: „Ich hasse Pseudostars“
BERND SCHRÖDER
Bernd Schröder ist eine beeindruckende Figur: zwei Meter groß, riesige Torhüterhände, tiefe Stimme. Keine schlechten Voraussetzungen für seinen Job. Schröder ist Fußballtrainer, ein ganz besonderer dazu: Der 65-Jährige kennt viele Spielerinnen der deutschen Frauen-Nationalmannschaft, die derzeit im Halbfinale der Weltmeisterschaft in China steht, persönlich. Seit mittlerweile 36 Jahren trainiert er die Frauen von Turbine Potsdam, zweimal holten Sie in der Bundesliga den Meistertitel, einmal den Uefa-Cup. Und nicht nur auf dem Platz brauchte der Bergbau- und Energiewirtschaftler Geschick: Zu DDR-Zeiten ertrickste er seinen Teams auch schon mal Reisen zu Turnieren mit dem Klassenfeind
INTERVIEW JON MENDRALA UND ULRICH SCHULTE
taz: Herr Schröder, der Deutsche Fußball-Bund meldete den furiosen 11:0-Auftaktsieg der deutschen Frauen gegen Argentinien auf seiner Homepage an vierter Stelle – davor kam das Freundschaftsspiel der Männerelf gegen Rumänien. Ist das typisch?
Bernd Schröder: Das verwundert mich eigentlich. DFB-Präsident Theo Zwanziger ist bekennender Frauenfußballfan und selbst als Delegationsleiter mit nach China gereist. Ich vermute, das war schlampige, oberflächliche Berichterstattung, keine gewollte Zurücksetzung.
Warum schafft es Frauenfußball nur zur WM in die Massenmedien?
Entscheidend ist das Produkt. Das Produkt „Frauenfußball“ ist noch nicht attraktiv genug. Es darf nicht die Nationalmannschaft allein sein, auch nicht nur die Bundesliga – auch die Zweite Liga und die Regionalliga gehören dazu. Wenn Sie allerdings schauen, was in den unteren Klassen geboten wird, wird Ihnen schwindlig. Wir müssen das Produkt deutlich verbessern, dann hält es sich auch langfristig in der Berichterstattung. Von der WM versprechen wir uns natürlich Rückenwind, auch wenn Frauenfußball nie so dominant sein wird wie Männerfußball. Da darf man sich keine Illusionen machen.
Wie könnte man das „Produkt“ Frauenfußball verbessern?
Das ist schwierig. Zum Vergleich: Bei zweitklassigen Männerspielen kommen zehntausende Zuschauer, bei Turbine haben wir im Schnitt 1.000, was im Frauenbereich sehr ordentlich ist. Die Spielerinnen haben – jenseits der WM – kaum Chancen, sich darzustellen. Der Kicker und andere Zeitungen sagen uns: Wenn wir nur Ergebnisse liefern, interessiert das keinen. Die wollen Storys, die wollen Zirkus, die wollen Starrummel. Dann kommen auch bescheuerte Fragen wie „Warum machen die keinen Trikottausch?“ Solche platten Klischees bedienen wir nicht. Ich finde, dass eine kontinuierliche Aufbauarbeit in den Vereinen entscheidend ist, damit die Qualität in der Breite verbessert wird.
Bei der WM spielen 16 Teams den Titel aus, im nächsten Turnier sind es vielleicht 24. Ist das sinnvoll?
Nein. In der Vorrunde sieht man schon die krassen Leistungsunterschiede. Wenn man das 0:11 der Argentinierinnen gesehen hat, dann fragt man sich natürlich: Was hat diese Mannschaft vor dem Turnier ausgezeichnet? Beim Spiel Neuseeland gegen Brasilien lagen die Neuseeländerinnen ab der 60. Minute mit Krämpfen am Boden. Mehr Mannschaften bei der WM würden die Qualität nach unten drücken
Wäre das so schlimm? Bei den Männern spielen auch schlechtere Mannschaften mit.
