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Ausgedacht und vorgeführt

LOBBY Vor einem Jahr feierten die Atomkonzerne einen Riesenerfolg: Der Bundestag beschloss, dass ihre Reaktoren länger laufen dürfen. Wie kam es dazu? Wir haben das rekonstruiert – aus internen Dokumenten

Gedrehte Meinung

■  Der Beschluss: Vor einem Jahr, am 28. Oktober 2010, beschloss der Deutsche Bundestag nach hitziger Debatte mit den Stimmen von Union und FDP die Verlängerung der Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke. Der Bundestag kippte damit ein Gesetz von 2002, mit der die damalige rot-grüne Koalition den Ausstieg aus der Kernenergie umgesetzt hatte. Erst nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima nahm Schwarz-Gelb die Geschenke an die Atomkonzerne wieder zurück.

■  Die Kampagne: Im deutschen Atomforum haben sich die vier Konzerne zusammengeschlossen, die in Deutschland Atomkraftwerke betreiben: Eon, RWE, EnBW und Vattenfall. Das Atomforum hat Anfang 2008 eine Lobbykampagne in Auftrag gegeben, um einen Meinungsumschwung in Deutschland für die Atomkraft zu erreichen. Der Auftrag ging an die Agentur Deekeling Arndt Advisors.

■  Die Dokumente: Die Geschichte der Atomkampagne beruht auf Dokumenten, die der taz zugespielt und von uns nachrecherchiert wurden. Auf den 79 Seiten skizziert die Agentur Deekeling Arndt die Grundzüge der Kampagne und bilanziert die einzelnen Maßnahmen nach ihrer Umsetzung. Wir stellen die Unterlagen auch zum Download auf www.taz.de/rechercheblog

VON MARTIN KAUL UND SEBASTIAN HEISER IllUSTRATION CHRISTIAN BARTHOLD

Dieser Tag war der Beginn einer gewaltigen Aufgabe. Es ging um viel Geld, hier in den Räumen des Deutschen Atomforums am Robert-Koch-Platz 4 in Berlin-Mitte. Es ging um die Frage, wer von den eingeladenen Herren die beste Märchenfabrik besitzt. Und es ging um eine große neue, eine wichtige Erzählung.

In den nüchtern gehaltenen Räumen hatte das Atomforum, Lobbyorganisation der vier deutschen Atomkonzerne, im Frühjahr 2008 einen „Pitch“ angesetzt. Mehrere Agenturen bewarben sich mit ihren Konzepten für eine millionenteure Kampagne. Es hörten zu: Der Generalbevollmächtigte des Atomforums, Dieter Marx, mit einer Handvoll Mitarbeitern. Die Betreiber der deutschen Atomkraftwerke – RWE, Eon, Vattenfall und EnBW – schickten ihre Kommunikationsexperten. Wer bei dieser Bewerbungsrunde den Zuschlag für den begehrten Auftrag erhielt, wurde mit einer Mission betraut, die jeden Werbefachmann reizen musste. Denn der Auftrag hieß übersetzt: aus Stroh Gold zu spinnen.

Eigentlich war die Atomkraft in Deutschland beerdigt. Die Konzerne selbst hatten zehn Jahre vorher im Atomkonsens mit der rot-grünen Regierung das Ende ihrer Meiler besiegelt. Dies sollte sich nun ändern.

Am Ende ging der Job an die Lobbyagentur Deekeling Arndt Advisors aus Düsseldorf mit ihren rund 70 Mitarbeitern und gut 13 Millionen Euro Jahresumsatz in der „strategischen Kommunikationsberatung“. Und ihre Arbeit hatte Erfolg. Vor genau einem Jahr, am 28. Oktober 2010, beschloss der Bundestag mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke.

Der taz wurden interne Unterlagen zugespielt, die auf 79 Seiten detailliert zeigen, wie die Atomlobby mit offenen und verdeckten Aktivitäten auf diesen Bundestagsbeschluss hingearbeitet hat. Es sind Papiere der Lobbyagentur, entstanden zur Mitte und zum Ende der Kampagne, die bis zur Bundestagswahl im Herbst 2009 lief. Die Agentur zieht in den Papieren gegenüber ihrem Kunden, dem Atomforum, eine detaillierte Bilanz aller Maßnahmen. Die Hinweise aus diesen Dokumenten haben wir nachrecherchiert, parallel zum Erscheinen dieses Artikels veröffentlichen wir die Unterlagen auf taz.de zum Download.

Die Dokumente bieten Einblick in die Arbeit einer Lobby, die sich für eine hochgefährliche und hochprofitable Technologie einsetzt. Sie geben Einblick in eine Welt von Hintergrundgesprächen und bezahlter wissenschaftlicher Expertise, lancierten Presseartikeln und verdeckten Einflussnahmen. Nichts davon ist verboten. Einiges davon ist anrüchig. Das meiste ist profane, handwerklich gut umgesetzte Öffentlichkeitsarbeit. Aber zusammengenommen zeigen die Dokumente, wie Konzerne in Deutschland vorgehen, wenn sie Einfluss auf Medien, Politik und Öffentlichkeit nehmen. Daraus lassen sich sieben Regeln für erfolgreiches Lobbying ableiten.

1. Erzähle eine neue Geschichte

Das Lobby-Geheimnis lautet im Kern: Erzähle eine neue Geschichte. Denn bekannte Geschichten schaffen keine Zuversicht. Das Restrisiko eines Super-GAUs und Kinderkrebs? Milliardengewinne für die Stromgiganten? Das dürfen nicht die Geschichten bleiben, über die die Leute sprechen. Neue Wörter, neue Parolen, neue Helden, erst daraus wird eine neue Erzählung. Rund 3 Millionen Euro kostete die Kampagne insgesamt, davon waren allein 660.000 Euro als Honorar für die Lobbyberater von Deekeling Arndt vorgesehen.

Ihre Strategie laut den Papieren: „Ideologische Blockaden aufbrechen, vermeintliche Gewissheiten hinterfragen“, „Dritten eine Plattform bieten und öffentlich Gehör verschaffen“, „neue Zielgruppen aufschließen“, „verändertes Meinungsklima zur Kernenergie in Deutschland etablieren“. Zur inhaltlichen Argumentation empfehlen die Lobbyberater: „Definierten Themenmix (‚Grundrauschen‘ Klimaschutz) beibehalten, dabei den sozialen Aspekt stärker pointieren.“ Doch kann diese neue Erzählung wirklich aus den alten Mündern stammen?

2. Finde neue Helden. Und Heldinnen

Die „anonyme und vermeintlich bedrohliche Kernenergie-Technologie“, rät die Agentur, müsse „in neue, ‚personalisierte‘ Kontexte gestellt“ werden. Es ging darum, mit neuen Geschichten von Menschen tatsächliche Strukturen zu verdecken.

So lässt das Atomforum eigens produzierte Anzeigenbeilagen in mehreren Zeitungen schalten. Darin werden einzelne Mitarbeiter der Atomkraftwerke vorgestellt. Das Ziel der Anzeigen laut den Firmenunterlagen: „Anonymer Großtechnologie Kernenergie wird durch Standort-Testimonials ein Gesicht gegeben (Mitarbeiter und Betriebsräte).“ Im Budget sind die Beilagen mit Ausgaben von über einer Million Euro der größte Posten.

Mit einem ähnlichen Mittel bereitet die Lobbyagentur sich auch auf einen Störfall vor: Die Unterlagen enthalten fertig layoutete Zeitungsanzeigen. Diese zeigen groß das Foto eines Mitarbeiters, der auf eine Frage wie „Ist der Störfall der Normalfall?“ antwortet. Einzig der Text muss noch aktualisiert werden.

Doch die neuen Gesichter müssen auch selbst reden können. Ihre Botschaft soll sich verbreiten. Als wichtigste Zielgruppe ihrer Botschaften macht die Agentur „Frauen“, „Wissenschaftler“ und die „junge Avantgarde“ aus. Zudem müssen bekannte Personen das Wort ergreifen, und überraschende. Und so führt der Weg der Agentur später noch zu zahlreichen Journalisten, zu einem Historiker, zu einem Professor. Doch auch das reicht nicht.

3. Gründe eine Bürgerbewegung

Zeitungsbeilagen und Anzeigen haben einen Nachteil: Als Absender der Botschaft ist das Atomforum direkt erkennbar. Das macht die Botschaft unglaubwürdiger. Viel besser ist es, Leute sprechen zu lassen, die behaupten, kein Teil einer zentral gesteuerten Lobbyaktion zu sein. Menschen, die sich in dem Verein „Women in Nuclear“ engagieren.

In der Satzung der „Women in Nuclear“ heißt es: „Zweck des Vereins ist die Förderung der Bildung.“ Auf dieser Grundlage wird der Verein vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt, er ist damit steuerbegünstigt – wie übrigens auch das Deutsche Atomforum selbst. Woher seine Einnahmen stammen, will der Verein von Frauen aus der Atomenergiebranche nicht veröffentlichen. Danach befragt, ob der Verein ein Instrument der Atomkonzerne und ihrer Lobbyagentur sei, sagt Jutta Jené, aktuelle Pressesprecherin: „Dass Frauen als Teil einer Kampagne in Stellung gebracht werden sollten, ist eine infame Unterstellung. Damit würden wir Frauen ja einzig auf unser Geschlecht reduziert.“ Und weiter: „Wenn es so einen Plan gegeben haben sollte, entzieht sich das völlig meiner Kenntnis.“

Doch die internen Unterlagen zeigen: Die Gründung des Vereins war Teil der Lobbykampagne. In den Papieren heißt es, Ziel eines Vereins mit dem Titel „Women in Nuclear“ solle die „Schaffung von Vertrauen in die Kernenergie und Ansprache der weiblichen Zielgruppe“ sein. 34.056 Euro sind im Budget für das Projekt vorgesehen.

Die Atomkonzerne motivieren Mitarbeiterinnen, dem Netzwerk beizutreten. Tatsächlich gelingt die „Rekrutierung von derzeit 40 Mitgliedern“, bilanziert die Agentur. Als nächster Schritt folgt die „gezielte Vermarktung/Presse und Medienarbeit (Homestories, Gastbeiträge, etc.) besonders in frauenspezifischen Medien (unter anderem Brigitte).“

Einzelne Medien berichten über den Verein. Die Welt am Sonntag druckt etwa ein Porträt über Uta Naumann, Mitarbeiterin im AKW Krümmel, Mutter von zwei Kindern. Der Artikel transportiert ihre Botschaft, Atomkraft sei „eine im Augenblick notwendige Energieerzeugungsart“, deren Risiken vertretbar seien. Für sie sei es auch „eigentlich kein Problem“ gewesen, während ihrer Schwangerschaften im Atomkraftwerk weiterzuarbeiten. Die Ängste vor der Atomkraft seien dagegen „eher diffus“. Der Artikel erwähnt auch, dass Naumann sich bei den „Women in Nuclear“ engagiert. Dass es sich dabei um einen vom Atomforum initiierten Verein handelt, erfahren die Leser nicht.

In der Brigitte haben die „Women in Nuclear“ dagegen keinen Erfolg. In den Unternehmensdokumenten heißt es: „Trotz guter Kontakte keine Platzierung in Frauenzeitschriften aufgrund enger Verknüpfung der redaktionellen Inhalte mit Anzeigenschaltung; zudem wurde thematische Verbindung zur Kernenergie von Redaktionen als zu kritisch empfunden und daher Berichterstattung abgelehnt.“ Auch die meisten anderen Medien berichten nicht – dennoch ist jeder einzelne Artikel für die Lobbyberater bereits ein Erfolg. Denn wichtig ist, dass wieder geredet wird. Und die Botschaft bekommt ein Gesicht.

4. Verlasse den Schützengraben

In den internen Unterlagen heißt es, das Atomforum solle seine „weitgehend reaktive und bislang eher apodiktische Argumentation aufgeben – stattdessen offenen Dialog zum Thema Energieverantwortung initiieren“. Schließlich gewinnt in einer öffentlichen Debatte in der Regel nicht der, der recht hat. Sondern der mit dem besseren Auftritt. Dialogbereitschaft kommt an.

So eröffnet das Atomforum im Internet eine Diskussionsplattform. Ziel ist laut den internen Unterlagen, „Dialogbereitschaft für junge Zielgruppen zu signalisieren“. Die Betonung liegt dabei auf „signalisieren“. Denn ein echter Dialog, bei dem das Atomforum seine Position überdenken könnte, ist nicht vorgesehen. Die Verlängerung der Laufzeiten ist von Anfang an als Ziel vorgegeben – der Dialog wird imitiert, um dieses Ziel zu erreichen. 311.009 Euro sieht das Budget für die Webseite vor.

Das Atomforum organisiert auch mehrere Diskussionsveranstaltungen, um sich offen zu zeigen. Im März 2009 gibt es im Berliner Club 40seconds, nach gedämpfter Musik und kostenlosen Begrüßungscocktails, eine Podiumsdiskussion, auf der auch der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold als Atomkraftkritiker auftritt. Das ist einer dieser Abende für die „junge Avantgarde“. So wird auch Giegold unfreiwillig zum Teil der Kampagne. Denn das Atomforum sorgt dafür, dass der Grüne bei dem „Dialog“ gegen fünf Atomkraftbefürworter anzureden hat. 56.034 Euro sind im Budget für diesen Abend eingeplant.

