: Dem Rechnungshof ist Hartz IV zu teuer
Während Berlin zu viel Geld für Unterkünfte von ALG-II-Beziehern ausgibt, verfallen Schulen und Sportanlagen, kritisiert der Landesrechnungshof. Die Prüfer kritisieren Verschwendung von 114 Millionen Euro und fordern Wohnungsverkäufe
Jens Harms trug die Zahlen und Fakten nüchtern vor. Doch hinter den Worten des Rechnungshofspräsidenten verbirgt sich politischer Sprengstoff. Im gestern präsentierten Jahresbericht 2007 wirft der Landesrechnungshof Senat und Bezirken vor, 114 Millionen Euro verschwendet zu haben – fast viermal so viel wie vor einem Jahr. Aus den mehr als 200 Berichtsseiten stechen zwei Versäumnisse besonders hervor: Berlin zahlt laut den Prüfern zu viel für Miete und Heizkosten von Empfängern des Arbeitslosengeldes II (ALG II). Zudem seien Berlins Schulen und Sportanlagen mangels Sanierungen „in einem beklagenswerten Zustand“ – mit Folgen für die Zukunft.
Die nicht weisungsgebundene Landesbehörde beziffert die angestauten Sanierungskosten in Schulen und Sportanlagen auf 1 Milliarde Euro. „Und jährlich kommt ein Sanierungsbedarf von 130 Millionen Euro hinzu“, warnte Rechnungshofchef Harms. Der Grund: Seit Mitte der 90er-Jahre gestehe der Senat Bezirken viel zu wenig Geld für Reparaturen zu. Dadurch würden vorhandene Schäden schnell größer, Folgeschäden führten sogar zu „Substanzverlust“. Die Grünen-Haushaltspolitikerin Ramona Pop fordert daher: „Der Senat muss die Steuermehreinnahmen auch nutzen, um den Investitionsstau aufzulösen.“
Auch an der Umsetzung der Hartz-IV-Gesetze lässt der Behördenbericht kein gutes Haar. Die ungewöhnliche Arbeitsteilung von Bund und Ländern in den gemeinsam betriebenen „JobCentern“ führe dazu, dass „für Ausgaben Berlins in Milliardenhöhe die vorgeschriebenen haushaltsrechtlichen Kontrollen nicht gewährleistet“ seien. Keinen Systemfehler, sondern ein Versagen Berlins gebe es bei den Unterhaltskosten für ALG-II-Empfänger. Die Senatsverwaltung für Soziales sorge dafür, dass das Land „unangemessen hohe Unterkunftskosten“ übernehme: So würden Hartz-IV-Empfängern zu hohe Mieten bewilligt. Was der Senat als Abwendung sogenannter Zwangsumzüge preist, ist für Rechnungshofchef Harms vor allem eine „Belastung im mittleren zweistelligen Millionenbereich“ für den Landeshaushalt.
Ebenso wenig freuen wird sich der rot-rote Senat über Harms’ Urteile über die Zukunft der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen. Ohne weitere Kredite, Wohnungsverkäufe oder Finanzspritzen des Landes werde den meisten Unternehmen „eine nachhaltige wirtschaftliche Sanierung nicht möglich sein“.
Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und Linkspartei gegen größere Bestandsverkäufe ausgesprochen. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) verspricht sogar, das Gros der insgesamt 270.000 Wohnungen werde dem Landeshaushalt bald Gewinne einbringen. Hingegen warnt der FDP-Haushaltspolitiker Christoph Meyer vor Haushaltsrisiken „in hoher dreistelliger Millionenhöhe“.
Seit 1995 versäume es der Senat, wie geplant den Aufbau der 82 Stadtbibliotheken zu straffen und Stellen abzubauen, rügt der Jahresbericht. Dabei genügten 42 gleichmäßig über die Bezirke verteilte Standorte völlig.
MATTHIAS LOHRE
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