Frauenfußball muss als Leistungssport verstanden werden, er muss eine eigene Philosophie entwickeln. Wenn man ein schwach besetztes Turnier organisiert, muss man sich nicht wundern, dass man keine neuen Fans hinzugewinnt. Frauenfußball ist eine „andere“ Sportart, das sollten wir auch so praktizieren. Wir müssen uns vom Männerfußball abheben. Das hat nichts damit zu tun, den Männerfußball zu verdammen – aber wir wollen und müssen anders sein.
Was ist der Reiz des Frauenfußballs?
Wir verbinden Taktik mit spielerischer Finesse. Bei der WM der Männer im vergangenen Jahr hat eindeutig das System über die Spielkunst obsiegt. Wir hingegen wollen möglichst offensiv und attraktiv spielen, wollen viele Tore schießen. Frauen sind zudem sympathischer auf dem Platz. Theatralische Stürze nach leichten Berührungen und Rudelbildung bei Entscheidungen des Schiedsrichters werden Sie im Frauenfußball nicht finden. Bei unseren Spielen schaut auch eine andere Klientel zu – junge Familien mit Kindern, ältere Menschen.
Bei den Männern gibt es die großen Traditionsduelle, etwa Schalke gegen Dortmund. Gibt es das in der Frauen-Bundesliga auch?
Wenn Turbine Potsdam gegen den FFC Frankfurt spielt, ist das ähnlich. Da treffen nicht nur unterschiedliche Spielsysteme aufeinander. Die Frankfurterinnen haben die Commerzbank als Hauptsponsor, sie kommen aus der Stadt des Finanzkapitals. In Potsdam, einer Stadt mit Geschichte und viel Kultur, trägt der Verein den Namen einer ehemaligen Betriebssportgemeinschaft: Turbine. Bei Turbine setzen wir auf junge, aufstrebende Spielerinnen aus der Region – in Potsdam sitzt das einzige Fußballnachwuchsinternat für Mädchen. Frankfurt schickt eine Ansammlung von Stars auf den Platz. Nichts gegen Frankfurt, beide Modelle sind für die Liga wichtig.
Aber in Ihrer Mannschaft spielen auch immer wieder Stars, etwa Conny Pohlers, die im August nach Frankfurt ging. Geht es überhaupt ohne?
Natürlich wachsen auch bei uns irgendwann „Stars“ heran. Spielerinnen, die glauben, sie hätten was erreicht, weil sie Titel im Verein und der Nationalmannschaft gewonnen haben. Mich stört der Begriff „Star“ ohnehin maßlos. Die Torschützenkönigin steht nur im Rampenlicht, weil ihr die Bälle jemand aufgelegt hat, ihr zugearbeitet hat. In einer guten Mannschaft muss ein Kettenglied ins andere passen. Hier kommt mein Lieblingswort ins Spiel: Respekt. Jede Spielerin muss Respekt zeigen. Vor dem Verein, dem Trainerstab, der medizinischen Abteilung – und auch vor den anderen Spielerinnen.
Wie sind Sie eigentlich Trainer im Frauenfußball geworden?
Anfang der 70er wurden in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen Frauenfußballmannschaften gegründet. Bei uns im Betrieb hing plötzlich ein Zettel: „Wir gründen eine Betriebssportgemeinschaft für Frauenfußball, Treffpunkt im Clubhaus.“ Ich hatte nichts damit zu tun, war nur zufällig da, als die sich trafen. Es waren so 40 Mädels, die standen da mit großen Augen und dachten, jetzt kommt der Cheftrainer und sagt: „Morgen ist das erste Spiel.“ Doch es gab keinerlei Vorbereitung. Nichts.
Nur Sie.
Ich habe mehr oder weniger aus Trotz gesagt, ich mach das. Trainer zu sein, oder Personalchef zu sein ist immer eine Charakterfrage. Es gibt viele Leute, die reden über Verantwortung und nehmen sie dann nicht wahr. Dabei ist es wie in Goethes „Zauberlehrling“: Wenn sie einmal in Verantwortung stehen, müssen sie das auch wahrnehmen. Ich bin jetzt 39 Jahre verheiratet, das ist auch Verantwortung – trotzdem hat es meine Frau nicht immer leicht gehabt, weil ich ständig unterwegs war.
Sie sind täglich von jungen Frauen umgeben. Wie geht es Ihrer Frau damit?