5. Engagiere moralische Autoritäten

In den internen Unterlagen heißt es, die Atomlobby solle „hochrangige Wissenschaftler verschiedener Disziplinen sowie anerkannte ‚moralische Instanzen‘ einbinden“. So engagiert das Atomforum zur Feier seines 50. Geburtstages am 1. Juli 2009 in Berlin, an dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnimmt, als Festredner den Historiker Arnulf Baring.

Die Szenerie ist in einem Video auf der Homepage des Atomforums dokumentiert. Baring steht dort vor der Festgesellschaft, seine Krawatte leuchtet grell. Ganz zu Beginn betont er ausdrücklich, er sei mit den Energiekonzernen nicht verbunden. Auch später sagt er in seiner Rede noch mal: „Ich versuche zu Ihnen zu sprechen als unparteiischer, aber leidenschaftlich engagierter Bürger.“

In der Rede analysiert Baring, die SPD habe die Ablehnung der Atomkraft seit den Siebzigerjahren „zum Dogma erhoben“. Eine Energiepolitik mit „ideologischen Scheuklappen“ helfe jedoch nicht weiter. „Gerade aus unserer Geschichte wissen wir: Wer Realitäten nicht rechtzeitig erkennt, riskiert Desaster. Noch können wir energiepolitisch umsteuern.“

Heute sagt Baring auf taz-Anfrage, die Lobbyagentur Deekeling Arndt habe ihm beim Verfassen des Textes „zugearbeitet“. Die Agentur habe ihm Informationen zur Verfügung gestellt, von denen er einige in seine Rede eingebaut habe. Die Information über diese Zusammenarbeit lässt er dagegen aus der Rede raus – genau wie die Information, dass er für den Vortrag bezahlt wurde.

Die Lobbyagentur sorgt dafür, dass Barings unabhängig aussehende Expertise weit gestreut wird. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung druckt den Text als Gastbeitrag auf einer ganzen Seite. Die FAZ bestätigt heute, dass es die Lobbyagentur Deekeling Arndt war, die der Zeitung den Text angeboten hatte. Auf der Seite gibt es keinen Hinweis darauf – genauso wenig wie auf die Tatsache, dass Baring für den Text von der Atomlobby bezahlt wurde.

Exbundesumweltminister Jürgen Trittin sieht sich veranlasst, in der Zeitung auf den Baring-Text zu antworten. Es ist eine Win-win-win-win-Situation: Baring verbreitet die Position und verdient dabei, die FAZ freut sich über die Debatte, selbst Atomkraftgegner Trittin darf sich in Szene setzen. Lachender Vierter ist das Atomforum. Es hat erreicht, was es wollte: Die festgefahrene Debatte über die Zukunft der Kernenergie ist wieder in vollem Gange.

Andere Wissenschaftler sind bereit, deutlich weiter zu gehen. So bestellt das Atomforum eine Studie mit dem Titel „Gesellschaftsrendite der Kernenergienutzung in Deutschland“ von Joachim Schwalbach, Management-Professor an der Humboldt-Universität Berlin. Die Studie ist dem Atomforum 135.000 Euro wert, das Geld sollte allerdings nicht an die Universität fließen, sondern an die Firma der Ehefrau des Professors (siehe Seite 18).

6. Kaufe dir Kontakte

So wird Schritt für Schritt immer klarer, wie umfassend der Instrumentenkasten einer neuen Erzählung bestückt sein muss. Dazu gehört es, schnell Kontakte zu Politikern und Ministerialbeamten herstellen zu können, die Geschichten in Gesetze gießen. Die ehemalige Grünenpolitikerin Margareta Wolf ist so eine, die die Handynummern vieler wichtiger Personen hat. Die frühere Staatssekretärin im Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsministerium wechselt 2007, schon vor dem Auftrag des Atomforums, zur Lobbyagentur Deekeling Arndt. Von 2010 bis Herbst 2011 holt sich die Agentur eine weitere Expolitikerin ins Haus: Nina Hauer, ehemalige Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion.

Die Lobby plant: eine Bürgerinitiative aus Frauen, die sich für die Atomindustrie einsetzen

Doch es sind nicht nur Expolitiker, die die Netze knüpfen. Olaf Arndt, Mitbesitzer der Agentur. Tobias Korenke, Kampagnenverantwortlicher dort. Dieter Marx, Generalbevollmächtigter des Atomforums. Die vier Sprecher der Atomkonzerne: Ulrich Schröder, Stephanie Schunck, Barbara Meyer-Bukow, Petra Uhlmann. Zu Details der Kampagne will sich von ihnen offiziell niemand äußern.

