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Ein Mann rechnet mit Resonanz

Albert Ben-David hat Großes mit dem einstigen DDR-Funkhaus Nalepastraße vor: Eine Künstlerstadt mit Theaterschule und Lofts soll nach dem Willen des Investors entstehen. Noch läuft das Projekt schleppend: zu wenig Mieter, zu wenig Investitionen

Vom Aufbruch in eine hippe Ära ist nicht viel zu merken. Selten trifft man jemanden auf den leeren Fluren

VON KONRAD LITSCHKO

Was für ein Büro! Honecker hängt gerahmt an der Wand, daneben lächelt Parteikollege Willi Stoph. Dunkle Stalin-Wälzer in hellen Schrankwänden aus Sprelacart, Dserschinski-Büsten, ein archaischer Telefontisch und überall angegilbte Transistorradios und Uhrgehäuse: auf dem grau gemusterten Teppich, auf Tischen, in Schränken. Die Sonne scheint auf den mächtigen, ovalen Holztisch in der Mitte des großzügigen Raums. Auch die Stühle ringsherum: uriges VEB-Handwerk aus Hellerau. Achim Becker, letzter Chef des DDR-Funkhauses an der Köpenicker Nalepastraße, würde sich hier, im fünften Stock des Turmhauses, immer noch wohlfühlen.

Stattdessen steht hier Albert Ben-David. Zurückgekämmte, graue Haare, offenes Hemd, linke Hand in der Hosentasche. Sein Zeigestock pocht gegen Luftaufnahmen und Modelle, die zwischen den DDR-Reliquien in seinem Büro aufgebaut sind: Hier soll die Ernst-Busch-Schauspielschule rein, hier werden die Lofts mit Spreeblick gebaut, hier stehen bald Cafés. Ben-David, geboren in Tel Aviv, spricht englisch und ist „very optimistic“. Das muss er auch, denn der 62-Jährige hat Großes vor: Aus dem maroden Funkhaus soll eine funkelnde Medienstadt werden.

In England, Rumänien, Ungarn, den Niederlanden und Israel hat Ben-David Projekte realisiert. Im Juli vergangenen Jahres kaufte der Bauingenieur und Investor das Hauptareal des Funkhaus-Geländes. Der Preis lag am Ende bei 3,4 Millionen Euro. Ein Schnäppchen für die 13 Hektar geballter Historie. Von 1954 bis zur Wiedervereinigung residierte hier der Hörfunk der DDR. „Stimme der DDR“, „Radio DDR“, „Berliner Rundfunk“ – alle überregionalen Programme wurden hier produziert und ausgestrahlt. 5.000 Mitarbeiter wohnten auf dem Gelände, gingen hier zum Friseur, kauften im Konsum ein, schwitzten in der Sauna.

Was nach der Wende kam, war dagegen mehr als jämmerlich: Die Neuen Bundesländer kämpften als Eigentümer gegen den Leerstand, vermieteten die Studios sporadisch an Bands, Orchester und Musikproduzenten. Als das Areal schließlich im November 2005 an die Jessener Bau und Praktik GmbH verkauft wurde, witterte man Betrug und Kungelei: Für läppische 350.000 Euro ging das Funkhaus an den Privatinvestor aus Sachsen-Anhalt – bei einem zuvor geschätzten Verkehrswert von zirka 30 Millionen Euro. Bis heute ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Betrugs und Untreue in der Sache.

Die Bau und Praktik kümmerte sich freilich wenig um das erworbene Grundstück – erst Ende April wurde sie vom Landgericht Berlin zur Zahlung von 527.554 Euro für ausstehende Betriebskosten verurteilt. Stattdessen splitteten die Sachsen-Anhalter das Gelände auf und verkauften das Herzstück an die Keshet Geschäftsführungs GmbH & Co. Radiocenter Berlin KG, die Firma von Albert Ben-David. Der will in der Nalepastraße nun eine Media-City erstehen lassen. Musiker, Künstler, Plattenfirmen, Internetagenturen und Medienanwälte sollen hier arbeiten und wohnen. „Eine kleine Stadt“, fast wie damals in der DDR, wolle er errichten, erklärt Ben-David. Studioräume und Büros will er sanieren, das Spreeufer rekultivieren, Bars und Restaurants eröffnen, einen 15-geschossigen Turm mit Künstlerlofts neu hochziehen. Als Hauptmieter wünscht sich der Israeli die Ernst-Busch-Schauspielschule, um deren neuen zentralen Standort er sich bewirbt. Auch mit einer Musikakademie internationalen Rangs verhandle man, so Ben-David, Namen könne er noch nicht nennen. Ja, er wolle investieren, versichert der gut aufgelegte Mann. Und das für die nächsten fünf, sechs Jahre. „Ich bin nicht hier, um Geld zu machen und wieder zu verschwinden. Das ist ein mittelfristiges Projekt, eine Vision. Und ich bin geduldig“, sagt Ben-David bestimmt.

