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Irgendetwas läuft da schief

FLÜCHTLINGE Die Affäre Allert ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Zusammenarbeit seines Landesamtes für Gesundheit und Soziales mit dubiosen Heimbetreibern hat Tradition. Begründet wird sie mit dem Notstand bei der Unterbringung

Teure Heime

Die Zahl der Flüchtlinge hat sich laut LaGeSo seit 2011 vervierfacht. Für 2014 rechnet das Amt mit rund 12.000, die für die Dauer ihres Asylverfahrens in Berlin bleiben. Derzeit gibt es rund 12.000 Heimplätze in 50 Unterkünften, knapp 700 Flüchtlinge sind in Hostels untergebracht, rund 8.000 Asylbewerber leben in Wohnungen.

■ Der Tagessatz pro Person für einen Heimplatz variiert stark: In Erstaufnahmeeinrichtungen, wo die Flüchtlinge maximal drei Monate bleiben sollen und verpflegt werden, liegt er zwischen 7,25 und 15 Euro zuzüglich Essen. Gemeinschaftsunterkünfte mit Selbstverpflegung kosten zwischen 8,29 und 36,17 Euro, Notunterkünfte 13,52 bis 22,78 Euro.

■ Ein Preisvergleich zeigt, dass Private nicht günstiger sind als die Wohlfahrt. Die beiden teuersten Heime werden von zwei Privatbetreibern geführt. Gierso-Heime liegen im oberen Bereich (17 bis 23 Euro), Pewobe ist etwas günstiger mit 13 bis 24 Euro.

■ Der Tagessatz wird von LaGeSo und Betreiber verhandelt und hängt ab von Investitionskosten, Miete und Zahl der Mitarbeiter. Dazu kommt eine Gewinnmarge von 3 bis 5 Prozent.

■ Gibt es keinen freien Heimplatz, vergibt das LaGeSo Hostel-Gutscheine für 30 bis 50 Euro.

■ Eine Beschwerdestelle für Flüchtlinge oder Heimmitarbeiter gibt es nicht. Die Einrichtung eines Heim-TÜVs wurde von Rot-Schwarz gerade abgelehnt. (sum)

VON SUSANNE MEMARNIA UND ALKE WIERTH

Die erste Aufregung hat sich gelegt, aber die „Patensohn-Affäre“ von Franz Allert ist noch lange nicht erledigt. Ein externer Wirtschaftsprüfer soll nun untersuchen, ob der Chef des Landesamts für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) die Firma seines Patensohns Tobias Dohmen, Gierso Boardinghaus, bei der Vergabe von Aufträgen zum Betrieb von Flüchtlingsheimen bevorzugt hat. Die zuvor tätige Innenrevision des LaGeSo konnte „anhand der Aktenlage“ – wenig überraschend – keine Korruption feststellen. In ihrem vor zwei Wochen vorgelegten Bericht sagt sie aber auch, dass Akten nicht vollständig seien und „ordnungsgemäße Auswahlverfahren oder Ausschreibungen“ vor Entscheidungen für einen Anbieter nicht stattgefunden hätten.

Unvollständige Akten

Anfang November war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft seit März aufgrund einer Anzeige gegen Allert ermittelt. Dabei geht es zum einen um den Verdacht, das LaGeSo habe den Firmen Gierso und Pewobe, die wirtschaftlich verflochten sind, Aufträge zugeschustert. Zum anderen soll das Amt die Einhaltung von Verträgen nicht oder nur unzureichend kontrolliert haben – zulasten der Flüchtlinge, die in schlecht geführten Heimen leben müssen, und der Steuerzahler, die dafür viel Geld ausgeben. Rund 100 Millionen Euro wird die Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin dieses Jahr kosten, schätzt das LaGeSo.

Das Haus an der Kreuzberger Nordgrenze ist eigentlich ein Luxusheim. Es gibt Zweibettzimmer mit Bad und Balkon. Handläufe an den Wänden erinnern an die frühere Nutzung des Hauses als Seniorenwohnheim. Der Zustand der Böden und Wände erinnert daran, dass es gut gewesen wäre, vor der Neunutzung mal zu renovieren. Die Betten sind durchgelegen, die Decken, Bezüge und Handtücher, die den BewohnerInnen zur Verfügung gestellt werden, zerschlissen. In der großen Gemeinschaftsküche gibt es neben den Herden und einem Tisch nichts – kein Bild an der Wand, keine Pflanze, keine Farbe. Das Haus eines privaten Betreibers gehört mit einem Tagessatz von über 30 Euro zu den teuersten Flüchtlingsheimen der Stadt: 900 Euro pro Monat pro Bett – ein Luxusheim.

