: „Ethische Erwägungen bleiben außen vor“
AUSSENPOLITIK Maximalforderungen lassen sich mit Sanktionen nicht durchsetzen, sagt der Embargo-Forscher Sascha Lohmann. Eher schare sich die notleidende Bevölkerung um die Regierung
■ 29, ist Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Dort forscht er zu internationalen Sanktionen.
INTERVIEW HANNES KOCH
taz: Deutsche Bauern klagen über Wirtschaftssanktionen, denn wegen der Ukrainekrise verbietet Russland die Einfuhr von bestimmten Lebensmitteln. Richtet dieser Boykott westlicher Waren hierzulande großen Schaden an?
Sascha Lohmann: Nein, für die deutsche Wirtschaft insgesamt oder die Landwirtschaft hat das keine große Bedeutung. Nach einem Rückgang im Vorjahr gehen nur etwa 2,5 Prozent der deutschen Agrarexporte nach Russland.
Umgekehrt haben EU und USA Konten russischer Firmen und Politiker gesperrt. Treffen diese Sanktionen die russische Wirtschaft empfindlich?
Auch die russische Wirtschaft leidet darunter noch nicht besonders. Allerdings haben westliche Investoren inzwischen Milliarden Euro Kapital aus Russland abgezogen. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sie sich Sorgen über die Zukunft machen. Und es behindert auch die Geschäfte russischer Industrieunternehmen und Banken. Der Flugverkehr leidet ebenfalls: So musste eine russische Linie, die mit Flugzeugen der Marke Boeing zur Krim fliegt, wegen der Aufkündigung der Leasingvereinbarung Flüge streichen. Mittel- und langfristig könnten die westlichen Sanktionen zu größeren Problemen führen. Denn Russland will neue Öl- und Schiefergasvorkommen in Westsibirien und der Arktis erschließen. Dafür brauchen die russischen Unternehmen Technologie aus den USA, die sie jetzt nur schwer oder gar nicht mehr bekommen.
Gibt es Studien über die Wirksamkeit von Embargos?
US-Forscher Gary Hufbauer und seine Kollegen haben 174 Fälle seit dem Ersten Weltkrieg untersucht. Angeblich waren die Sanktionen zu 34 Prozent erfolgreich. Hufbauer zieht die Lehre, dass Embargos, um wirksam zu sein, schnell und hart eingeführt werden müssen, nicht nach und nach wie jetzt durch die EU. Aus meiner Sicht allerdings belegt diese Empfehlung, wie schwer es ist, verallgemeinerbare Regeln aufzustellen. Schließlich kann die Europäische Union allein schon wegen ihrer komplizierten Verfasstheit als Bund von 28 souveränen Staaten oft gar nicht schnell und gemeinsam handeln.
Der Boykott gegen Waren aus Südafrika in den 1970er und 1980er Jahren gilt als Beispiel erfolgreichen ökonomischen Drucks. Ist die Regierung in Pretoria durch sie von der Apartheid abgerückt?
Einerseits klingt die These plausibel, aber es gibt auch andere Stimmen. Demnach haben die Sanktionen der weißen Oberschicht wirtschaftlich damals eher noch genützt, weil südafrikanische Firmen Marktanteile von westlichen Unternehmen übernahmen, die sich zurückzogen.
Bei Nordkorea und dem Iran scheinen die Handelsembargos nicht den gewünschten Effekt zu haben. Weshalb?
Werden Maximalforderungen erhoben, scheitern auch konsequente Handelsembargos. Die Regierung und teilweise die Bevölkerung des Iran betrachten das dortige Atomprogramm als Ausweis von Modernität, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Deswegen geht das Land nur sehr widerstrebend auf die Forderungen der USA ein.
Auch Kuba wehrt sich seit über 50 Jahren erfolgreich gegen den massiven Wirtschaftsboykott durch die USA. Werden manche Regierungen noch stärker, anstatt zu kippen, wenn der Druck auf sie steigt?
Auch dort verfolgt die US-Regierung eine Maximalforderung. Havanna müsste den wesentlichen Teil seiner Ideale aufgeben, um den USA zu gefallen. Dass der Adressat von Sanktionen so etwas tut, ist sehr unwahrscheinlich. Eher schart sich die notleidende Bevölkerung um eine Regierung, die sie unter normalen Umständen nicht mehr unterstützen würde. Wirtschaftssanktionen machen es in solchen Fällen sogar schwerer, das angestrebte politische Ziel zu erreichen. Das deutet im Übrigen darauf hin, dass ökonomische Strafen gegen andere Staaten manchmal eher innenpolitischen als außenpolitischen Zwecken dienen.
In Teheran ist kürzlich ein altes Passagierflugzeug abgestürzt. Mehrere Menschen starben. Ein möglicher Grund war wohl Ersatzteilmangel infolge des Embargos durch den Westen. Schaden Wirtschaftssanktionen in erster Linie der Zivilbevölkerung?
Die Iran-Sanktionen betreffen unmittelbar auch die Zivilbevölkerung. Die Unfallrate im dortigen Flugverkehr ist eine der höchsten weltweit. Schließlich liefert unter anderem die US-Firma Boeing kaum Ersatzteile. Scharf waren auch die Auswirkungen des Boykotts gegen den Irak zwischen dem zweiten und dritten Golfkrieg: Bis zu 500.000 Kinder sollen in dieser Zeit gestorben sein, weil Medikamente fehlten. Über solche Folgen wird selten gesprochen, wenn eine Regierung Wirtschaftssanktionen verhängt. Die ethischen Erwägungen bleiben dabei meist außen vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen