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Sexarbeit als Beruf

Huren klagen ihren Lohn ein, Bordelle stellen Prostituierte fest an:Im Mai kommt ein Gesetzentwurf, der die deutschen Sitten umpflügt

von HEIDE OESTREICH

Über Geschmack lässt sich streiten – über Verträge nicht. Nach dem Geschmack des Freiers sollte Stephanie Klee doch noch länger als die vereinbarte Stunde bleiben. Sie wollte nicht – der Freier zahlte nur die Hälfte der 200 Mark Hurenlohn. Und nun? Normalerweise heißt das für die Hure „Pech gehabt“. Verträge über sexuelle Handlungen gelten nach höchstrichterlicher Rechtsprechung als sittenwidrig, sind also nicht justiziabel. Die selbstständige Prostituierte aus Berlin stellte die Sitten auf die Probe: Sie verklagte ihren Stammfreier – und bekam zum ersten und einzigen Mal in der Bundesrepublik Recht.

Das war 1995. Seitdem nimmt der Verfall der Sitten seinen Lauf. Einen Endpunkt könnte er am 11. Mai erreichen, wenn die Regierungsfraktionen ihren Entwurf eines „Gesetzes zur rechtlichen Besserstellung der Prostituierten“ in den Bundestag einbringen. Danach würde das Urteil im Fall Klee Gesetz: „Sind sexuelle Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden, so begründet diese Vereinbarung eine rechtswirksame und einklagbare Forderung“, heißt es in dem Entwurf. Das Gleiche gelte für Beschäftigungsverhältnisse, also für Prostituierte, die im Bordell angestellt sind. Zudem soll der Absatz, der die „Förderung von Prostitution“ in einem Bordell verbietet, gestrichen werden. Damit wäre die Prostitution zu einem rechtlich anerkannten Gewerbe geworden, Huren könnten sich auch kranken- und sozialversichern.

Dass bei einem normalen Vertragsabschluss allerdings auch ein Freier die Leistung einer Hure einklagen oder ein Bordellbetreiber sie zu bestimmten Diensten zwingen könnte, weil er als Arbeitgeber ein „Direktionsrecht“ hätte, stimmte vor allem die SPD-Abgeordneten bedenklich. Die Lösung dieses Problems soll nun „einseitiger Vertrag“ heißen. In der Begründung des Gesetzes steht ausdrücklich, dass Freier „keine Ansprüche auf Vornahme der sexuellen Handlung bzw. Ansprüche wegen angeblicher Schlechtleistung“ haben. Ebenso beziehe sich das Direktionsrecht der Bordellbetreiber ausdrücklich nur auf Ort und Zeit der Dienstleistung, nicht auf den Inhalt.

„Jetzt könnte endlich Realität werden, woran die Grünen seit zwölf Jahren gearbeitet haben“, frohlockt Irmingard Schewe-Gerigk, die frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Die Grünen hatten bereits in der letzten Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorgelegt, der allerdings noch sehr viel umfassender war. Dementsprechend mittelglücklich ist Friederike Strack von der Prostituiertenorganisation „Hydra“: „Das ist besser als nichts“, meint sie. Ein normaler Beruf sei die Prostitution damit aber noch lange nicht. So blieben etwa die Sperrgebietsverordnung und das Werbeverbot für sexuelle Dienste unangetastet. Nun müssten die Prostituierten gründlich informiert werden, denn „die Verunsicherung unter den Huren ist groß“.

„Auf die Legalisierung folgt erst mal eine Phase des Chaos“, ist auch die Erfahrung des niederländischen Soziologen Jan Visser. Seit Holland im letzten Herbst Prostitution zum normalen Gewerbe erklärte, beobachtet er eine Szene im Umbruch: „Die Prostituierten wissen nicht, was für Konsequenzen es hat, wenn sie sich anmelden“, erklärte Visser der taz. „Was können sie steuerlich absetzen? Welche Berufskrankheiten werden anerkannt?“ Auch gebe es Anzeichen dafür, dass Migrantinnen ohne Aufenthaltserlaubnis in den Untergrund gedrängt würden, wo sie gefährdeter denn je arbeiteten. Dass ein Bordellbetreiber eine Arbeitserlaubnis, etwa für eine Thailänderin, beantragt, weil für ihre Dienste ein Bedarf besteht, ist jedenfalls auch in Holland noch Zukunftsmusik: Eine Art Green Card für Prostituierte hat die niederländische Regierung vorerst verboten.

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