In der Tat fällt auf, dass es mit Gierso Boardinghaus mächtig bergauf ging, seit im November 2012 der damals 25-jährige Tobias Dohmen Geschäftsführer wurde, ein Ex-Model mit frischem BWL-Abschluss. Vorher betrieb die Firma ein Heim, heute sind es fünf. Auch die Pewobe, deren Geschäftsführer Hellmuth Penz vor 25 Jahren Gierso gründete und bis heute 25 Prozent der Firmenanteile hält, hat seither gut zugelegt: von drei auf acht Heime. Weil die Flüchtlingszahlen derzeit stark zunehmen, haben zwar auch andere Betreiber neue Heime übernommen. Doch keiner wuchs wie Gierso.

Das LaGeSo erklärt auf die Frage, warum es Verträge ohne Ausschreibung vergibt: „Regelmäßig werden Immobilien durch die potenziellen Betreiber selbst angeboten“, sodass die Objekte gar nicht ausgeschrieben werden könnten. Und müsse man wegen des Ansturms von neuen Flüchtlingen binnen Tagen eine neue Notunterkunft eröffnen, sei gar keine Zeit zum Ausschreiben. Das ist aber nur eine Seite: Wohlfahrtsorganisationen berichten, dass das LaGeSo auf ihre Angebote nicht reagiere (siehe Interview) oder sie sich an Ausschreibungen beteiligten und ohne Begründung ausgeladen würden.

In der Flüchtlingsunterkunft im Hedwig-Krankenhaus in Mitte markieren lustige Bilder die Türen der Waschräume und Klos, die Kinder von Nachbarschulen gemalt haben. Die Betten wurden von OberstufenschülerInnen des nahen Jüdischen Gymnasiums zusammengeschraubt, die Bettwäsche, mit der sie bezogen sind, gespendet. Es gibt ein Familienzimmer mit getrennten Schlafräumen für Eltern und Kinder, ein Mutter-und-Kind-Zimmer, einen Aufenthaltsraum nur für Frauen. Süßigkeiten und Topfpflanzen sind für die künftigen BewohnerInnen noch leerer Zimmer arrangiert. Ganz glücklich ist die Heimleitung Caritas dennoch nicht: Der Gemeinschaftsraum zum Essen wird zu klein sein, wenn das Haus voll ist. Größere Räume wurden vom Brandschutz gesperrt, weil sie am Ende zu langer Flure liegen – dort käme die Feuerwehr nicht hin.

Dass das LaGeSo immer wieder mit Pewobe und Gierso Verträge schließt, kann aber nicht nur an Allerts Patenschaft liegen. Firmengründer Hellmuth Penz ist ein alter Bekannter des Amts: Seit den 1980er Jahren ist er im Heimbusiness tätig. Mit seiner damaligen Firma Sorat betrieb er zeitweilig über 20 Heime für DDR-Übersiedler, Flüchtlinge und Obdachlose – neben seinen Geschäften im Bau- und Hotelbereich. Schon damals gab es Beschwerden über seine Heime.

Die seinerzeit zuständige SPD-Sozialsenatorin Ingrid Stahmer sagt, man habe auf Private zurückgegriffen, weil die Wohlfahrtsorganisationen allein den damaligen Ansturm von Übersiedlern nicht hätten bewältigen können. Probleme mit den Privaten habe es vor allem bei der sozialen Betreuung gegeben. „Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich daran gehalten wurde, wenn man denen genug zusetzte und alles vertraglich klar geregelt war.“

Fehlende Betreuung

Das scheint heute anders zu sein: Offenkundig halten sich Pewobe und Gierso nicht immer an Vereinbarungen, doch das LaGeSo setzt ihnen nicht besonders zu. So gab es 2013 unter anderem vom Flüchtlingsrat Beschwerden über fehlende Kinder- und Sozialbetreuung in Pewobe- und Gierso-Heimen. Solche Leistungen bezahlt das LaGeSo über den mit den Betreibern vereinbarten Tagessatz (siehe Kasten).

Dennoch war das Amt lange wenig daran interessiert, der Sache auf den Grund zu gehen. So schrieb im November 2013 ein Mitarbeiter des LaGeSo an Gierso: „Ich finde auch nicht, dass Sie in irgendeiner Form verpflichtet sind, anderen als uns nachzuweisen, dass Sie Ihre Verträge uns gegenüber erfüllen. Davon ist bis zum Beweis des Gegenteils auszugehen und das zu beweisen wäre hier Sache des Flüchtlingsrates.“

Zwar gab es aufgrund der Beschwerden tatsächlich Kontrollbesuche des Amts in einem Gierso-Heim in Moabit und einem Pewobe-Heim in Grünau. Aus den Begehungsprotokollen, die der taz vorliegen, geht auch hervor, dass das LaGeSo einiges monierte, etwa fehlende Seifenspender und Toilettenpapier, verdreckte Küchen oder zu wenig Waschmaschinen und Spültische. In puncto fehlende Kinderbetreuung waren die Kontrolleure jedoch handzahm: In Moabit begnügten sie sich damit, die Heimleitung zu befragen, ob und wie oft es Kinderbetreuung gebe. In Grünau stellten sie zwar fest, dass 0,85 Stellen hierfür nicht besetzt seien, fragten den Betreiber aber nur höflich, „ob eine Besetzung überhaupt sinnvoll ist und wann mit der Besetzung der Stellen zu rechnen ist“.

