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Hier sollen Milch und Honig fließen

LEBENSMITTEL II Bei der „Wir haben es satt!“-Demo protestierten mehrere Zehntausend gegen Massentierhaltung und Gentechnik

„Die tägliche Einkaufsentscheidung ist unsere Waffe!“

HUBERT WEIGER, BUND

Überall in der Hauptstadt hingen seit Wochen auffällig orange Plakate, die eine Agrarwende forderten. Selbst über die Bildschirme der U-Bahn flimmerte die Botschaft „WIR HABEN ES SATT!“ Die fünfte Protestaktion dieser Art wurde von 120 Organisationen unterstützt, darunter von BUND, Brot für die Welt und Nabu. „Hier demonstrieren Geflügelhalter mit Tierrechtlern, hier stehen Biolandwirte mit konventionellen“, kommentierte Christoph Bautz, Geschäftsführer der Öko-Organisation Campact.

Fast jeder der Demonstranten – die Polizei spricht von 25.000, die Veranstalter von 50.000 Teilnehmern – trägt ein Transparent mit sich, mal aufwendig bedruckt, mal provisorisch aus Ästen und Pappe zusammengezimmert. Die meisten Botschaften richten sich gegen TTIP. „Saatgut gehört in die Hände der Bauern, nicht in die Patentkammern der Konzerne“, sagt eine besorgte Bäckerin auf der Bühne. Ein Imker wünscht sich „ein Land, in dem Milch und Honig fließen“.

„Eine zukunftsfähige Agrarpolitik ist heute keine Politik mehr von Bauern für Bauern, sondern muss die Anliegen des Umwelt- und Verbraucherschutzes berücksichtigen“, stimmte Nabu-Präsident Olaf Tschimpke die Menge bei der Auftaktkundgebung am Potsdamer Platz ein. Immer mehr Menschen hätten es satt, dass die Brüsseler Agrarmilliarden gießkannenartig in die Landwirtschaft flössen und damit immer noch Betriebe gefördert würden, die durch großflächigen Maisanbau, Pestizideinsatz und Massentierhaltung der Umwelt schaden. „Wer TTIP sät, wird Gentechnik ernten“, mahnte Demo-Sprecher Jochen Fritz und erntete tosenden Beifall. Viele Menschen befürchten, durch das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA wesentliche Qualitätsstandards zu verlieren.

„Grüne Woche in Berlin, da geht gern die Lobby hin!“ Die Abneigung gegen die weltweit größte Agrarmesse ist deutlich spürbar, als 90 Trecker die Messe passieren, um dann den Demonstrationszug durch die Innenstadt anzuführen. Gegen 12.30 Uhr ziehen die Demonstranten durch das Regierungsviertel. Indem sie „für bäuerliche Landwirtschaft, die uns alle satt macht“ eintreten, werden auch die Landwirte in die Veranstaltung integriert. Der Bauernverband hatte parallel zur Gegendemo „Wir machen Euch satt!“ aufgerufen. Erschienen sind jedoch nur etwa 500 Teilnehmer. „Lieber Herr Rukwied“, richtete Bautz einen Appell an den Bauernpräsidenten, „Sie werden es nicht schaffen, Verbraucher und Bauern gegeneinander auszuspielen.“ Rukwied hatte die Proteste jüngst als „unanständig“ bezeichnet.

Gegen 14 Uhr erreichen die Ersten das Bundeskanzleramt, vor dem eine große Bühne steht. Demonstrativ kegeln zwei Demonstranten, verkleidet als Kanzlerin Angela Merkel und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, mit einem riesigen Ball Schachfiguren um. Auf dem Ball prangen die Logos von Monsanto, Bayer und BASF. Die Figuren stellen Bauern dar.

In den abschließenden Reden geht es noch einmal um die Schließung großer Tierfabriken, den Boykott des umstrittenen Freihandelsabkommens TTIP. Redner Georg Janßen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft sagt: „Die Erzeugerpreise von Schweinefleisch mit 1,30 Euro pro Kilo und Milchpreise von 28 Cent pro Liter sind strukturzerstörend.“ Hubert Weiger vom BUND fordert die Aktivisten auf: „Die tägliche Einkaufsentscheidung ist unsere Waffe!“ JULIAN GUTBERLET

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