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Berührbar werden

ERINNERUNG Das Berlins Homo-Mahnmal, sagt Claudia Schoppmann, macht ratlos

VON JAN FEDDERSEN

Hinter Büschen, beinah versteckt, liegt das Denkmal, das an die unter dem Nationalsozialismus verfolgten und getöteten Homosexuellen erinnern soll. Ein singulärer Klotz aus Beton ist es, am Rande des Tiergartens in Berlin. Er ist mit einem Sichtfenster versehen. Schaut man hindurch, erkennt man in der Dunkelheit ein sich küssendes Männerpaar – in Endlosfilmschleife. Natürlich, sagt Claudia Schoppmann, lasse sie Auffassungen gelten, die den Geschmack betreffen. Aber dieses Denkmal berühre sie nicht.

Eigentlich müsste Schoppmanns Wort Gewicht haben. Die in Berlin lebende Historikerin hat mit einer Fülle von Forschungen und Publikationen zu Homosexualität und Nationalsozialismus Profil erlangt. Sie kennt sich mit dem Thema aus. 1990 promovierte sie mit einer Arbeit über „Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität“. Dass ihre akademische Laufbahn dennoch nicht so recht vom Fleck kam, mag mit ebendiesem Thema zu tun haben. Seit mehreren Jahren ist Claudia Schoppmann in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Abteilung Gedenkstätte Stille Helden, mit Zeitverträgen beschäftigt.

Schoppmann hat in zwei Kolloquien mitgewirkt, auf denen die Bedeutung der Erinnerungsstätte für die verfolgten Homosexuellen begründet wurde. In die Entscheidung jedoch, wie das Mahnmal am Ende aussehen soll, war sie nicht einbezogen.

Absichtlich haben die beiden Künstler, die Skandinavier Ingar Dragset und Michael Elmgreen, deren Entwurf für das Mahnmal am Ende ausgewählt wurde, die Bildsprache der Eisenman-Stelen des Holocaustmahnmals auf der anderen Seite der Straße, das an die verfolgten und ermordeten Juden und Jüdinnen Europas erinnert, in ihrer Installation aufgenommen. Anders als bei der Riesenskulptur mit ihren 2.711 verschieden hohen Betonquadern, die zu einem Irrgarten angeordnet sind, steht der Klotz, der an die Homosexuellen erinnert, am Rand versteckt. Einzeln und schief. Schoppmann, die nun das Gegenteil einer Aura leidenschaftlicher Empörung verströmt, sagt bei einem Cappuccino in einem Schnellcafé am Rande des Ensembles, künstlerisch könne man ja ohnehin unterschiedlicher Meinung sein. Aber sie wisse nicht, ob das Denkmal „nicht überfrachtet“ sei. „Und zwar aus mehreren Gründen.“

Zunächst war da ein Bundestagsbeschluss, der von dem Denkmal Unmögliches forderte: Es sollte nicht nur an die unter dem Nationalsozialismus verfolgten schwulen Männer erinnern, sondern zugleich die Repression gegen homosexuelle Frauen spiegeln. Obendrein hatte dieses Gedenken die zeitgenössischen Diskriminierungen von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern aufzugreifen. Ein viel zu mächtiges Sammelsurium an Ansprüchen, so Schoppmann – und womöglich von den Bundestagsabgeordneten in der Absicht verabschiedet, alles in einem Aufwasch zu bündeln: den Terror von gestern. Und den aktuellen.

Schoppmann hält jedenfalls den ausgesuchten Film der zwei küssenden Männer für unangemessen. „Man erkennt in beiden nicht, dass sie für die Zeit des Nationalsozialismus stehen.“ Ihre viel zu offenen Berührungen der Münder stehen in der Tat nicht für das Schwule oder Lesbische in der Weimarer Republik, viel eher wirkt das Ganze wie eine Knutscherei von heute.

Dem fast emotionslosen Argumentieren gegen das Mahnmal der Historikerin Schoppmann ist kaum zu widerstehen. Es brauche noch viel mehr Wissen um Menschen, die gelitten haben, sagt sie – und sie sagt zutreffend damit auch, dass es bislang sträflich wenig institutionell finanzierte Recherchen zu den Tragödien homosexueller BürgerInnen unter dem Nationalsozialismus gegeben hat. Es fehlt an Akten, es fehlt an Erzählungen. Teils aus bürokratischer Nachlässigkeit, weil Akten entsorgt wurden. Teils auch weil nur wenige Schwule und noch weniger Lesben aus jenen Jahren ihre Erinnerungen öffentlich mitteilen wollten – Homosexualität war und ist kein Umstand, der Mitleid, gar Mitgefühl stiftet.

Sie selbst, Jahrgang 1958, kam nach zwei Jahren Studium der Geschichte und Germanistik in Münster 1979 nach Berlin, wo sie ihr Coming-out lebte. Erst dort und im damals gerade gegründeten Lesbischen Aktionszentrum begriff sie, dass sie nicht allein ist mit ihren Fragen: „Ich hatte das Gefühl, Mensch, da waren ja schon welche vor uns. Das war ja kein Thema in den Geschichtsbüchern, wir mussten uns selbst helfen. Und mit Forschung beginnen.“ Damals fing sie an, sich im Studium für den Nationalsozialismus zu interessieren. Sie lernt, dass 1933 die „Zeit der Maskierung“ begann – Schwule waren ohnehin im Visier der Nazis, Lesben aber hatten, allgemeiner gesagt, zu lernen, sich besser zu verhüllen. Bloß nicht auffallen – das sei die beste Überlebensstrategie gewesen. Und doch habe es Denunziationen gegeben, und üble Nachrede, und Verrat.

Empfindet sie sich selbst als Maskierte? „Ich laufe nicht mit einem Schild herum“, betont sie, nein, das Lesbische trage sie nicht vor sich her. Aber es gebe „Situationen, wo ich in der Öffentlichkeit vorsichtig bin, meine Freundin an die Hand zu nehmen.“ Ihre eigene Biografie habe sie eben geprägt – ihr Vater fand ihr Lesbischsein moralisch verwerflich. So sagt sie in dem eben immer gleichen, kühlen, fast distanzierten Ton: „Das hatte, so denke ich, seine Folgen“, alle Missachtung ging „nicht spurlos an mir vorbei“.

Lebendiger spricht sie, wenn es um den Holocaust geht. Um die Geschichten von Juden, auch von verfolgten lesbischen Jüdinnen. Es sei allgemein wenig bekannt über Homosexuelle im Dritten Reich, meint sie. Auch das Homo-Mahnmal biete nicht genug Aufklärung. An der Riesenstele am Tiergarten fehle es an Information. Selbst die unauffällig in den Boden geschraubte Informationstafel musste bitter gegen die – überwiegend schwulen– Initiatoren des Mahnmals erkämpft werden. „Es lädt nichts ein, sich mit den Opfern zu identifizieren. Das ist sehr schade, denn es lässt nicht einfühlen.“

Das Filmchen in diesem Betonbrocken sollte eigentlich nach zwei Jahren ausgetauscht werden – zugunsten einer lesbischen Sequenz, so wünscht es Kulturstaatssekretär Bernd Neumann. Sie zu installieren ist bis heute nicht realisiert worden, man hört, dass es Widerstände dagegen gibt, Lesben gleichberechtigt mit Schwulen zu würdigen. Homosexuelle Frauen seien nun einmal nicht die Trägerinnen des Rosa Winkels gewesen.

Schoppmann kennt all diese Hinweise und gibt zu bedenken: „Wir müssen weiterforschen. Wir sollten sehen, dass für Lesben und Schwule der 30. Januar 1933 das gemeinsame Datum war, an dem die Weimarer Republik aufhörte zu existieren.“ Und die queere Infrastruktur in Berlin und anderswo zerschlagen wurde. Die neuerdings geäußerte Idee, das Dritte Reich sei wissenschaftlich kein lohnendes Feld mehr, scheint ihr absurder denn je.

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