: „Ich bin enttäuscht vom Kapitalismus“
Der Designer Peter Schmidt ist mit seiner Arbeit für Luxusmarken zu einem Star im Design-Geschäft geworden. Mittlerweile hat er sich der Kunst zugewandt und unter anderem die Bühne entworfen, auf der heute Abend in Neuengamme ein Konzert gespielt wird
PETER SCHMIDT, 69, arbeitete als Designer für zahlreiche Luxus-Marken, darunter Joop, Davidoff und Hugo Boss. Sein erstes Bühnenbild gestaltete er 1994 für das Ballett „Zwischenräume“ von John Neumeier.
taz: Herr Schmidt, was passiert heute Abend in der Gedenkstätte Neuengamme?
Peter Schmidt: Es ist eine Bühne aufgebaut, die einen aufgerissenen Kreis darstellt. Es sind Keile, die da entstehen und sich dann aber wieder zu einem Kreis fügen. Auf diesen Keilen sitzen die Musiker und die Besucher sehr nahe zusammen, so dass es keine Trennung gibt. Das ist ganz unfeierlich. Auf dem Programm stehen dann Lamenti, also Klagegesänge, von Komponisten wie Monteverdi, Górecki, Berlioz oder Mahler.
Nun sind Sie neben der Musikauswahl vor allem auch für die Bühne verantwortlich. Wofür steht der Kreis?
Der Kreis steht symbolisch für die Hoffnung, dass wir uns irgendwann einmal auf dieser zerstörten Erde zusammenfinden. In Neuengamme ist das natürlich eine ganz besonders wichtige Hoffnung bei dem Schrecken, den der Ort erlebt hat. Es geht mir darum, Formen zu finden und denen entgegenzusetzen, die in einem Fußballstadion oder auf einer Galopprennbahn stattfinden.
Das klingt nach einer Mission über den heutigen Abend hinaus.
Ich merke immer mehr, dass Konzerte gar nicht mehr den Inhalt rüberbringen wollen, sondern immer mehr zu Spektakeln werden. Der Versuch, die Menschen auf etwas zu konzentrieren, ist in der heutigen Zeit enorm wichtig. Ich erlebe immer mehr, dass kein Mensch mehr zuhört und sich besonders junge Menschen keine Viertelstunde mehr konzentrieren können.
Woher kommt der Mangel an der Fähigkeit zur Konzentration?
Daher, dass wir ein Überangebot an Bildern und Informationen haben. Wir stellen das, was um uns herum so laut passiert, über das, was uns eigentlich berührt. Es ist so grell, dass wir das, was dahinter ist, nicht mehr wahrnehmen. Wir verlieren die Ruhe, die dann auch Erkenntnisse möglich macht. Selbsterkenntnis, wenn’s geht.
Nun haben Sie lange Jahre große Erfolge als Designer für Markenartikel gehabt, kommen also aus einem Metier, das auf Aufmerksamkeit und Prestige zielt. Ein Widerspruch zu Ihrer jetzigen Arbeit?
Das ist ein enormer Widerspruch. Aber ich habe mich in den letzten Jahren schon bei den Ausstellungen „Verstummte Stimmen“ und „Viermal Leben“ mit dem Holocaust beschäftigt. Dadurch, dass ich so lange als Designer tätig war, habe ich das Wissen, wie man mit bestimmten Dingen umgehen kann. Also auch, wie man nicht laut ist – was sie beim Design ja sein müssen.
Arbeiten Sie noch als Designer?
Ich habe noch ein paar Kunden und Mitarbeiter. Meine Firma habe ich aber verkauft, so dass ich die neuen Dinge mit größerer Ruhe machen kann: Nächste Woche ist schon wieder eine Premiere, diesmal Tschechows „Möwe“ am Ernst-Deutsch-Theater.
Kunst statt Design: Werden Sie bei diesem Bruch bleiben?
Ich hoffe, dass daraus ein ganz starker Bruch wird. Ob er schon gelungen ist, glaube ich nicht sagen zu dürfen.
Würden Sie Ihr Berufsleben anders angehen, wenn Sie nochmal am Anfang stehen würden?
Ja. Aber die Möglichkeiten waren gar nicht gegeben, als ich anfing. Das hat mit der Biographie zu tun: Für meine Eltern war es ja schon schwer zu verkraften, dass ich Designer werden wollte. Wenn ich dann noch gesagt hätte, ich will darüber hinausgehen, und Kunst machen… Aber vielleicht muss man im Leben sehr viel lernen, um dann im Alter so zu sein, wie man sein kann. Vielleicht sind solche Brüche auch notwendig.
Was passierte, als Sie mit Ihrem Design-Background in der Künstlerszene anfingen?
Es gab wütende Proteste, als ich anfing, szenisch zu gestalten. Wie ein Fremder wurde ich im Feuilleton attackiert. Das hat sich aber völlig gelegt, vor allem durch die Arbeit mit John Neumeier und Kent Nagano. Vielleicht hat sich aber nicht nur die Kritik verändert, sondern ich habe mich verändert. Das wäre ja auch schön.
Inwiefern?
Vielleicht habe ich dann doch durch das Grelle hindurch schauen können und habe dahinter etwas entdeckt, was mir bisher nicht erlaubt war zu sehen.
Sie meinen die Ruhe?
Die Ruhe und die ganz entscheidende Frage, die wir uns heute stellen müssen und die mich Tag und Nacht bewegt: dass wir so wahnsinnig viel wissen und das Wissen nicht nutzen, um Erkenntnisse zu gewinnen. Bisher gab es immer nur Teilkatastrophen. Aber wenn wir jetzt nicht mit dem Wissen, das wir haben, zur Umkehr kommen, dann habe ich keine Hoffnung mehr für uns.
Wovon sollen wir umkehren?
Wir brauchen in allen Bereichen, in ökologischen, politischen und sozialen, dringend eine Umkehr. Als Mithelfer im Kapitalismus bin ich völlig enttäuscht von dem Ergebnis, das der Kapitalismus gebracht hat. Und als Pazifist bin ich verzweifelt, was passiert.
Ihr Vorschlag, wie sich an den Verhältnissen etwas ändern ließe?
Es geht nur durch Vorbilder und dadurch, dass sich Vorbilder zusammentun. Es reicht nicht, wenn einer aufsteht, es müssen immer mehrere aufstehen.
Welches sind Ihre Vorbilder?
Mein Vorbild ist leider nicht der zurzeit amtierende Papst. Das ist mein Nicht-Vorbild, weil er unversöhnlich ist. Mein Vorbild ist dann schon eher der Dalai Lama, der die Konflikte der Welt friedlich lösen möchte.
INTERVIEW: KLAUS IRLER
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