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„Schuld sind die Anderen“

Geständnis mit klaren Absichten: Nordenhams suspendierter Bürgermeister Georg Raffetseder gibt vorm Landgericht Oldenburg Erpressungsversuch und Bestechlichkeit zu – und kündigt an, den Amtssessel nicht freiwillig zu räumen

KÖNIG SCHORSCH I. UNWIRSCH

Heute wird der Prozess gegen den suspendierten Bürgermeister von Nordenham im Landgericht Oldenburg fortgesetzt. Dennoch ist ein Ende der Geschichte schon geschrieben. Denn Georg Raffetseders Wirken hat sehr bald den Nordenhamer Lokaldichter Jens Wohlkopf inspiriert: Seine per E-Mail verbreiteten Erzählungen aus dem Leben des „kleinen Königs Schorsch I. Unwirsch“ füllen schon gut 100 Druckseiten. Und haben einen Schluss: Zwar sei „der kleine König moralisch erledigt“, heißt es da. „Sein Ansehen ist dahin. Ein Verbleiben im Amte erscheint unmöglich.“ Aber was scheint, wird nicht immer wahr. Fragt sich also: „Ist Schorsch I. ein politisches Stehaufmännchen?“, setzt der Dichter fort. „Oder verschwindet er sang- und klanglos im selben Dunkel der Geschichte, aus dem er so plötzlich […] hervorgetreten war? Warten wir es ab! Dieser König ist aus dem Stoff gemacht, aus dem vielleicht noch eines Märchens vierter Teil entstehen könnte.“  TAZ

AUS OLDENBURG BENNO SCHIRRMEISTER

Erhobenen Hauptes schreitet Georg Raffetseder nach dem Prozessauftakt durch die Flure des Oldenburger Landgerichts. Ein gut aussehender Mittvierziger mit klarem Blick unter dunkel-welligem Haar, ein stolzer Mann und ein suspendierter Bürgermeister. Ob er nicht ins Amt zurückkehrt? „Das kann man so nicht sagen.“ Das sei „eine juristische Entscheidung, und dann eine politische“. Freiwillig verzichten werde er jedenfalls nicht – spricht’s und entschwindet.

Zuvor hatte Raffetseder erklärt, er habe den örtlichen Immobilien-Unternehmer Onno St. tatsächlich versucht, zu erpressen. Ein Treffen zwischen ihm und dem Geschäftsmann war am 16. Februar auf Band festgehalten worden. Raffetseder dazu: „Der Gesprächsverlauf ist korrekt wiedergegeben.“

Heute, am zweiten Verhandlungstag, soll es abgespielt werden. Ein Kernsatz aber ist bereits bekannt: „Zehn Scheine ins Kuvert, bei mir in den Postkasten und die Sache läuft“, so zitiert die Anklage das Band. Die Stimme: die von Raffetseder. „Ich habe“, sagt er nun vor Gericht, „meine Pflichten missbraucht.“ Ein Geständnis wirkt immer strafmildernd: Nach der Verhandlung wird Verteidiger Dietrich Hartmann der Hoffnung Ausdruck geben, dass die siebte Strafkammer „unter einem Jahr“ bleibt. Dann nämlich hätte sein Mandant noch eine Chance, weiter als Wahlbeamter zu wirken.

Nach seiner Erklärung sinkt Raffetseder zurück in den Stuhl und würde gerne schweigen. Doch der Vorsitzende Richter Gerhard Meyer hakt nach. Da wird der Bürgermeister unwirsch: „Ich habe jetzt eine Erklärung abgegeben“, antwortet er. „Ich bitte schon um Verständnis, dass ich…“, will er weiterschnarren, da fasst ihn sein Verteidiger sanft am Ärmel.

Raffetseder verstummt. Und Hartwich richtet das Wort an den Vorsitzenden: „ Ich möchte anregen“, so der Anwalt, „dass das Gericht die Verhandlung jetzt unterbricht.“ Sprich: Es soll doch bitte das Geständnis nehmen, wie es ist, die Beweisaufnahme straffen – besser noch: fallen lassen – und schnell urteilen.

Die Bürger Nordenhams sind zahlreich vertreten in den Zuschauerreihen. Der Vorschlag verbreitet sich dort per Flüsterpost, aber bevor das Murren zu sehr Raum greift, hat Richter Meyer den Vorschlag vom Tisch gewischt. „Wir können nicht einfach so den Mantel drüber decken und sagen, das war’s“, sagt er dem Anwalt. Umfassend nämlich sei das Geständnis nicht gewesen. Meyer sucht den Blickkontakt zu Raffetseder: „Wir müssen näher an Sie ran.“

Näher ran heißt, ein Schlaglicht aufs krude Rechtsverständnis des Diplom-Rechtspflegers Raffetseder zu werfen. Und die Schmutzecken der Geschichte zu erwähnen: Ihren Hintergrund bildet ein Rosenkrieg. In dem bilden die Parteien der 43-jährige Angeklagte – seit Januar geschieden und Vater zweier Kinder –, seine Ex, der Immobilien-Kaufmann Onno St. und dessen fürs gemeinsame Kind sorgeberechtigte frühere Gattin, in deren Wohnung der Bürgermeister seinen neuen Lebensmittelpunkt gefunden hat. Unter der Konstellation hatten die einst freundschaftlichen Beziehungen zwischen Bürgermeister und Geschäftsmann gelitten – weil der Kaufmann sich „schlecht verhalten“ habe, bei der Scheidung, sagt Raffetseder. Er habe böse Gerüchte über ihn verbreitet. Und zu wenig Unterhalt gezahlt, also nicht für ihn, Raffetseder, aber eben für Tochter und Ex-Frau. „Dafür geht man doch zum Gericht“, hält Meyer Raffetseder vor. „Dafür gibt es doch einen Rechtsstaat.“ Das beeindruckt den Bürgermeister nicht: Der festgelegte Anspruch sei „zu niedrig“ ausgefallen, beharrt er.

Dann beantragte Onno St. eine Änderung des Bebauungsplanes. Raffetseder erklärt das zur Chefsache, was aber, folgt man seinem Gedankengang noch nichts mit dem privaten Konflikt zu tun hatte. Allerdings habe er die sich ergebenden geschäftlichen Besprechungen auch „für ein klärendes Gespräch nutzen“ wollen.

Das fand statt, am 30. Januar, im Rathaus, und dabei ging es erst um den Bebauungsplan. Diesbezüglich habe er Onno St. mitgeteilt, so Raffetseder, dass er sich nicht so dolle engagieren werde – obwohl es ja jetzt Chefsache war. Dann habe er den privaten Teil eröffnet, sagt der Bürgermeister, und dem Geschäftsmann bedeutet von ihm einen Beitrag für die Reparatur der persönlichen Beziehungen zu erwarten: „Ich wollte, dass er ein Zeichen setzt“, sagt Raffetseder.

Welches? Das sollten sich beide bis zum 16. Februar überlegen. Und erst bei jenem Treffen, behauptet er, sei ihm spontan die Idee mit den zehn Scheinen im Kuvert gekommen. „Aber warum hätte er denn ein Zeichen setzen sollen?“, fragt Meyer erneut. Raffetseder: „Er war doch immer der Aggressor“. Meyer: „Er selbst sieht das nicht so.“ Oh, da braust Raffetseder noch einmal auf: „Klar,“ sagt er, und dass die Zuschauer lachen, kümmert ihn wenig, „bei Onno gilt ja: Schuld sind immer die Anderen.“

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