: Die Entscheidung über Leben und Tod
Das Parlament diskutiert über ein Gesetz, das den Umgang mit Patientenverfügungen regelt. Die einen wollen volle Selbstbestimmung, andere Einschränkungen zum Wohle der Patienten. Kritiker warnen vor zu hohen Erwartungen
AUS BERLIN ANNA LEHMANN
Der Tod ist ein ernstes Thema. Aber als SPD-Generalsekretär Olaf Scholz gestern im Bundestag seine Rede mit den Worten schließt: „Meine Zeit ist kurz, deshalb nur noch einen Satz“, da löst sich die Anspannung der Abgeordneten in fraktionsübergreifender Heiterkeit.
In einer dreistündigen Grundsatzdiskussion, die mit Bibelzitaten und persönlichen Erlebnissen gespickt ist, versuchen die Abgeordneten auszuloten, ob sie ein Gesetz erarbeiten sollten, das regelt, wie Ärzte künftig mit Patientenverfügungen umgehen. Und wie dieses Gesetz aussehen könnte. Dass die Fraktionschefs die Entscheidung ganz dem Gewissen der Abgeordneten überlassen, erleichtert die Meinungsbildung nicht gerade.
Geschätzte sieben bis neun Millionen Menschen haben eine solche Verfügung hinterlegt, in der steht, ob sie im Notfall künstlich beatmet werden möchten, eine Magensonde wünschen oder ganz auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichten. Ärzte und Juristen entscheiden derzeit von Fall zu Fall, wie sie mit solchen Verfügungen umgehen. Der Bundesgerichtshof hat deshalb angeregt, Klarheit in diese rechtliche Grauzone zu bringen. Doch wie verbindlich solche Vorabentscheidungen der Patienten sein sollen, daran entzweien sich die Meinungen.
Scholz, der selbst eine Patientenverfügung verfasst hat, bekennt sich zur Position des rechtspolitischen Sprechers der SPD, Joachim Stünker. Dieser hat einen Antrag aufgesetzt, in dem die Selbstbestimmung des Menschen Vorrang vor ärztlichem Rat hat, auch wenn dieser sein Leben retten könnte. Das Grundgesetz „gewährt ein Recht zu leben, es begründet aber nicht die Pflicht zu leben“, sagt Stünker. So sehen es Justizministerin Brigitte Zypries (SPD), fast die gesamte FDP-Fraktion und auch Olaf Scholz: sollte seine Verfügung etwa nicht mehr gelten, nur weil einige Bundestagsabgeordnete es besser wissen?
Der Wortführer dieser Gruppe sitzt gerade vor ihm und blättert wild in seinem Antrag: Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach, will Patientenverfügungen nur dann gelten lassen, wenn das Leben des Verfassers aus ärztlicher Sicht nicht mehr zu retten ist. SPD-Politiker wie René Röspel unterstützen Bosbach, aber auch Josef Winkler von den Grünen. „Wir müssen Erklärungen misstrauen, hinter denen keine persönliche Erfahrung steht“, meint Bosbach und untermauert dies mit einem Beispiel aus der Nachbarschaft: Eine ältere Dame wurde ins Krankenhaus eingeliefert und künstlich beatmet. Nach ihrer Genesung dankte sie dem Schicksal, dass die Ärzte ihre Patientenverfügung im Handgepäck übersehen hatten. Darin hatte sie verfügt, dass sie keine künstliche Beatmung wolle.
Beispiele aus dem persönlichen Umfeld lassen sich für jede Position herbeizitieren. CSU-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöller erinnert an die letzten Worte von Papst Johannes Paul II.: „Lasst mich zum Haus des Vaters gehen.“ Sechs Stunden später war er tot – „Sein Wille wurde respektiert ganz ohne Patientenverfügung, Konzil und Vormundschaftsgericht.“ Zöller gehört zu einer recht großen und parteiübergreifenden Gruppe, die zweifelt, ob man überhaupt ein Gesetz braucht. „Es gibt zehntausende Menschen, die in Pflegeheimen gegen ihren Willen mit Magensonden ernährt werden“, erinnert Ilja Seifert von der Linkspartei. Gegen diese Verletzung der Selbstbestimmung sei ein Gesetz zur Patientenverfügungen machtlos. Auch Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) warnt vor Illusionen. Ein würdevolles Sterben ließe sich per Gesetz nicht regeln.
Auch vor den Türen des Plenarsaals, wo eine Besuchergruppe aus Bochum wartet, gehen die Meinungen auseinander: Klaus-Martin Schmidt-Waldbauer, 49, findet es ganz wichtig, dass Patientenverfügungen gesetzlich geregelt werden. Er selbst hat aber keine hinterlegt: „Da bin ich noch zu jung.“ Hanne Deutsch, 58, mischt sich ein: „Nur bei absolut tödlichen Krankheiten sollte eine Patientenverfügung gelten.“ Als ihre Mutter mit 93 Jahren starb, hätte sie in deren Sinne verfügt, dass alle lebensverlängernden Maßnahmen ergriffen werden sollten. Sie selbst hat keine Verfügung: „Ich trau mich da noch nicht ran.“
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