: Den „Klartext“ redet jetzt ein anderer
ERBE Raed Saleh, Fraktionschef der SPD, steht politisch in der Nachfolge von Heinz Buschkowsky. Allerdings bezieht er die Legitimation für markige Sätze aus der eigenen Biografie
■ Seit 2001 war er das Gesicht Neuköllns und damit weit über Berlin hinaus bekannt. Nun hat Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) seinen Rücktritt zum 1. April angekündigt – aus gesundheitlichen Gründen. Am Dienstag bat er den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), ihn in den Ruhestand zu versetzen. Schon Ende nächster Woche ist sein letzter Arbeitstag. Danach baut der 66-Jährige Resturlaub ab.
■ Seine Nachfolgerin wird voraussichtlich die bisherige Neuköllner Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD). Sie soll nach eigenen Angaben am 2. März auf einer SPD-Kreisdelegiertenkonferenz für das Amt der Bezirksbürgermeisterin nominiert und in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 15. April gewählt werden. Gegenkandidaten gebe es nicht. Die Verantwortung für das Bildungsressort möchte sie dann abgeben: „Ich halte von solchen Nebenbei-Geschichten nichts“, sagt Giffey.
■ Buschkowsky, der zum rechten Flügel seiner Partei gehört, war mit seiner Vorliebe für steile Thesen bundesweit bekannt geworden und in Talkshows sowie Boulevardblättern regelmäßig präsent. Schon 2004 hatte er verkündet: „Multikulti ist gescheitert.“ Fördern ohne fordern funktioniere nicht. Kernige Sätze wie „Kommt das Kind nicht zur Schule, kommt das Kindergeld nicht aufs Konto“ gefielen nicht allen Sozialdemokraten. Bundesweites Aufsehen erregte Buschkowsky auch mit dem von ihm eingeführten Wachschutz an einigen Schulen.
■ Eigentlich hat der 66-Jährige schon seit eineinhalb Jahren das Pensionsalter erreicht. Doch er ließ sich nach seinem 65. Geburtstag im Sommer 2013 von der Neuköllner BVV seine Amtszeit bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2016 verlängern. Dabei war allerdings klar, dass er vor dem Ende der Legislaturperiode abtreten würde – allein schon, um seiner Nachfolgerin eine Chance zu geben, sich im Amt zu profilieren. (dpa, taz)
VON BERT SCHULZ
Die Pressemitteilung kam schnell: „Heinz Buschkowsky ist ein verdienstvoller Bezirksbürgermeister mit bundesweiter Bekanntheit“, ließ SPD-Fraktionschef Raed Saleh unmittelbar nach der Rücktrittsankündigung des Neuköllner Rathauschefs am Dienstagnachmittag mitteilen. Bis dahin klang es nach einer eher zurückhaltenden Würdigung des scheidenden Bürgermeisters vom rechten SPD-Flügel. Doch Saleh, der sich gern als Linker bezeichnet, schob einen Satz nach, der eine gewisse Verwandtschaft ausdrückt, nicht unbedingt im Geiste, aber in der Art, Politik zu machen: „Er redet immer Klartext, und ich freue mich besonders, dass die Partei gelernt hat, ihm zuzuhören.“
Übersetzt heißt das: „Auch ich rede gern Klartext – und hoffe, dass mir die Partei bei meinen Law-and-Order-Fantasien folgt.“
Saleh ist einer von Heinz Buschkowskys Erben in der Berliner SPD. Etwa, wenn es darum geht, auch Menschen mit Migrationshintergrund daran zu erinnern, dass „Regeln eingehalten werden“ müssen oder „mehr Respekt vor der Polizei“ angebracht wäre. Manche Sozialdemokraten – auch jene, die sich wie Saleh eher dem linken Flügel zurechnen – formulieren das gern etwas verklausuliert und scheuen die direkte Ansprache einer Klientel. Saleh nicht: „Natürlich gibt es auch bei zu vielen Jugendlichen mangelnden Respekt [vor der Polizei], und wenn man in Berlin von Jugendlichen spricht, dann sind darunter auch Migranten“, sagte er der taz Anfang vergangenen Jahres. Und in der Berliner Morgenpost erklärte er im Herbst: „Ich habe mir abgewöhnt, Sachen zu verschweigen. Wenn man merkt, etwas läuft schief, muss man die Schnauze aufmachen.“
Der 37-jährige Fraktionschef liebt solche markigen Sätze, genau wie Buschkowsky. Man merkt ihm die geradezu diebische Freude an, wenn er damit bei der klassischen Klientel des Koalitionspartners CDU und speziell bei Innensenator Frank Henkel zu punkten versucht. Anders als Buschkowsky weiß Saleh Auftritte dieser Art aber besser zu dosieren – er will sich in der Öffentlichkeit nicht darauf reduzieren lassen –, und er erkennt auch genau, wann es vorteilhafter ist, mal für eine Weile abzutauchen. Es gibt auch einige, auf den ersten Blick überraschende inhaltliche Übereinstimmungen, vor allem in der Bildungspolitik: Saleh wie Buschkowsky setzen sich zum Beispiel für eine Kitapflicht ein, um sogenannte bildungsferne Schichten früher ans staatliche Bildungssystem heranzuführen.
Heinz Buschkowsky hat sich seine meist steilen Thesen erlaubt, weil er Bürgermeister von Neukölln war und der Norden des Bezirks vor allem in den ersten Jahren seiner Amtszeit keineswegs als Hipsteroase bekannt war, sondern als sozial schwierige Wohngegend. Saleh hingegen, der sich im Herbst vergeblich um die Nachfolge von Klaus Wowereit auf dem Posten des Regierenden Bürgermeisters beworben hatte, bezieht die Legitimation für solche Sätze auch aus seiner Biografie: Dem im Westjordanland geborenen Berliner ist es gelungen, sich aus nicht ganz einfachen Verhältnissen hochzuarbeiten. Seit 2006 ist er in Spandau direkt gewählter Abgeordneter des Landesparlaments. Sein Wahlkreis besitzt wie Neukölln mehrere sozial sehr schwierige Viertel, in denen vielen jungen Menschen ein Aufstieg nach Saleh’scher Art eben nicht gelingt. Und der SPD-Fraktionschef kennt genügend davon aus seiner politischen Arbeit im Kiez persönlich.
Die SPD schmückt sich ja ganz gern mit solchen Ausflügen ins konservativ-bürgerliche Milieu, wie auch der zaudernde Umgang mit Thilo Sarrazin und seinen kruden Thesen beweist – wobei Saleh einer der Ersten war, der den einstigen Berliner Finanzsenator aus der Partei werfen wollte. Manche SPDler argumentieren, in einer Partei, die immer noch den Anspruch erhebt, Volkspartei sein zu wollen, sei das auch nötig. Von daher darf sich Raed Saleh durchaus Hoffnungen machen, dass seine Partei ihm beim Klartextreden zuhören wird. Und dass er, anders als Heinz Buschkowsky, auf einen weiteren Karrieresprung hoffen kann.
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