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Im tschechischen Policka steigt in dieser Woche das erste tschechisch-deutsche Jugendtreffen. Die Präsidenten Havel und Herzog haben es initiiert und werden am Mittwoch mit den Kids diskutieren: über die Last der Vergangenheit, Nationalismus und Toleranz. Die Inszenierung liefert sicher nicht zufällig das Kontrastprogramm zum elenden Schauspiel, das die Bonner Regierung mit ihrem Gezerre um das Dokument der tschechisch-deutschen Versöhnung bietet Von Christian SemlerDie Enkel sollen‘s richtenVon Christian Semler

Roman Herzog und Václav Havel sehen sich häufiger, als es der Stand der tschechisch-deutschen Beziehungen vermuten ließe. Und wo sie sich trafen, in Dresden etwa oder in Lany, der Sommerresidenz des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Masaryk (1918 bis 1935), kam häufig etwas Vernünftiges zustande. Der stets auf praktische Arbeit gerichtete Geist des Philosophenpräsidenten Masaryk scheint die beiden inspiriert zu haben. So verabredeten der tschechische und der Bundespräsident eine erste Begegnung zwischen jungen Leuten beider Länder für September 1996: In Polička, einem Nest unweit von Brünn, treffen von Montag bis Mittwoch dieser Woche 250 Jugendliche zusammen.

Begegnungen dieser Art stehen stets im Geruch der Botmäßigkeit. Bevor beispielsweise Helmut Kohl kürzlich einer deutsch-polnischen Diskussion von Schülern in Warschau seine Aufwartung machte, wurde peinlich genau abgeklärt, worüber zu reden sei und worüber besser nicht. So soll es nach dem Wunsch der Organisatoren diesmal nicht abgehen. Die tschechischen und deutschen Kids wollen in 15 Arbeitsgruppen darüber reden, wie man am besten mit der Last der Vergangenheit fertig wird. Aber sie werden auch über den in beiden Ländern grassierenden Fremdenhaß sprechen und was man dagegen tun kann. Sportler und Musiker beider Nationen werden dabeisein, sogar eine gemeinsame Festzeitung ist geplant. Morgen werden Havel und Herzog dann anderthalb Stunden mit den Kids im Stadttheater sprechen – und nicht monologisieren, was die präsidialen Zuarbeiter besonders betont haben möchten.

Auf deutscher Seite ist der Bundesjugendring der Träger, auf tschechischer Seite existiert hierzu kein Pendant; der Realsozialismus hat den jungen Tschechen erst mal die Lust an jeder Form von Einheitsorganisation ausgetrieben. Die Stiftung Patriae, ein Verein mit völkerverbindenden Vorsätzen, ist in die Bresche gesprungen. Wer kommt, ist noch unklar. Seit 1990, als ein Austauschabkommen mit der damals noch existierenden Tschechoslowakei beschlossen wurde, hat Frau Noltes Ministerium tschechisch-deutsche Jugendbegegnungen gefördert. Die nicht gerade überwältigenden Summen gehen in Zuschüsse für Fahrkarten etc., Bildungsveranstaltungen werden gesondert gefördert. Geld bekommt nur, wer ein Projekt vorweist, das sowohl in Tschechien als auch in Deutschland ablaufen soll.

Zwei Koordinierungsbüros sollen eingerichtet werden, an die sich die Jugendlichen wenden können, die gerne dialogisieren wollen, aber nicht wissen, wie und mit wem. Eine Vorstufe für ein tschechisch-deutsches Jugendwerk nach dem Vorbild des französisch-deutschen und auch des polnisch-deutschen. Den Weg dahin zu beschleunigen, ist erklärtes Ziel der beiden Präsidenten.

Seitens des deutschen Präsidialbüros wird man nicht müde zu betonen, daß der gemeinsame Auftritt von Havel und Herzog nichts, aber auch gar nichts mit den Verhandlungen über die deutsch- tschechische „Erklärung“ zu tun habe. Von der Planung und Zielsetzung des Jugendtreffens her gesehen, ist das sicher richtig. Aber der objektive Zusammenhang liegt auf der Hand. Denn wird er die erfolgreiche Inszenierung der beiden Präsidenten nicht kontrastieren mit dem elenden Schauspiel, das uns die Bundesregierung mit ihrem Gezerre um die „Erklärung“ seit einem halben Jahr bietet?