7. Instrumentalisiere Journalisten

Mit besonders viel Aufwand bemüht sich das Atomforum um bestimmte Journalisten. In den Unternehmensdokumenten geht es um eine regelrechte „Medienoffensive“. Dazu gehören erstens die „kontinuierliche Hintergrundarbeit und mediale Begleitung von Schlüsselmaßnahmen“ – zum Beispiel mehrfach Frühstücke mit einer Runde ausgewählter Journalisten. Diese erhalten zum Beispiel „exklusive Einbindung/Vorabinformation zu Elementen der Kampagnen“.

Im Mai 2008 findet das erste Journalistengespräch statt, eingeladen haben die vier für Atomkraft zuständigen Vorstandsmitglieder der Kraftwerksbetreiber. In der Bild-Zeitung erscheint ein großer Artikel auf Seite 2: „Die Wahrheit über Atomkraft“. Auch andere berichten. Die Lobbyberater melden Erfolg: „Hintergrundgespräche ermöglichten Platzierung eigener Botschaften in wichtigsten deutschen Tageszeitungen (FAZ, Bild-Zeitung).“

Außerdem verfolgt die Atomlobby auch die „Meinungsprägung durch Platzierung von Thesen pro Kernkraft über prominente Dritte bei reichweitenstarken Medien“. So spricht sich etwa Ferdinand Piëch in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung für die Atomkraft aus, in der Arte-Sendung „Atomkraft auf Öko-Trip“ wird eine Stellungnahme von Margareta Wolf untergebracht.

Die Lobbyagentur organisiert auch eine Reise mit Journalisten in die Schweiz „zur Neubelebung der deutschen Kernenergiedebatte“. Dort will die Politik zu diesem Zeitpunkt gerade neue Atomkraftwerke bauen. Die Reise soll zeigen, dass in einem Nachbarland die Debatte ganz anders geführt wird. Als Gesprächspartner sind auch die Kommunikationschefs aus den vier Atomkonzernen dabei, in gediegenem Ambiente und mit gutem Essen. Als Budget für die Reise eingeplant: 50.888 Euro.

Mit dabei sind etwa Journalisten von der Wirtschaftswoche, vom Handelsblatt und der Welt, von zeit.de und der Rheinischen Post, vom Mannheimer Morgen, vom Schwarzwälder Boten, von der Hannoverschen Allgemeinen und der WAZ. In Bern sitzen die „Key-Journalisten“, wie sie in internen Papieren genannt werden, dann am 27. Januar 2009 an einer langen Tafel im Restaurant Le Pavillon des Hotels Ambassador, Seite an Seite.

Der WAZ-Autor berichtet im Anschluss kritisch von der Pressereise und thematisiert die Bemühungen der Atomlobby, sich wieder in neuem Gewand präsentieren zu wollen. Andere Journalisten übernehmen dagegen die Botschaften, die ihnen präsentiert werden. Im Handelsblatt schreibt ein Redakteur anschließend über „das erstaunlich unverkrampfte Verhältnis der Schweizer zur Atomkraft“. Im Mannheimer Morgen heißt es, „der Widerstand der Eidgenossen gegen die Kernenergie scheint zu bröckeln“. Dass die Reise vom Atomforum organisiert und finanziert wurde, teilt weder das Handelsblatt noch der Mannheimer Morgen seinen Lesern mit.

Für die Lobbyagentur ein voller Erfolg. Auch anschließend organisiert sie daher, wie es in den Papieren heißt, „kontinuierliche Hintergrundgespräche mit Journalisten zu zielgruppenspezifischen Angeboten“.

Epilog

Im Wahlkampf vor der Bundestagswahl am 27. September 2009 bekennen sich Union und FDP ausdrücklich zur Atomkraft – und bekommen eine Mehrheit. Sie vereinbaren im Koalitionsvertrag, „die Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke unter Einhaltung der strengen deutschen und internationalen Sicherheitsstandards zu verlängern“. So beschließt es auch der Bundestag.

Nach einer Analyse des Öko-Instituts aus dem Jahr 2010 bedeuten die längeren Laufzeiten für die vier deutschen AKW-Betreiber zusätzliche Gewinne zwischen 31 und 68 Milliarden Euro – je nach Entwicklung des Strompreises. Die Kosten für die Lobbykampagne verdient ein Atomkraftwerk an drei Tagen.

Und die Erzählung von der sicheren, sozialen, umweltgerechten Atomkraft? Die fand ihr Ende im März 2011 in Fukushima. Seither ist diese Geschichte tot. Aber wenn sie nicht gestorben wäre, dann lebte sie noch heute.

Martin Kaul, 29, ist taz-Redakteur für Politik von unten

Sebastian Heiser, 32, ist sonntaz-Redakteur

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