerliche, denen die Grünen mit ihrem Weltverbessererimage nicht behagen, und denen die Union zu piefig erscheint. Metzner ist seit 2009 Vorstandsmitglied beim Lesben- und Schwulenverband.

Metzner und Westerwelle kennen sich von den Jungen Liberalen. Der eine war der Chef, der andere Funktionär aus Bayern. Er sei aber nie ein Westerwelle-Vertrauter gewesen. „Unsere Zusammenarbeit war professionell“, sagt Metzner. „Seit ich in Berlin für ihn gearbeitet habe, habe ich ihn mit ,Sie‘ angesprochen.“

Tatsache ist: Niemand hat bis heute Beweise veröffentlicht, dass FDP-Funktionäre einander mit Posten oder Mitteln versorgt haben, nur weil sie dieselbe sexuelle Orientierung teilen. Metzners Lebenspartner arbeitet nicht in der Parteizentrale, sondern in der Bibliothek des Berliner Abgeordnetenhauses.

Drei Tage darauf treffen sich Metzner, sein Anwalt und Abgesandte der FDP in einer Berliner Anwaltskanzlei. Einen Prozess vor dem Arbeitsgericht will sich die Partei ersparen. Eine vertrauliche Vereinbarung wird aufgesetzt, Metzner ist jetzt kein Mitarbeiter der Parteizentrale mehr. Ob Geld geflossen ist, will er nicht sagen. Erst Mitte Februar 2011 stellt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ihre Vorermittlungen ein. Er steht nicht mehr im Verdacht, Landesverrat begangen zu haben.

Helmut Metzner trinkt seinen kalt gewordenen Darjeeling. Hat er seit Ausbruch des Skandals mit Guido Westerwelle gesprochen? „Nein“, sagt er. „Ich muss mich nicht erniedrigen. Ich wüsste nicht, was es zu diskutieren gibt. Ich komm’ nicht wie ein Dackel an. Das hat Herr Westerwelle auch nicht getan.“

Dann packt der kleine Mann seine Aktentasche in FDP-Gelb, seine Handschuhe, seinen Schal. In der Parteizentrale in Berlin-Mitte machen jetzt andere seinen Job. Westerwelle wird als Parteichef abtreten. Die Baustelle „Am Zirkus“ lärmt noch immer.

Matthias Lohre, 35, ist Parlamentskorrespondent der taz

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