Eine Million Euro hat er nach eigenen Angaben bereits in die Nalepastraße gesteckt – davon 150.000 Euro nur für Aufräumarbeiten. Eine weitere Million will er dieses Jahr investieren: Treppenhäuser und Fahrstuhl sanieren, das Außengelände weiter in Stand setzen. Viel mehr soll sonst vorerst nicht passieren. Man werde nach Nachfrage sanieren, so Ben-David. „Damit die Mieter auch ihre Wünsche verwirklichen können.“ Gewerkelt wird momentan nur im Foyer des großen Turmhauses. Wände werden gestrichen, der alte Marmor und die originale Holzvertäfelung herausgeputzt, Toiletten eingebaut. Sein „Showfloor“ werde dies, schwärmt Ben-David. Eine Lounge und ein kleines Museum sollen hier entstehen, mit all dem alten DDR-Kram, der sich so im Haus gefunden hat – inklusive eines Trabis. Man habe sogar mit Thomas Ehrlich, Großneffe des DDR-Stararchitekten und Funkhausplaners Franz Ehrlich, über die Mitgestaltung des musealen Parts verhandelt. Mitte Mai soll hier alles fertig sein.

Was Ben-David nun noch zu seinem Glück fehlt, sind neue Mieter. Als er das Haus übernahm, war die Belegsituation unübersichtlich: In der Bar in Haus B wurden illegale Partys gefeiert, die von der Bau und Praktik vorgelegte Liste führte Mieter auf, die gar nicht auf dem Gelände waren. Ben-David kündigte schließlich rund 30 „illegalen“ Mietern und übernahm 70 der alten. Zu wenige: Lediglich 30 Prozent der Mietfläche seien derzeit vergeben, räumt der Investor ein. Aber am Ende dieses Jahres soll bis zur Hälfte der Räume vermietet sein. Für 2009 ist die Komplettbelegung anvisiert. 20 neue Mieter seien seit seinem Amtsantritt bereits eingezogen und es gebe „eine starke Nachfrage“, sagt Ben-David.

Seinen derzeit größten Mieter, das Filmorchester Babelsberg, ist er allerdings schon im kommenden Herbst wieder los: Die Brandenburger Landesregierung habe den Umzug nach Potsdam zur Bedingung für die weitere finanzielle Unterstützung des Orchesters gemacht, erklärt der Leiter des Ensembles, Klaus-Peter Beyer. Sonderlich schwer falle ihm der Abschied allerdings nicht. „Ich höre hier immer nur Parolen, aber außer ein bisschen Kosmetik hat sich nicht viel geändert“, rügt Beyer mangelnde Investitionen durch Ben-David. Der habe im Winter die Heizleistung so weit heruntergefahren, dass Mieter frierend in ihren Büros gesessen hätten. Auch würde für Veranstaltungen „ganz beliebig“ vermietet – nach Techno-Partys müssten seine Musiker „über Berge von Müll steigen“. Ben-David darauf anzusprechen sei zwecklos. „Es scheint sein besonderer Stil zu sein, wenig oder gar nicht mit den Mietern zu sprechen“, kritisiert Beyer harsch.

Albert Ben-David schüttelt den Kopf: „Hier ist immer jemand ansprechbar für die Mieter.“ Auch sei der Verlust des Filmorchesters zu verschmerzen. Ein Einzug der Ernst-Busch-Schauspielschule und der Internationalen Musikakademie sei „zehnmal bedeutender“. In der Theaterschule hält man sich bisher aber noch bedeckt. Immerhin dementiert der Kanzler der Hochschule, Caspar Graf von Rex, das Gerücht, Ben-David habe die Bewerbung zu spät eingereicht. Das Funkhaus sei einer aus über zehn Bewerbern. Über Favoriten wolle man sich nicht äußern, die Entscheidung für den neuen Standort falle im Juni.

Innerhalb von fünfzehn Monaten könnten die Schauspieler einziehen, verspricht Ben-David. Eine optimistische Rechnung, denn abseits der enormen Sendesäle findet man noch größtenteils gammligste DDR vor: miefige Gänge, verschlissenes Linoleum, versiffte Toiletten. „Da könnte man investieren ohne Ende“, bestätigt Norbert Felgner, „60, 70 Millionen Euro wären das bestimmt.“ 32 Jahre war Felgner Objektleiter des Funkhauses – bis Ben-David das Ruder übernahm. „Geliebt“ habe er den alten Bau, „mehr als meine Frau“. Doch das Haus bedürfe inzwischen einer Generalsanierung. „An die Grundwasserleitungen müsste man ran. Die Elektrik entspricht nicht mehr dem Standard.“ Auch einzelne Mieter berichten von Stromausfällen, wenn das Netz zu stark beansprucht wird.

