: Alarm im Angstministerium
Geißler in Attac! Schäuble trifft sich mit engstem Geheimberater. Dann schlägt er zu
Berlin, Freitag, 18. Mai, fünf Uhr dreißig. Nebelschwaden über der Spree. Dr. Wolfgang Schäuble, Ex-CDU-Parteispendenbeauftragter und jetziger Angstminister des Innersten, empfängt seinen engsten Geheimberater zur Morgenlage. Arbeitsfrühstück auf der Panzerglasloggia. Grüner Tee, Vollkorncracker, sonst nichts. Gundolf von der Spitzecke, Schäubles von der Drogenfahndung zum persönlichen Schutz abgezogener Sicherheitsschäferhund, muss vorkosten. Mit eisgrauen Gesichtern beobachten Schäuble und sein Besucher das Tier. Als Gundolf nach fünf Minuten noch lebt, greifen auch sie zu.
„Lecker“, knarzt Otto Schily, nachdem er den ersten Bissen runtergespült hat. Schily, Schäubles Vorgänger im Sicherheitsamt, berät den Minister auf dessen persönlichen Wunsch hin weiterhin in Topsecret-Angelegenheiten. Zum Aufwärmen erzählt Schily seinen alten Lieblingswitz: „Was sind zwei Rechtsanwälte auf dem Meeresboden? – Ein guter Anfang.“ Die beiden Volljuristen lachen kurz, aber herzlich. Schäuble schätzt den trockenen Humor des greisen Antroposophen, genauso wie dessen in langer Berufslaufbahn erworbene Menschenverachtung. Schily kannte die RAF-Legenden noch persönlich. Sogar bei Baaders Obduktion war er persönlich anwesend.
„Zur Sache“, beginnt Schäuble, „wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich rechne stündlich damit, dass Geißler über die Spree kommt. Unsere Dienste haben Hinweise darauf, dass Attac einen Flottenverband zusammenstellt und das Ministerium über das Westufer angreift. Mit Geißler als lebendem Schutzschild.“
„Ist Merkel informiert?“, will Schily wissen.
„Von mir natürlich nicht“, bleckt Schäuble, „man kann ihr nicht trauen. Unsere Dienste haben bei der Online-Durchsuchung des Kanzlerinnencomputers festgestellt, dass sie in der gleichen Partei ist wie Geißler.“ „Gibt’s ja gar nicht“, entgegnet Schily. Ich habe noch in meiner Amtszeit eine DNS-Probe von Merkel nehmen lassen. Kein Hinweis auf Attac.“
„Aber reichlich CDU“, klärt Schäuble auf. „Genau wie bei Geißler. Bei dem nur Restspuren. Arbeitsgemeinschaft Christlich-Demokratischer-Globalisie-rungskritiker. Also: Was tun?“
„Sofort festsetzen und abschieben“, rät Schily. „Noch vor dem G-8-Gipfel muss der Mann außer Landes gebracht werden. Vorbeugende Sicherheitsverwahrung.“
„Unsere befreundeten Dienste arbeiten bereits“, sagt Schäuble. „Wir brauchen einen sicheren Ort. In einer Stunde erfahre ich, ob in Guantánamo noch ein Zimmer frei ist.“
„Gut“, stimmt Schily zu, „wir treffen uns in 60 Minuten wieder hier. Keine Telefonate, keine E-Mails. Ich erkundige mich in der Zwischenzeit bei meinem alten Freund Beckstein. Wenn Guantánamo belegt ist, kann er vielleicht in Bayern was räumen lassen.“ Mit einem kurzen Knurren verlässt Schily die Sicherheitsloggia. Nachdenklich gibt Dr. Schäuble seinem Gundolf ein Vollkorn-Leckerchen und krault ihm den Nacken. „Und sobald Geißler weg ist, mein Braver, kümmern wir uns um diesen Kabarettisten. Wie hieß er gleich? Ah ja. Norbert Blüm.“FRITZ ECKENGA
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