Die „Erklärung“ sollte ein Dokument der tschechisch-deutschen Versöhnung werden. Voraussetzung der Versöhnung ist, daß die tschechische Seite Sicherheit erlangt in der zentralen Frage der sudetendeutschen Restitutionsansprüche wegen des nach 1945 beschlagnahmten Eigentums. Von Anfang an war klar, daß die tschechische Regierung zu einer Entschuldigung wegen der Vertreibung der Sudetendeutschen bereit sein würde, wenn die Bundesregierung ihrerseits darauf verzichten würde, Schadenersatz zu fordern.

Die tschechische Regierung hatte für diesen Fall eine Reihe von Kompromissen in Aussicht gestellt. So sollte für die vertriebenen Sudetendeutschen und deren Nachkommen ein erleichtertes Niederlassungssrecht in Tschechien gelten. Selbst die doppelte Staatsbürgerschaft war im Gespräch. Die Bundesregierung ist auf diese Angebote nicht eingegangen. Außenminister Kinkel stellte sich auf den Standpunkt, ein Verzicht der Bundesregierung würde Schadenersatzforderungen der Sudetendeutschen an ihre Adresse heraufbeschwören.

Die CSU, die sich als Sachwalterin sudetendeutscher Interessen aufspielt, forderte, die tschechische Republik müsse die Dekrete des Nachkriegspräsidenten Beneš – aufgrund derer die Enteigungen und die Vertreibungen der Sudetendeutschen erfolgte – formell aufheben. So etwas konnten und wollten die Tschechen nicht tun. Sie waren aber bereit, die Dekrete nachträglich zu mißbilligen.

Öl in diese Auseinandersetzung goß Außenminister Kinkel mit der Bemerkung, die Bundesregierung erkenne das Potsdamer Abkommen, das die Vertreibung der Sudertendeutschen sanktionierte, nicht an. Die These ist eigentlich nur für Rechtshistoriker interessant, denn Deutschland hat durch spätere völkerrechtliche Verträge die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges akzeptiert.

Aber Kinkels Äußerung regte nicht nur die Tschechen auf. Sie mobilisierte auch die polnische Regierung, die jetzt Schadenersatzansprüche der Deutschen wegen des beschlagnahmten Vermögens in den ehemaligen deutschen Ostgebieten fürchtete. Auf Bitten der tschechischen Seite stellten die Botschaften der westlichen Alliierten in Prag klar, daß die Passagen des Potsdamer Abkommens, die die Tschechoslowakei betreffen, völkerrechtlich bindend seien.

Die Bundesregierung hat sich nicht einmal dazu verstanden, Entschädigungsforderungen der Opfer der deutschen Okkupation ausdrücklich von den Verhandlungen um die „Erklärung“ zu trennen. Das war auch für Präsident Herzog zu viel. Beim Treffen mit Václav Havel in Lany machte er klar, daß diese Forderungen berechtigt seien und erfüllt werden würden.

Letzter Akt des Trauerspiels: Beide Seiten einigten sich im Frühsommer 1996 in den beiden zentralen Fragen Entschädigung/Entschuldigung auf Kompromißformeln. Seitdem liegt das Dokument auf Eis. Zunächst mit Rücksicht auf die Parlamentswahlen in Tschechien, jetzt angeblich wegen der Wahlen zum Senat im November. Man wolle den tschechischen Nationalisten keine Gelegenheit zur antideutschen Demagogie liefern, hieß es.

In Wirklichkeit liegt die Verantwortung dafür, daß die Erklärung nicht veröffentlicht und den Parlamenten zugeleitet wird, bei der Bundesregierung. Sie weicht ständig vor dem Druck der CSU zurück, die „nachverhandeln“ möchte, um schließlich den ganzen Prozeß zum Scheitern zu bringen. Daß das Dokument geheim ist, hinderte Kinkel freilich nicht daran, es dem Vorsitzenden der Sudetendeutschen Landsmannschaft zu referieren. Dem Vorsitzenden wohlgemerkt und nicht dem Sudentendeutschen Rat, in dem auch die Organisationen vertreten sind, die seit langem mit praktischer Versöhnungsarbeit beschäftigt sind: der sozialdemokratischen Seeliger-Gemeinde, der katholischen Ackermann-Gemeinde und dem Adalbert-Stifter-Verein.

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