Ich war über 25 Jahre in leitender Stellung bei einem Energieversorger. Unter meinen Angestellten waren über 200 Frauen, da muss man natürlich etwas aufpassen, dass man sich nicht in die Nesseln setzt. Aber meine Frau hat die Anfänge des Frauenfußballs unglaublich mitgelebt. Und heute ist die Situation ja noch anders, meine Spielerinnen könnten ja alle meine Enkelinnen sein. Ich denke, ein Verhältnis wie bei Lehrer und Schülerin ist oft vorhanden.
Sind Sie ein Frauenversteher?
Jede Mannschaft ist ein Querschnitt der Gesellschaft. Sie haben hochintelligente Leute dabei, etwa Studentinnen, ganz normale, die ihre Ausbildung machen, und solche, die weniger helle sind. Dazu kommen fast schon Generationsunterschiede, es spielen ja 16-jährige mit 30-jährigen Frauen zusammen. Dann ist viel Psychologie im Spiel: Wie läuft es in der Familie, wie in der Schule? Hängen damit Leistungsabfälle zusammen? Als Trainer darf man nicht nur die Spielerin sehen, sondern auch die Psyche der Frau, sonst geht es nicht.
Sie gelten als autoritär, in letzter Zeit haben viele Spielerinnen den Verein verlassen. Liegt das an Ihnen?
Ich würde meinen Stil eher charismatisch nennen. Einige etablierte Spielerinnen wie Conny Pohlers sind bei uns von klein auf dabei – und hatten irgendwann das Gefühl, die Nase hoch tragen zu müssen, weil sie Weltmeister wurden. Ich hasse Pseudostars. Nationalspielerin oder Nachwuchsspielerin, ich behandle alle gleich. Wenn eine denkt, sie ist etwas Besseres, hat sie ein Problem.
Herr Schröder, sind sie ein Auslaufmodell?
Ganz ehrlich: Ja, ich denke schon. Vor allem was die Art und Weise betrifft, eine Mannschaft zu führen und den Spielerinnen Disziplin und Demut abzufordern. Natürlich stellt man sich auch die Frage, ob man bei den voranschreitenden Veränderungen der modernen Gesellschaft immer das richtige Wort findet. Aber es gibt immer Renaissancen, was die Philosophie des Arbeitens, des Miteinanders anbelangt.
Die Nationalmannschaft wird von einer Frau, Silvia Neid, trainiert. Werden in Zukunft mehr Frauen an der Seitenlinie stehen?
In der Bundesliga fallen mir nur zwei Vereine mit einer Trainerin ein, Bayern München und Wattenscheid. Ansonsten nur Männer. Insofern würde es mich sehr wundern, wenn irgendwann nur noch Frauen auf den Trainerbänken säßen. Wir haben ja schon viele Versuche gestartet, das zu ändern. Aber im Frauenfußball gibt es einfach weniger Fördermöglichkeiten als bei den Männern.
Zu DDR-Zeiten gab es keine richtige Meisterschaft. Wie haben sie es geschafft, auf Turnieren auch gegen Mannschaften aus dem „kapitalistischen Ausland“ zu spielen?
Wenn uns die Tschechen, Polen oder Ungarn eingeladen haben, stand auf der Liste immer, wer noch an den Turnieren teilnimmt. Bei uns ist das nie über die offiziellen Stellen wie den Deutschen Turn- und Sportbund, den DTSB, gelaufen. Denn wenn die die Einladungen in die Finger bekamen, war das sportpolitisch dokumentiert. Wir haben die Briefe vorher im Verein geöffnet. Wenn Mannschaften aus Italien, Österreich oder Holland dabei waren, haben wir die Einladungen mit der Bitte zurückgeschickt, intern eine andere Teilnahmeliste zu schreiben. Oder wir haben die Liste gleich selber so verändert, dass nur Ostblockländer bei diesen Turnieren gemeldet waren.
Und das flog nicht auf?
Ab und zu. Manchmal mussten wir einen Sportfunktionär mitnehmen, das gab dann Riesenprobleme. Einmal mussten wir sogar eher abreisen. Ich bin auch mal für ein Jahr gesperrt worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen