: Punkfrisur provoziert Rechte
Erst feiern sie ihre Premiere. Dann sind sie dran. In Halberstadt wird eine Theatercrew von Rechtsextremen überfallen. Jetzt ermittelt der Staatsschutz
VON CIGDEM AKYOL
Dramatischer hätte es auch auf der Bühne nicht sein können: Das Bergtheater Thale im sachsen-anhaltischen Halberstadt war am Freitagabend voll, die Schauspieler wurden nach der Premiere der „Rocky Horror Show“ bejubelt. Als 14 KünstlerInnen ihre Premierenfeier Samstag früh gegen drei Uhr noch in der Kneipe „Spucknapf“ fortsetzen wollten, wurden die Schauspieler aber vom Türsteher abgewiesen. Wenige Minuten später und unmittelbar vor der Gaststätte wurde die Gruppe von acht Fremden angegriffen und zusammengeschlagen.
Die Bilanz der Nacht: Fünf der 19 bis 32 Jahre alten Opfer mussten mit Knochenbrüchen und Schürfwunden ins Krankenhaus gebracht werden, ein Statist befindet sich mit einer gebrochenen Nase immer noch dort. Von den Tätern aber fehlt inzwischen jede Spur. Nach Beschreibungen der Künstler sind die acht Tatverdächtigen Männer und Frauen der rechtsextremen Szene zuzuordnen.
Trotzdem scheint ein ausländerfeindlicher Hintergrund ausgeschlossen. Zur Gruppe gehörte nur ein Franzose, der nicht als Ausländer erkennbar war. Einer der Schauspieler trug aber seiner Rolle entsprechend eine Punkfrisur. Das hat offenbar ausgereicht, um auf die Gruppe loszuprügeln, mutmaßt Aud Merkel, Chefdramaturgin des Theaters, der taz. Die Aufführung am Samstagabend musste abgesagt werden.
Theaterintendant André Bücker kann nicht fassen, dass andere Kneipenbesucher schaulustig den Überfall beobachteten haben sollen. „Auch die Polizei hat nichts unternommen“, sagt er. „Die standen einfach rum und haben die Täter laufen lassen – die sind seelenruhig davonspaziert.“ Obwohl zwanzig Polizeibeamte vor Ort waren und einige Verdächtige sich noch in Sichtweite befanden, gab es keine Festnahmen. Lediglich ein 22-jähriger Halberstädter, der der Polizei schon mehrfach wegen rechtsextremer Straftaten aufgefallen war, bekam eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Verdächtige ist aber wieder zu Hause.
Warum, das kann auch Ulrich Wagner, Pressesprecher der Polizeidirektion Halberstadt, nicht beantworten. Nach den weiteren sieben Verdächtigen wird nun gefahndet. Es sei eine Ermittlungsgruppe gebildet worden, der auch der polizeiliche Staatsschutz angehört. „Die Einsatzkräfte vor Ort haben die Situation anscheinend unterschätzt“, so Wagner. Momentan werde geprüft, ob die Polizei nicht schnell genug gehandelt habe. „Sollten wir ein Fehlverhalten der Beamten feststellen, wird es disziplinarrechtliche Konsequenzen geben“, versicherte Wagner. Auf die Frage, ob es große Schwierigkeiten mit der rechten Szene in Halberstadt gibt, versichert er: „Nicht mehr als anderswo in Deutschland auch.“
Aber im kleinen Halberstadt mit seinen 40.000 Einwohnern kommt es seit Jahren immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Rechtsradikalen. In der Region ist auch die NPD sehr aktiv. Im März 2006 war Halberstadt bundesweit in die Kritik geraten, weil der Landkreis ein geplantes Anti-Nazi-Konzert von Konstantin Wecker nach NPD-Drohungen nicht erlaubt hatte. Das Konzert wurde dann aber später nachgeholt.
Jutta Dick, Leiterin des jüdischen Museums in Halberstadt, weiß, dass es eine aktive rechte Szene in der Stadt gibt. Dass ihr Museum noch kein Anschlagsziel war, wundert sie. „Die rechte Szene weiß, dass wir gut bewacht werden“, erklärt sie sich den bisherigen Frieden, schiebt aber hinterher: „Ich bin jeden Morgen froh, dass unser Zugang zu der zerstörten Synagoge weiß geblieben ist“. Der jetzige Vorfall bereite ihr natürlich Sorgen, aber sie möchte in der Stadt bleiben.
Auch Intendant André Bücker will weitermachen. „Wenn es in diesen Orten keine Kultur gibt, was bleibt dann“, fragt er. Die nächste Vorstellung der „Rocky Horror Show“ geht am kommenden Freitag über die Bühne, versichert Bücker.
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