Handzahme Kontrolleure

Dass die Kontrollen des Amts weder gründlich noch effektiv sind, sagen auch ehemalige Pewobe-Mitarbeiter. Mindestens ein Termin sei vorab bekannt gewesen, so dass schnell geputzt und eine Mitarbeiterliste aufgehängt wurde. Zudem kontrolliere das Amt nicht mit nötigem Druck, ob Mängel behoben werden – sodass es etwa im Neuköllner Pewobe-Heim monatelang Probleme mit Warmwasserboilern und Schimmel gab.

Vom Schimmel in dem im März in Neukölln errichteten Flüchtlingsheim zeugen Fotos und Berichte von Besuchern. LaGeSo-Chef Allert weist den Verdacht zurück: Schimmel habe es in dem Heim nie gegeben. Das Protokoll einer Baubegehung mit Heimleitung und Heimbetreiber klingt anders: „Wände, Decken und Böden“ der Bäder seien „stark mit Wasser durchsetzt“, steht dort: „Hierdurch bildet sich Schimmel.“ Ein Protokoll des LaGeSo selbst weist noch andere Mängel nach: Dienstpläne gebe es nur für den Wachschutz, nicht für SozialarbeiterInnen und Betreuungspersonal. Informationstafeln für BewohnerInnen fehlten, ebenso Sichtschutz für die Duschkabinen, die von den Toiletten aus einsehbar seien. Kritisiert wird auch die massive Kameraüberwachung im Gebäude, durch die sich BewohnerInnen „stark eingeschränkt und überwacht“ fühlten. „Ebenso wird die Einbehaltung von Personaldokumenten von Besuchern“ für die Dauer ihres Aufenthalts im Heim als „kritisch und datenschutzrechtlich bedenklich“ eingeschätzt. Die ist in vielen Heimen privater Betreiber üblich.

„So können diese Firmen ihren Gewinn erhöhen“

GEORG CLASSEN, FLÜCHTLINGSRAT

Zudem berichten Exmitarbeiter aus verschiedenen Heimen von fiktiven Personallisten, monatelang nicht besetzten Sozialarbeiterstellen, einer ungelernten Putzfrau, die als Kinderbetreuerin arbeitete, Wachleuten, die Essen ausgeben, weil es keine Haushälterin gibt. Dazu spart die Pewobe offensichtlich bei den Lohnkosten: Sozialarbeiter bekommen nach taz-Informationen ein Bruttogehalt von 2.220 bis 2.500 Euro monatlich. Laut einem Vertrag, der der taz vorliegt, bekommt die Pewobe für diese Berufsgruppe vom Land aber 4.500 Euro.

Schummel beim Personal

All das vermittelt den Eindruck, dass es Pewobe und Giero vor allem ums Geld geht – nicht um das Wohl der Flüchtlinge und Mitarbeiter. Georg Classen vom Flüchtlingsrat ist überzeugt, dass es in vielen Heimen „auffällige Differenzen“ gibt zwischen dem vertraglich vereinbarten Personalschlüssel und den dafür angesetzten Lohnkosten und den tatsächlichen Verhältnissen. Er sagt: „So können diese Firmen ihren Gewinn erhöhen.“

Beim LaGeSo sorgte man sich dagegen lange vor allem darum, dass zu harsche Kritik die Betreiber vergrätzen könnte. Diese Zeiten scheinen nun vorbei – womöglich dank der Anzeige gegen Allert. Seit Juni, da wurde schon ermittelt, macht das LaGeSo Personalprüfungen bei Gierso und Pewobe. Wegen der fehlenden Kinderbetreuung in Moabit musste Gierso bereits 70.000 Euro zurückzahlen, Pewobe 100.000 wegen zu hoher Herrichtungskosten für ein Heim.

Zudem wurde der Gierso der Vertrag für das Heim in Moabit nach taz-Informationen gekündigt. Neuer Betreiber der Anfang 2013 eröffneten Notunterkunft, die mangels Alternativen offenbar zur Dauereinrichtung wird, wird ab Januar der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Noch eine Schlappe für Gierso: Für ein Objekt im Wedding, wo die Firma 400 Flüchtlinge unterbringen wollte, sucht das LaGeSo nun einen anderen Betreiber.

Ob dies einen grundsätzlichen Kurswechsel einleitet? Sozialsenator Mario Czaja erklärte im Juli, da hatte er gerade von der Affäre Allert erfahren, er wolle künftig mehr Heime in landeseigenen Immobilien unterbringen. Ob dabei andere, bessere Betreiber zum Zuge kommen werden, wird man sehen. Erst mal kommen die Containerdörfer. Und die Pewobe hat seit September drei neue Heime eröffnet.

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