„Ich will nicht Geld machen und wieder verschwinden“, sagt Ben-David. „Das ist ein mittelfristiges Projekt“

Ein Gutachten des Gebäudetechnikbüros Specht, Kalleja und Partner hatte allein für die kurzfristigen Sanierungsmaßnahmen Investitionen in Höhe von 300.000 Euro empfohlen. Zwei Drittel dieser Summe habe man inzwischen tatsächlich investiert, schätzt Geschäftsführer Jörg Schlerfer. Vor allem in die Heiztechnik sei Geld geflossen. Wie viel noch zu zahlen sei, hänge auch von den Wünschen der künftigen Mieter ab. Blieben diese weg, würde es problematisch: „Es ist einfach zu teuer, Leerstand zu finanzieren“, so Schlerfer.

Von Aufbruchstimmung in eine neue, hippe Ära des Funkhauses ist in der Nalepastraße noch nicht viel zu merken. Nur selten trifft man Mieter auf den Gängen, Postzusteller verlieren sich in den leeren Fluren. Es ist eine seltsame Mixtur aus Optimismus und Skepsis, die einem hier begegnet. „Seit mehr als acht Jahren geht das hier schon rauf und runter, immer neue dubiose Geschichten – da beobachtet man die jetzigen Pläne erstmal ganz entspannt“, erzählt ein Mitarbeiter des Musikstudios „planet roc“, eines der Großmieter im Funkhaus.

Auch Doris Kleemeyer von der Aufnahmefirma „Studio P4“ bestätigt: „Es gibt eine gewisse Skepsis hier. Wer weiß schon, welche Kompetenz Ben-David für Medien mitbringt?“ Gleichzeitig sei man aber auch froh, „endlich ein Gefühl zu bekommen, dass es sich lohnt, hier zu investieren“. Genau das ist es auch, was für Heiderose Gottschall zählt. Immerhin werde jetzt der Rasen gemäht und Müll weggeschafft. „Es wäre auch eine Schande, wenn hier nicht endlich was passieren würde.“ Die 62-Jährige ist die dienstälteste Mieterin im Funkhaus. Seit 1985 arbeitet die kleine, freundliche Frau gleich neben dem Foyer in einem Minifriseursalon, den sie seit 1992 selbst führt. Sie ist die einzige der Dienstleister, die aus der kleinen DDR-Funkhaus-Stadt bis heute durchgehalten hat. „Frau Gottschall ist schon fast Teil des Museums“, sagt Ben-David und lacht. Da die Friseuse im nächsten Jahr in Rente geht, darf sie ihren Mietvertrag behalten. Für die meisten anderen Mieter gab es mit dem neuen Besitzer auch neue Verträge. Mancher müsse jetzt das Dreifache der früheren Miete zahlen, erzählt man bei planet roc. Aber viele gestehen auch ein: „In den letzten Jahren war der Preis ein Witz.“ Ben-David verweist zudem auf den neuen Service. Es gebe Sicherheitsfirmen auf dem Gelände, Laternen und Müllbeseitigung funktionierten wieder. Und man befinde sich hier auf historischem Territorium mit dem für seine Akustik weltberühmten Sendesaal A. „Mein Juwel“, preist ihn der Ingenieur. Sarah Connor, die Black Eyed Peas und Daniel Barenboim haben hier Musik aufgenommen. Der 62-Jährige strahlt, wenn er durch die Säle führt. Er sei „vom Mond gekommen“, habe von der DDR keine Ahnung gehabt, habe sie seinerzeit nicht ein einziges Mal besucht. Und jetzt ist hier einfach die Zeit stehengeblieben.

Albert Ben-David zeigt auf die Uhren. In jedem Raum sei eine gewesen. Und hinter jeder steckte ein Abhörmikrofon der Stasi. Bis heute könne er immer Neues in seinem Funkhaus entdecken. „Very Fifties, very Bauhaus“, sei alles. Eine detailverliebte Architektur, die man heute nicht besser kreieren könne. „Das hier ist gemacht für Kunst!“, wiederholt er mehrmals. Und genau das will Ben-David jetzt mit einer internationalen Marketingkampagne bekannter machen – in Europa, in den USA. Die hiesige Politik weiß er hinter sich. Bezirksbürgermeisterin Gabriele Schöttler etwa. „Herr Ben-David ist ein Powermensch, das Konzept passt wunderbar in den Wissenschaftsstandort Treptow-Köpenick. Ich habe da keinerlei Bedenken“, lobt sie. Man arbeite eng zusammen und kommuniziere auf kurzen Wegen.

Nicht nur deswegen gibt sich Albert Ben-David gelassen. Sicher gebe es einiges zu tun, aber die Nalepastraße sei definitiv eine „charming challenge“. Und erst der Anfang: Künftig wolle er auch an anderen Orten der Hauptstadt investieren. „Ich habe mich in diese Stadt verliebt“, sagt er. Sein Lieblingskind werde aber stets das Funkhaus bleiben. Und nicht nur seines, prophezeit Ben-David: „In zwei Jahren ist das hier das erfolgreichste Projekt Berlins.“

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