DER INNENMINISTER DEMÜTIGT INTEGRATIONSWILLIGE MIGRANTEN: Schäuble, Häuptling gespaltene Zunge
Es war einmal ein Innenminister, der die Dinge beim Namen nannte. Er regierte im vergangenen Jahrhundert und sprach, wie es in jenen politisch unkorrekten Zeiten üblich war, vom „Ausländerrecht“, das er verschärfen wollte. Den damaligen klaren Auftrag seiner Partei, die „Asylantenflut“ zu stoppen, erfüllte er getreulich. Zum Dank durfte der Minister zwar nicht Kanzler werden, wie er hoffte, aber er bekam sein altes Amt zurück. Leider. Denn wie sich bei der Reform des Zuwanderungsrechts zeigt, macht Wolfgang Schäuble genau da weiter, wo er einst aufgehört hat – bei der Abschottung Deutschlands gegen Ausländer. Das Einzige, was den jungen Schäuble vom ergrauten Schäuble unterscheidet, ist seine neue Wortwahl.
Weil der Christdemokrat ein schlauer Mann ist, gibt er sich up to date. Das erste große Maßnahmenbündel seiner zweiten Amtszeit, das er jetzt im Kabinett durchwinken ließ, nennt Schäuble ein „Gesetz zur Förderung der Integration“. Die politisch überkorrekte Sprache, die grüne Politiker in Berlin eingeführt haben, beherrscht auch der konservative Badener inzwischen fast perfekt. Es bereitet ihm kein Problem, statt von Ausländern von Menschen mit Migrationshintergrund zu reden. Was Schäuble aber, trotz gegenteiliger Beteuerungen, nach wie vor nicht hinkriegt: die vielen Millionen Migranten, die in Deutschland leben, als Bereicherung zu betrachten und entsprechend zu handeln.
Schäubles freundliche Reden und der sogenannte Integrationsgipfel der Kanzlerin sollen das liberale Publikums bezirzen. Dass es sich dabei um billige Täuschungsmanöver handelt, zeigt die beschlossene Gesetzesvorlage. Von einem neuen Geist ist da nichts zu spüren. Im Gegenteil. Es werden neue Hürden bei der Einbürgerung und beim Familiennachzug aufgebaut, die sich ganz gezielt gegen Türken richten. So kann die Integration der größten Migrantengruppe nicht funktionieren. Die türkischen Verbände fühlen sich zu Recht verarscht. Dass Schäuble ihre Proteste wie die Wortmeldung einer x-beliebigen Lobbygruppe abtut, ist zynisch. Er nutzt eiskalt aus, dass viele Migranten, wenn es darauf ankommt, eben keine Lobby haben. Und kein Wahlrecht. LUKAS WALLRAFF
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen