: Neue Sichtweise
GEWALT Verteidiger von U-Bahn-Schläger wirft Staatsanwaltschaft Manipulation vor
Ein Videoausschnitt, der die brutale Attacke eines 18-Jährigen an Ostern im Berliner U-Bahnhof Friedrichstraße zeigte, schockierte im April die Öffentlichkeit. Nun bringen Strafverteidiger politischen Zündstoff in den Fall: Sie werfen der Staatsanwaltschaft vor, bei der Auswahl eines für die Fahndung nach dem Schläger eingesetzten Filmausschnitts bewusst Szenen zurückgehalten zu haben, die den Fall in einem anderen Licht erscheinen lassen könnten.
„Diese Vorgehensweise ist geeignet, den Verdacht manipulativen Verhaltens hin zu einer Emotionalisierung der Gewaltdebatte zu wecken“, hieß es in einer am Dienstag verbreiteten Erklärung der Vereinigung Berliner Strafverteidiger.
Der Beschuldigte Torben P. muss sich ab dem 23. August vor dem Berliner Landgericht verantworten. Er hatte ein Geständnis abgelegt. Die Anklage lautet auf versuchten Totschlag und schwere Körperverletzung. In dem bisher bekannten Videoausschnitt war zu erkennen, wie der betrunkene Schüler und ein Begleiter das 29 Jahre alte Opfer Markus P. provozierten und angriffen. Als der schon auf dem Boden lag, sprang der 18-Jährige ihm mehrfach auf den Kopf. Das Opfer kam mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus.
Aus erst kürzlich veröffentlichten anderen Szenen des Videomitschnitts einer Überwachungskamera geht nun aber auch die Vorgeschichte hervor. Diese Bilder zeigen, wie das ebenfalls stark alkoholisierte spätere Opfer den Schüler attackiert, bevor dieser auf ihn losgeht. Diese Szenen hatte die RBB-„Abendschau“ am Sonntagabend ausgestrahlt, der Justiz sollen sie hingegen schon zu Beginn der Ermittlungen bekannt gewesen sein. „Der spätere Geschädigte war nicht unbeteiligt, er fängt an, die Auseinandersetzung körperlich werden zu lassen“, bewertete der Verteidiger von Torben P., Thorsten Bieber, gegenüber der „Abendschau“ die Bilder.
Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft wurde die Gewaltszene für die Fahndung nach dem 18-Jährigen ausgewählt, um schnell Hinweise aus der Bevölkerung zu erhalten. Bieber äußerte hingegen den Eindruck, es sei „gerade mit dieser Veröffentlichung Politik gemacht worden, um zu sagen: Unsere U-Bahnen sind nicht sicher, wir brauchen mehr Polizei, mehr Ordnungskräfte.“
Die Staatsanwaltschaft wies die Vorwürfe zurück. Man habe in einer Eilsituation entscheiden müssen, welche Bilder die geeignetsten für ein Wiedererkennen des Täters seien. „Die von uns ausgewählten Szenen erschienen uns dafür am besten“, sagte Behördensprecherin Simone Herbeth dem Tagesspiegel. (dpa)
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