: Der Rüttgers der SPD
Schlechte Umfragewerte, unausgegorenes Kungeln mit der Linken: Vermintes Gelände für Wolfgang Jüttner, den Spitzenkandidaten der niedersächsischen Sozialdemokraten. Da stellt er lieber weiter Schattenminister vor
„Mein politischer Gegner im Land heißt Wulff und nicht Dehm“, sagt Wolfgang Jüttner. Immer wieder muss sich der SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Niedersachsen die lästige Frage gefallen lassen, wie er es mit der Linken hält. Bislang sagte Jüttner, die Frage nach einer Koalition mit der Partei unter der Führung von Diether Dehm stelle sich nicht, weil die Linke nicht über die Fünf-Prozent-Hürde und damit nicht ins Parlament käme. Über dieses „Rumgeeiere“ freute sich die CDU, weil sich mit der Angst vor „Kommunisten“ und einem „Rotfront“-Bündnis prima Wahlkampf machen lässt.
Nach dem Fusionsparteitag der Dehm-Truppe an diesem Wochenende hat sich das Blatt für Jüttner offenbar gewendet: Die „Ernsthaftigkeit und Integrität dieser Organisation“, packte Jüttner die Linken auch verbal mit spitzen Fingern an, lasse sie für eine Koalition als „nicht geeignet erscheinen“. Diese „Gruppe am Rande“ agiere zu populistisch. Kungeln mit den Linken? „Für so bekloppt können Sie mich nicht halten.“ Sein Fazit: „Wer Wulff nicht will, braucht keinen Protest zu wählen.“
Nun gut: Auch Dehm und die Linkspartei haben ein Zusammengehen mit der Jüttner-SPD nach der Wahl im Januar ausgeschlossen – und keine Gelegenheit ausgelassen, auf den Sozialdemokraten herumzuhacken: „Unzuverlässig“ und „unsozial“ sei die SPD, Jüttner attackiere die Landesregierung nicht genug. Aber: Eine Tolerierung eines rot-grünen Bündnisses in Hannover hält Dehm für möglich.
Jüttner äußerte sich auch am Dienstag nicht zu dieser Konstellation. Auch ihm ist jedoch klar, dass seine SPD nur dann eine Möglichkeit hat, sich an der Regierung zu beteiligen, wenn die Linke ins Parlament kommt. Seine Optionen: Entweder eine große Koalition mit der CDU, vielleicht würde der 59-Jährige dann Kultusminister. Oder eben mit Rot-Grün als Ministerpräsident von Gnaden Dehms.
Zugegeben: Derzeit sehen die Umfragen nicht nur Schwarz-Gelb vorn, Jüttners Popularitätswerte sind zudem gruselig: Nur 17 Prozent der Niedersachsen würden sich bei einer Direktwahl für ihn entscheiden, 61 dagegen für seinen Kontrahenten, Ministerpräsident Christian Wulff. Jüttner kontert, Jürgen Rüttgers sei in Nordrhein-Westfalen ähnlich unpopulär gewesen – und dann doch CDU-Regierungschef geworden.
Da Umfragen und Linkspartei für die SPD vermintes Gelände sind, stellte Jüttner am Dienstag lieber drei Neue für sein „Niedersachsenteam“ vor, alles Mitglieder der SPD-Fraktion. Gabriele Andretta (46) ist die neue Schattenministerin für Hochschulpolitik, Heiner Bartling (61) soll das Innenressort, Uwe Schwarz (50) die Bereiche Soziales und Gesundheit steuern. Unlängst war der einstige Ver.di-Landeschef Wolfgang Denia für Arbeitsmarktfragen ins Schattenkabinett berufen worden. Bis Mitte Oktober will Jüttner weitere Minister-Kandidaten präsentieren: Externe Experten, wahrscheinlich für die Ressorts Bildung, Umwelt und Wirtschaft.
Als „verlorene Jahre“ verbuchte Andretta die Amtszeit von Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU). Seit 2003 seien 6.000 Studienplätze gekürzt worden, Stratmann habe sich „zum Handlanger des Finanzministers“ gemacht. Ihr Ziel: Studiengebühren weg, Öffnung der Hochschulen für Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung. Bartling, der bereits von 1998 bis 2003 Innenminister war, bezeichnete die Politik seines Nachfolgers Uwe Schünemann (CDU) als unseriös, der „schwadroniere“ zu viel. Sozialpolitik sei für ihn „das Herz der Sozialdemokratie“, betonte Schwarz. Er will sich gegen Kinderarmut und für einen regelmäßigen Armutsbericht einsetzen. KAI SCHÖNEBERG
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