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„Besorgt euch eine Lizenz!“

NRW-Medienwächter Norbert Schneider fordert für Verlage und Sender, die im Internet Radio und Fernsehen anbieten, neue Regulierungen – weil sie damit unter die Rundfunkanbieter gehen

NORBERT SCHNEIDER, Jahrgang 1940, leitet seit 1993 die Landesanstalt für Medien von Nordrhein-Westfalen.

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

taz: Herr Schneider, glaubte man den Auguren, sollten Handy-TV oder Internet-Fernsehen längst Medienalltag sein. Doch was die Sender bislang bieten, wirkt erratisch. Woran liegt’s?

Norbert Schneider: Niemand weiß derzeit genau, welcher Zug am Ende wirklich sein Ziel erreicht. Da setzt man sich dann vorsorglich in jeden. Viele Inhalte-Anbieter – und dazu gehören auch die klassischen TV-Sender – verfahren derzeit nach dem olympischen Motto: Dabei sein ist alles. Aber das reicht nicht für ein funktionierendes Geschäftsmodell.

Muss dann nicht die Politik dem Zug die Richtung weisen?

Die Politik kann sich nicht an die Stelle der Unternehmen setzen. Sie ist zuständig für den Rahmen. Nehmen Sie das terrestrische digitale Fernsehen DVB-T! Da gibt es in einigen Bundesländern erregte politische Diskussionen, weil hier ein Stadt-Land-Gefälle entsteht, einfach deshalb, weil DVB-T in Ballungsräumen billiger ist. Aber das ist kein angemessener Ansatz. Es gibt auch keine U-Bahn in Stendal oder Tübingen. Die Politik muss den Rahmen für den Wettbewerb der Infrastruktur schaffen, nicht die Infrastruktur selbst.

Also sollte sich die Politik raushalten?

Keineswegs. Der Rahmen ist so wichtig wie das Bild. Mit Rahmen meine ich zum Beispiel: eine Plattformdefinition. Die Plattform ist etwas Neues, eine Zwischendecke zwischen Sender und Nutzer, im Zweifel ein Bastard aus allem: IP-TV, Kabelfernsehen, Telefonie, Internet. Das muss man jetzt nicht in eine scharfe Regulierung zwingen. Aber es ist zu klären, wann dort Vielfalts- und Zugangsfragen ins Spiel kommen. Wir brauchen Klarheit, wann ein Plattformbetreiber zum Rundfunkveranstalter wird. Bei welchem Ausmaß an vertikaler Integration.

Wie wollen Sie diese Bewertung vornehmen?

Am Anfang steht ein zeitgemäßer Rundfunkbegriff. Er muss technologieneutral sein. Es kommt nicht auf die Art der Verbreitung an. Sondern auf die besondere Qualität und eine entsprechende Reichweite. Da ist es dann unerheblich, ob er über Antenne, Kabel oder Satellit, Internet oder Mobilfunk kommt.

Die EU-Kommission löst das Problem, indem sie zwischen linearen Angeboten – also klassischem Rundfunk – und nichtlinearen Diensten wie Video-on-Demand unterscheidet.

Ich halte das für einen sehr ehrenwerten, aber rückwärtsgewandten Weg. Man kann Rundfunk in der digitalen Welt nicht mehr über die Art des Zugriffs auf ein Angebot definieren. Wie will man mit hybriden Angeboten umgehen?

Dann lösen Sie doch mal diesen gordischen Knoten.

Die Definition muss sich nach qualitativen Kriterien richten, auch wenn das die denkbar schwierigste Aufgabe für die Juristen in den für Rundfunk zuständigen Staatskanzleien ist. Mit Quantitäten und technischen Parametern tut man sich viel leichter. Andererseits: Auch die Rundfunkrechtsprechung unseres Verfassungsgerichts ist in wesentlichen Teilen eine qualitative. Man wäre also, was Risiken angeht, in der allerbesten Gesellschaft.

Welche Kriterien sollten dabei im Vordergrund stehen?

Es geht um alte Bekannte: um Meinungsmacht, Relevanz, Suggestivkraft. Und um Reichweite. Aber dann kommen die Oberschlauen und fragen tückisch: Was genau ist Relevanz, wie misst man die? Denen sage ich: Es zählt eben nicht nur, was man zählen kann. Wenn zum Beispiel jemand im Internet ein fernsehähnliches Programm anbietet, das sich dann ausbreitet, mehr und mehr Nutzer beziehungsweise Zuschauer findet – da gibt es einen Punkt, ab dem wir überlegen müssen, ob da etwas Rundfunk wird, qualitativ und in der Reichweite. Wo kommen wir hin, wenn wir Inhalte nicht mehr bewerten können – oder wollen!

Das Netz ist also künftig nicht mehr frei?

Wenn ich in Zukunft die Nutzungszahlen beispielsweise von Radio NRW nehme und feststelle, dass ein Internet-Radio nur knapp dahinter liegt, kann ich doch nicht Radio NRW lizenzieren und dem Medienrecht unterstellen, und der Internet-Anbieter sagt: April, April, ich bin im Netz – und bleibt damit unberührbar. Das Gleiche gilt natürlich für Internet-TV. Vor dem Gesetz sind nun einmal alle gleich.

Welt, Spiegel & Co. bieten auf ihren Internet-Seiten längst auch bewegte Bilder. Springer-Chef Mathias Döpfner setzt hier ausdrücklich auf das freie Netz, Regulierung wäre für ihn ein Eingriff in die Pressefreiheit.

Solange es um eine elektronisch verbreitete Zeitung geht, hat er recht. Aber wer über Internet-Protokoll (IP-TV) Fernsehen verbreitet, spielt in einer anderen Klasse. Die Verleger können ihre TV-Angebote im Internet nicht mit dem Argument von Regulierung ausnehmen, es handele sich ja bloß um eine Zeitung mit anderen Mitteln. Rundfunk definiert sich nicht danach, wie das Signal technisch verbreitet wird. Im Übrigen denkt Herr Döpfner bei Regulierung vermutlich eher ans Kartellamt – es gibt aber auch noch die Medienaufsicht.

Sie wollen im Internet durchgreifen?

Wir sind keine Netzpolizei. Was wir überlegen, ist, ob wir nicht die Pionierphase im Netz, was die Verbreitung von Radio und Fernsehen angeht, für beendet erklären sollten. Ob wir nicht sagen sollen: Macht euch ehrlich und besorgt euch eine Lizenz! Das würde Klarheit bringen. Und den Betroffenen übrigens zeigen, dass Regulierung Schutz bedeutet und nicht Strangulierung.

Wie bewerten Sie die neuen Beschlüsse der Länder zur Reform der Medienaufsicht?

Ich bin enttäuscht. Zwar bleibt für die weitere Zukunft noch alles möglich, doch es wäre jetzt schon viel mehr möglich gewesen. Es wird nun darauf ankommen, dass die Landesmedienanstalten, worin sie geübt sind, weiterhin das Angemessene auch ohne klare gesetzliche Vorgaben tun. Nur soll uns jetzt niemand mehr einen Mangel an Transparenz und Vollzug vorhalten. Mögen hätten wir wohl gewollt, aber richtig tun dürfen können wir nun nicht. Aber wenn man denkt, dass selbst Rom nicht an einem Tag …!

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