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Heldengeschichten

GEHEIMDIENST Schon mehrfach erfuhren gefeierte Spezialkommandos im Nachhinein Korrekturen

Dass die Geheimhaltung bis zum Einsatztag in Abbottabad funktioniert hat, grenzt an ein Wunder. Die US-Behörden wollen seit 2005 Hinweise auf das Grundstück gehabt haben. Die konkreten Einsatzvorbereitungen liefen monatelang – mindestens seit letztem August. Und Hunderte – wenn nicht Tausende – Personen in den verschiedensten Positionen – ob in Washington, Pakistan und in Guantánamo – wirkten daran mit. In den letzten Tagen vor dem Einsatz waren 16 Kongressabgeordnete beider Parteien über das bevorstehende Ereignis informiert, so Vizepräsident Joe Biden. Und zahlreiche Geheimdienst- und Militärstellen verfolgten die Bewegungen der Seals auf dem großen Grundstück in Abbottabad – dank Kameras, die in den Helmen der Soldaten installiert waren – live in aller Welt.

Nach Tötung des Hauptfeindes hielt die Einheit exakt 24 Stunden. Seit Dienstag bröckelt sie. Nun gibt es nicht nur divergierende US-Beschreibungen des Hergangs der Ereignisse, sondern es dringen zunehmend Details über die Vorbereitungen der Operation an die Öffentlichkeit. So sagte CIA-Chef Leon Panetta: „Wir hätten bin Laden durchaus auch nicht in dem Haus vorfinden können. Wir waren nur zu 60 bis 80 Prozent sicher, dass er sich dort aufhielt.“

Diese Widersprüche erinnern an andere spektakuläre Kommandoeinsätze, bei denen die USA zunächst ihre Helden feierten. Und später zurückziehen und mit komplett gegensätzlichen Versionen der Ereignisse ihre eigenen Geschichten korrigieren mussten: so beim Tod von Pat Tillmann in Afghanistan. Der populäre Footballplayer hatte seine Profikarriere nach den Attentaten des 11. Septembers an den Nagel gehängt, um nach Afghanistan in den Krieg zu ziehen. Sein Tod im Jahr 2004 wurde als heldenhaftes Kampfereignis gefeiert – bis herauskam, dass er Opfer eines „friendly fire“ wurde. Auch die „Befreiung“ der verletzten Soldatin Jessica Lynch im Irak hob im Mai 2003 für kurze Zeit die Kampfmoral. Dann schrumpfte die Heldengeschichte zur Kakofonie. Es stellte sich heraus, dass sie tatsächlich dank intensiver Pflege in einem Krankenhaus überlebt hatte und dort von schwer bewaffneten US-Elitetruppen aus den Händen unbewaffneter Ärzte und Krankenschwestern „befreit“ worden war.

Dorothea Hahn

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