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Mit jüdischem Witz gegen die Hierarchie

Der Kinderarzt Anatol Rosenbaum wollte 1968 wegen Antisemitismus aus der DDR fliehen, doch die Staatssicherheit sah ihn als zionistischen Agenten. Es folgte eine Odyssee durch fünf Gefängnisse. Sieben Jahre litt er an der staatlichen Repression

VON INES KAPPERT

„Ich bin überhaupt nicht nett.“ Diesen Satz hält Anatol Rosenbaum all seinen Gesprächspartnern wie eine Art Schutzschild entgegen. Nein, er ist nicht bereit, sich Konventionen unterzuordnen. Darauf habe man sich gefasst zu machen. Auch auf Widerworte reagiert er impulsiv. Die Vermutung, ihm unliebsame Fragen rührten von der falschen politischen Schule her, liegt für ihn allzu nahe. Wer immer also den ehemaligen Kinderarzt live erlebt, etwa wenn dieser sein jüngst von einem kleinen jüdischen Verlag publiziertes Buch vorstellt, wird einen empfindlichen und eher ruppigen Mann Ende 60 erleben. Ein Literat sei er übrigens auch nicht. Vielmehr seien seine Erinnerungen an die Odyssee durch fünf Gefängnisse in der DDR nur ein persönlicher und emotionaler Bericht von einer schmerzhaften Etappe in seinem Leben. Mehr nicht. Das muss genügen.

Für Rosenbaum hat das Jahr 1968 eine Bedeutung jenseits von Sex & Drugs. Im Dezember wird er als vermeintlicher zionistischer Agent verhaftet und nach Hohenschönhausen gebracht. Die Eltern, allen voran die Mutter, sind überzeugte Kommunisten, mit dem Judentum haben sie – ebenso wie der damals 29-jährige Sohn – nichts am Hut. Rosenbaum will die Republik gemeinsam mit seiner Frau und seinem fünfjährigen Sohn verlassen. Doch der Plan fliegt auf. Die Staatssicherheit vermutet, dass der israelische Geheimdienst die gefälschten Pässe besorgt hat. „Mit Hilfe westdeutscher Organisationen und den organisierten Zionisten“, heißt es in der Klageschrift, habe er „die DDR verlassen und in ein Land gehen wollen, dass Napalmbomben auf Frauen und Kinder wirft. Dies ist eine große Schande, besonders für einen Kinderarzt.“

In „Die DDR feiert Geburtstag, und ich werde Kartoffelschäler“, erzählt Rosenbaum nüchtern und uneitel vom Gefängnisalltag eines als Landesverräter eingestuften Mannes. Allerdings ist Rosenbaum kein Agent, sondern in erster Linie das, was der Kleinbürger frech nennt. Seine Aversion gilt der strikt hierarchisierten Spießigkeit der DDR und dem politischen Fanatismus der Mutter. Gepaart mit dem stets anwesenden subkutanen Antisemitismus ist ihm das einfach zu blöde. Er will raus.

Doch Rosenbaum unterschätzt die Insistenz der von ihm verschiedentlich geneckten Autoritäten. Diese reagieren auf seine Renitenz mit aller staatlich sanktionierten Härte. Drei Jahre sitzt er ohne Verfahren ein, übersteht eine Scheinerschießung, Isolationshaft und das vielfache Eingesperrtwerden in winzige fensterlose Arrestzellen, in denen tagsüber die matratzenlose Pritsche an die Wand hochgeklappt wird. Der angebliche Delinquent ist so gezwungen, auf dem nackten Betonfußboden zu sitzen. Auf Hohenschönhausen folgt das psychiatrische Krankenhaus Waldheim, dann kommt das vergleichsweise komfortable Speziallager „Kommando X“ für zum Austausch bestimmte Agenten, schließlich Berlin-Rummelsburg und die Strafanstalt Cottbus, Letztere ist für Staatsfeinde reserviert. Zum Abschluss landet Rosenbaum 1971 in Torgau und auch hier wieder wegen Witzeleien über Staatsbeamte im sogenannten Verließ.

Ob seine spätere Erkrankung an Leukämie auf den Einsatz von radioaktiven Strahlen in den Gefängnissen zurückgeht, vermag er später vor Gericht nicht zu beweisen. Dem Richter gilt das nur als „wahrscheinlich“. Doch er ist nicht der einzige Exgefangene, der an Blutkrebs erkrankt ist. Gut gelaunt merkte er bei einer Lesung im jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße an, dass er früher immer wieder wegen seiner großen, vermeintlich jüdischen Nase angesprochen worden sei. In seinem heute von Kortison aufgeschwemmten Gesicht aber falle diese gar nicht mehr auf. So habe alles sein Gutes.

Kleinlich und verlogen

Dank der Intervention des SPD-Politikers Herbert Wehner, der – so vermutet Rosenbaum – im Moskauer Exil auf seine Mutter getroffen sein dürfte, und dem für ihn überraschenden Umstand, dass Israel ihn auf die Austauschliste gesetzt hatte, ist es 1975 endlich so weit: Er darf ausreisen. 250.000 Mark sind für ihn gezahlt worden. Rosenbaum entscheidet sich für Westberlin.

Die Feingliedrigkeit der Erinnerungen, die immer darum bemüht sind, hilfreichen Personen auf diesem Weg Respekt zu zollen, kontrastieren Rosenbaums vielfach hemdsärmlige Politthesen. So ist man sich an diesem Abend im jüdischen Gemeindehaus einig: Der Staat hat noch nie für den kleinen Mann gesorgt, und dass der Aufbau-Verlag das Manuskript ablehnte, muss mit aktuellen oder vergangenen Stasi-Verbindungen zu tun haben. Rosenbaums Rekonstruktion dessen, wie Staatsvertreter obsessiv Unterwürfigkeit herzustellen versuchten, ist von solchen Überspanntheiten dankenswerterweise frei und daher ein lesenswertes Zeitdokument. Gerade auch weil es von unscheinbar anmutenden Details berichtet, welche die kleinliche Lust an der großen Repression illustrieren.

Als Erstes etwa musste Rosenbaum lernen, den Verkehrsampeln im Gefangenentrakt absoluten Gehorsam zu zollen: „Rot bedeutet, sofort stehen zu bleiben. Bei Grün durfte man passieren. Dies alles, um die Isolation perfekt zu machen: Man soll keinen anderen Gefangenen zu Gesicht bekommen.“ Sein Name wird durch „Nummer 1“ ersetzt; der Anwalt, den er nach fünf Monaten zu Gesicht bekommt, erklärt ihm knapp: „Wir dürfen nur über private Dinge sprechen und die Sachlage ihres Falls nicht erörtern.“ Als Rosenbaum fragt, was er bei all den Verhören sagen soll, lautet die Antwort: „Immer die Wahrheit.“ Genau diese unangetastete Verlogenheit hat Rosenbaum in ein bis heute nicht zu hintergehendes Misstrauen gegen die Mehrheit seiner Mitmenschen getrieben.

Anatol Rosenbaum: „Die DDR feiert Geburtstag, und ich werde Kartoffelschäler. Als Arzt und ‚Agent‘ im ‚Kommando X‘ des MfS“. Berlin, Lichtig Verlag 2006, 169 Seiten, 14,90 €

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