: „Das ist ein ganz kurioses Ding“
Die Großsiedlung Mümmelmannsberg wird 25 Jahre alt. Jugendliche bauen den ungenutzten U-Bahn-Schacht unter dem Einkaufszentrum in einen Rockkeller um ■ Von Heike Haarhoff
„Hier war die Pißrinne, die haben wir mit dem Schlagbohrer rausgerissen.“Lukas zeigt auf die Reste einer gekachelten Wand. Die mündet in einen staubig-grauen Fußboden mit Bauschutt-Häufchen, Werkzeug, Spänen, Glasfaserrollen, Isolier-Platten. „Ina ist eine Ratte“, hat jemand draufgekritzelt. „Das ist meine Freundin“, grinst Ewelina. „Wir bauen hier zusammen.“
Jeden Samstag, wenn in Mümmelmannsberg schulfrei ist und in den Ferien sowieso, steigen Lukas, Ewelina und die anderen 13- bis 18jährigen Jugendlichen aus der Gesamtschule mit Werkzeug und Baumaterial hinab in den U-Bahn-Schacht unter dem Einkaufszentrum von Mümmelmannsberg: den „Bunker“. Eine lange, stockfinstere Treppe, dann 107 unterirdische Quadratmeter. Hier sollen bis zum Jahresende und in Eigenleistung schalldichte Musikproberäume für die zahlreichen Rock-, Pop- und Techno-Jugendbands im Stadtteil entstehen. Die Idee hatte der Suchtpräventionsverein Laß 1.000 Steine rollen, den Anschub blättert die Stadt seit Juli 1996 in 240 Tausendmark-Scheinen hin.
Lukas knipst das Licht an. Die Decken sind schon fast komplett mit den „selbstgebauten Iso-Platten“des 13jährigen verschalt, die Wandlöcher mit Gips zugesto... – „tststs, Paulina!“Weiße Kleckser überall. „Unsere letzte Gipsschlacht.“Paulina kichert. Dann muß sie gehen. „Proben. Wir wollen berühmt werden.“Paulina ist 16, vielleicht auch schon 17, und sie ist Sängerin. „Den Namen unserer Band verrat' ich dir nicht. Sonst schreibst du ihn in die Zeitung, und jemand klaut ihn.“
„Das ist ein ganz kurioses Ding.“Johannes Köhn sitzt in der Geschäftsstelle der Gesellschaft für Wohnen und Bauen (GWG) und malt konkurrierende U-Bahn-Trassen in die Luft. „Als Mümmelmannsberg vor 25 Jahren gebaut wurde, war für 20.000 Einwohner natürlich auch ein sofortiger U-Bahn-Anschluß vorgesehen.“Auf den die Großwohnsiedler am Stadtrand bis 1990 warten mußten.
„Dabei war in den 70ern alles schon fertig, die U-Bahn-Station, die Eingangstreppe, die Toiletten.“Dann aber beschloß die Baubehörde spontan, die Trasse um einige hundert Meter und vor allem unter städtischem Boden zu verlegen – aus Angst vor klagenden Grundeigentümern zwischen Hauptbahnhof und Mümmelmannsberg. Als a, 30. September 1990 die neue U-Bahn-Linie samt Haltestelle eingeweiht wurde, war das benachbarte Betonzimmer unter Tage mit seinen nie benutzten Toiletten längst vergessen.
„Der Bunker?“Sabrina streicht über ihre Baßgitarre. „Ich hoffe nur, daß es da nicht mehr so staubig ist, wenn wir umziehen.“Noch finden die Musikproben in der Gesamtschule statt. Die ist – entsprechend dem Ideal ihrer 70er-Jahre-Planer – zugleich Bildungszentrum, Bücherei, Volkshochschule und damit auch abends geöffnet.
Jessica will singen: „Und warum und warum nur für den Kick, für den Augenblick? Nur für ein Stück von dem falschen Glück? Du kommst niemals zurück – komm zurück.“Rap, Hiphop, Funk, egal, was N-Joy-Radio eben gerade auf Nummer eins der Charts gesetzt hat. Marija nimmt hinterm Schlagzeug Platz, Sanja klimpert am Keyboard. Kein Ton kommt raus. „Anjaaa! Das ist hier nicht richtig angeschlossen.“
„An den alten Schacht hat sich doch niemand mehr erinnert.“Anja Herkenrath auch nicht. Wie auch? Als die Sozialarbeiterin vor ein paar Jahren nach Mümmelmannsberg kam, um das Laß-1.000-Steine-rollen-Konzept „Rock statt Drogen“zu betreuen, probten die vielen Jugendlichen ja bereits regelmäßig in der Gesamtschule. Jeden Tag von 17 bis 22 Uhr. „Nur am Wochenende lassen uns die Hausmeister nicht rein“, klagt Marija.
Und den Lärm finden auch nicht alle immer klasse. Auf irgendeiner Stadtteilversammlung hat dann mal einer entnervt gerufen: „Soll'n se doch in den Bunker gehen.“
Machen se.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen