: Ergraut und erfolgreich
Die Zukunft der Linkspartei liegt darin, dass sie nicht so jugendlich ungestüm ist wie frühere linke Bewegungen. Ihre sozialkonservative Haltung beschert ihr neue Chancen
Franz Walter lehrt Politik an der Universität Göttingen. Der Text ist ein Auszug aus dem Buch „Die Linkspartei. Zeitgemäße Idee oder Bündnis ohne Zukunft?“ (26,90 €), das er und Tim Spier gerade beim VS Verlag herausgegeben haben.
Die Linkspartei des Jahres 2007 unterscheidet sich markant von früheren Linksabspaltungen und linkssozialistischen Parteibildungen in der Geschichte. Weit über hundert Jahre entsprang der Linkssozialismus den Frustrationen radikalisierter Jugendlicher und extremistischer junger Erwachsener. Aus der entwurzelten, politisch zuvor eher bindungslosen jungen Generation schöpften die Linksabspaltungen ihre aggressive Militanz, ihre enthemmte Agitationssprache, ihren ganz überwiegend krausen Utopismus. Meist agierten die radikalisierten Jugendkohorten als Repräsentanten geburtenstarker Jahrgänge, die um ihre Zukunft bangten.
Bei der Linkspartei heute dagegen dominieren eindeutig die über 40-Jährigen. Gerade dieser Mangel an Juvenilität und habitueller Modernität hat bei den kommentierenden Journalisten eine Menge Spott und Häme hervorgerufen. Die Linkspartei gilt infolgedessen, besonders im Westen, als Formation eines bärtigen Sozial- und Gewerkschaftsstaats. Deshalb werden ihr künftig wenig Chancen eingeräumt.
Doch ist das eine Perspektive, die für gestern und vorgestern wohl zutraf, aber nicht mehr für die nächsten 50 Jahre stimmen muss. Die Zukunftschancen einer Linkspartei liegen gerade darin, dass sie eben nicht primär als Partei eines ungestümen jugendlichen Radikalismus agiert. In früheren Jahrhunderten war Jugend ohne Zweifel Hefe und Herz der Gesellschaft, war Jugend die schon numerisch mehrheitlich treibende Kraft der sozialen Entwicklung. Doch leben wir in Deutschland, erstmals in der Geschichte, bekanntlich in einer massiv ergrauenden Gesellschaft.
Die durch den Sozialstaat geprägten 1940er, 1950er, 1960er Geburtsjahrgänge und nicht die schon zahlenmäßig nahezu randständigen jungen Altersgruppen werden im Zentrum dieser ergrauenden Gesellschaft stehen. Die Zeiten einer gesellschaftlich dominanten, jugendlichen politischen Kultur werden in den altindustriellen Ländern für ein halbes Jahrhundert vorbei sein. In einer ergrauenden Gesellschaft ist der politische Held nicht der ungestüme Neuerer, der auf den Barrikaden tollkühn die Fahne schwenkt. In einer ergrauenden Gesellschaft wird sich das soziale und politische Veto gedämpft artikulieren: traditionalistischer, wahrender – ja: sozialkonservativer.
Die Linke trifft sich nun mit den klassischen Konservativen im stärkeren Rekurs auf Traditionen, auf den Erhalt von intakten Institutionen, auch auf den Wert der Skepsis. Die Linke hat gelernt, dass man die bessere Gesellschaft nicht erzwingen kann. Sie hat durch etliche Fehlschläge und Pervertierungen begriffen, dass die Vision vom „neuen Menschen“ die Personalität und Würde des unvollkommen Einzelnen zutiefst verletzt, dass dieses Projekt oft genug in schlimme Inhumanitäten abgleitet.
Die alt gewordene Linke weiß, wie die Konservativen, um die gesellschaftliche Notwendigkeit von bergenden, zusammenhaltenden Einrichtungen und Normen. Insofern sind Linke und Konservative derzeit im Unterschied zu Liberalen und Postmaterialisten aller Provenienz noch Verfechter einer robusten Staatlichkeit. Doch die Apotheose des Staates betreiben sie nicht mehr. Für die Konservativen ist der Staat nicht mehr die alles umspannende, Sinn spendende „Institution der Institutionen“ (Carl Schmitt); für die Linke ist der Staat nicht mehr zentraler Agens in der Paradieswerdung der menschlichen Gesellschaft.
Linke und Konservative haben durch Lernprozesse zu einem realistischen, nüchternen Staats- und Institutionenbegriff gefunden. Konservative haben stets die entlastende Funktion von dauerhaften Institutionen und habitualisierten Vorgängen erkannt, die den Menschen die Energie für das Wesentliche lassen, welche ihnen der ständige Improvisationszwang der deregulierten und konsequent individualisierten Freiheitsgesellschaft nimmt.
Natürlich: Hinter einer solchen Haltung können sich Starrsinn, Lernunfähigkeit, pure Besitzstandsverteidigung verbergen. Aber es könnte ebenso sein, dass sich in einer solchen demografisch grundlegend veränderten Linkspartei ein altersmilder, reflexiver, wertorientierter Solidarismus herausschält – nicht mehr umstürzlerisch, erst recht nicht militant oder gar totalitär wie in früheren Zeiten, sondern eher suchend, dabei doch eindringlich und ernsthaft. Wir hätten es also zu tun mit einem neuen, im Ganzen doch recht gemäßigt und gedrosselt agierenden, ja einem, wenn man so will, konservativen Linkspopulismus in Deutschland.
Dazu passt, dass der konventionelle Konservatismus des deutschen Bürgertums sozialmoralisch verunsichert ist wie noch nie zuvor. Dort ist man sich der eigenen Normen, Ziele und Maßstäbe nicht mehr gewiss, dort vermag niemand plausibel zu erklären, was denn eigentlich im Jahr 2007 die Schlüsselvorstellung und Leitideen des Konservatismus sind. Der Konservatismus ist im altbürgerlichen Lager zur Leerstelle geworden.
Konservative sind von politischer Natur aus Skeptiker. Ihr Credo ist der Zweifel an der Plan- und Machbarkeit sozialen Wandels. Sie fürchten den Ingenieur in der Rolle des Politiker, der Gesellschaften nach logischen Modellen konstruieren will. Und unzweifelhaft lag darin stets der Vorzug des konservativen Einwands. Konservative – vor allem diesseits der Parteipolitik – hatten überwiegend ein feines Gespür für die totalitären Züge fundamentaler Umwälzungen. Sie hatten stets auch eine Ahnung von den Schattenseiten jeder Modernisierung, die zur Entfremdung der Menschen, Atomisierung und Desintegration von Gesellschaften führt.
Doch ein solcher Konservatismus hat in den klassisch bürgerlichen Parteien während der letzten zwei Jahrzehnte mehr und mehr an Boden verloren. Zugespitzter noch: Die bürgerlichen Parteien taugen für einen Konservatismus der Modernisierungsskepsis, der Kritik am Effizienzwahn, des Dissenses zur hybriden Menschenplanung, der kulturellen Distanz zur utilitaristischen Ökonomiezentrierung am wenigsten. Es ist zwar richtig, dass nach rund vier Jahrzehnten der gesellschaftlichen Entbindungsprozesse sehr wahrscheinlich mit einem erheblichen Zuwachs an konservativen Geborgenheitsbedürfnissen nach verlässlichen Gemeinschaften und stabilen Ordnungen zur rechnen ist. Aber wenig spricht dafür, dass ausgerechnet die Befürworter antiinstitutioneller Entregulierungen diese Mentalität parteipolitisch deuten und kanalisieren können.
Kurzum: Der Konservatismus könnte in den nächsten Jahren die politische Seite wechseln und – so paradox es klingen mag – eher der Linken nutzen, wenn sie sich denn hinreichend geschickt verhält.
Käme es so, dann würde das in der Tat eine wirkliche Revolution in der Parteiengeschichte bedeuten: Die Renaissance der Linken in Form einer Fusion von Populismus und Konservatismus – und dies ausgerechnet als Folge der Vergreisung der Kernländer des klassischen, mittlerweile überkommenen Industriekapitalismus. FRANZ WALTER
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