: Venus ohne Unterleib
Ein Buch über die Last mit der Lust in Christentum und Islam: Wie das Weibliche verdrängt wurde, die Lust zum Teufel ging oder zu Hause bleiben mußte ■ Von Edith Kresta
Eigentlich wollen sie ja die ins Stottern gekommene sexuelle Revolution weitertreiben, die Brüder Rotter & Rotter, indem sie aufzeigen, wie unsere Sexualität bis heute durch die Religion beeinflußt, unterdrückt ist. Zumindest aber soll ihr Buch zu einer „unbefangeneren Bewertung von Sexualität, Erotik und Liebe befähigen“. „Venus, Maria, Fatima“ ist der Titel des von dem Orientwissenschaftler Gernot Rotter und dem Mittelalterhistoriker Ekkehart Rotter verfaßten Buchs. Ihr Thema: die „Last mit der Lust“. Und zwar im islamischen und christlichen Kulturkreis. Auch wenn es in aufgeklärten, westlichen Kreisen mehr sexuelle Freizügigkeit gibt, so kommt es immer wieder zu religiös-konservativen Gegenbewegungen. Die These der Autoren: „Beide Religionen versuchen durch teils gleiche, teils unterschiedliche Morallehren das Sexualverhalten ihrer Gläubigen zu reglementieren.“ Die Kontrolle der Sexualität sei in diesen beiden monotheistischen Religionen, die auf dem patriarchalischen, jüdischen Vorbild aufbauen, „bewährtes Instrument zur Durchsetzung von Macht“ – der männlichen Macht. Denn die „Reduzierung des Göttlichen auf einen Mann fördert die Abwertung alles Weiblichen“. Eine These, nicht unbedingt neu im feministischen Kanon.
Christentum und Islam stürzten die letzten Göttinnen des alten Orients und der europäischen Antike. Ischtar, Isis, Venus oder Aphrodite mußten dem patriarchalischen Schöpfergott der Juden, Christen und Muslime weichen. Waren Sexualität und Fruchtbarkeit einst zentrale Wesenszüge „sinnenfroher Göttinnen“, herrschte nun der strenge, geschlechtslose Gott, und der blieb ledig. Als göttlich-weibliches Element blieb in der christlichen Religion einzig Maria, die jungfräuliche Mutter eines Gottesohns. Die Autoren belegen, daß das Marienbild aus einer „Schnittmenge“ sämtlicher heidnischen Vorläuferinnen besteht. Sie ist Venus ohne Unterleib. Der Islam ging kompromißloser mit dem Weiblich-Göttlichen um. Zumindest im sunnitischen Islam, dem 90 Prozent der Gläubigen angehören, ist jede Tendenz, einem anderen Menschen, ob männlich oder weiblich, göttliche Attribute zuzugestehen, strikt untersagt. Einzig im schiitischen Islam ist die Tochter des Propheten, Fatima, weibliche Identitifikationsfigur.
„Kaum eine Frage bewegte die Kirchenväter so sehr wie die nach der christgemäßen Sexualität“, schreiben Rotter & Rotter. Und alle sündige Lust schien in der Venus verkörpert. Mit dem christlichen Einfluß, so die Autoren, schlug die Freude an der Sexualität in Sexualangst um. Zur Verteufelung der Sexualität trug vor allem der Mythos von der Erbsünde bei – verursacht durch eine Frau, Eva. Alles Sexuelle war nun mit Schuld beladen. Wie sich diese repressive Einstellung der Christen zur Sexualität durchsetzte, belegen die Autoren etwas vage mit der Biographie einzelner Kirchenlehrer des 2. bis 5. Jahrhundert n. Chr. Ihre Begründung: „Sie legten mit ihren Schriften die bis heute tragenden Fundamente für Bibelexegese und Theologie.“
Die Angst vor der Venus, letzlich vor den körperlichen Reizen der Frau, sehen die Autoren auch im islamischen Schriftum: „Doch anders als im Christentum kam es im Islam nie zu einer Verteufelung der Sexualität. Der Islam hat eine durchaus positive Einstellung zur Sexualität: zur Sexualität des Mannes.“ Auch im Islam wurde der Sexualität ein Regelwerk übergestülpt. „Das zentrale Motto dieses Regelwerks war die koranische Feststellung: Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie ausgezeichnet hat.“ So haben bis heute im Islam vor allem die Frauen die Last mit der Lust. Dem Körper der Frau wurde die Ehre des muslimischen Mannes aufgebürdet. Sie wurden hinter den Schleier, sprich: aus dem öffentlichen Raum, verbannt. Der Mann zügelte seinen Trieb, indem er das Objekt seiner Begierde unsichtbar macht. Den Frauen blieb nur noch der männlich kontrollierte, private Raum.
Daß Sexualität im Islam nicht verteufelt wurde, sondern im Gegenteil in der Vorstellung vom Paradies eine wichtige Rolle spielte, weckte im christlichen Kulturraum neidvolle Blicke: Der Harem wurde von Europäern stets als die Verwirklichung männlicher Sexphantasien gesehen, der sinnenfreudige muslimische Mann durfte diese ungestraft ausleben. Kein Schuldgefühl bremst seine Vitalität. Denn mochte die christliche Männerwelt, von Päpsten bis Königen, auch noch so sehr der Triebhaftigkeit frönen, zumindest das Fegefeuer war ihnen gewiß.
Doch das rigorose Regelwerk, in das der Islam die Frauen einsperrt und ihre Sexualität unterdrückt, wirkt letzlich auf den Mann zurück. Die strikte Trennung der Geschlechter macht voreheliche Begegnung, geschweige denn Beziehung, tabu. Die Frau wird völlig unerreichbar. Nur über die gesellschaftlich legitimierte Ehe können sich die Geschlechter begegnen. „Die Folgen in bestimmten Teilen und Schichten der islamischen Gesellschaft sind vor allem unter Heranwachsenden Psychosen und Frustration und eine im Vergleich zum Westen verstärkte Flucht in die Homosexualität bei beiden Geschlechtern“, so die Autoren.
Rotter & Rotter legen in groben historischen Zügen dar, wie ähnlich sich die Verdrängung des Weiblichen in beiden Religionen vollzog. Die Ungleichzeitigkeit der historischen und aktuellen Entwicklungen werden dabei nur am Rande berücksichtigt. Es geht den Autoren um den Vergleich: Während mann Sinnlichkeit und Triebhaftigkeit im Christentum als des Teufels stigmatisierte, was bis zur Hexenverfolgung führte, hielt mann die Sexualität im Islam unter Kontrolle, indem er die Frau, ihren Körper, völlig kontrollierte.
Das Regelwerk, das in beiden Religionen der Sexualität auferlegt wurde, diente letzlich immer zur Unterdrückung und Verdrängung der Frau. Das Buch zeigt in einem historischen Streifzug, wie nah sich in Wirklichkeit Christentum und Islam sind. Auch wenn das Frauenbild im Islam aufgeklärten Europäern als Nonplusultra der Rückständigkeit und Unterdrückung erscheint. Das Buch zeigt die Berührungspunkte der Kulturkreise.
„Es ist frappierend, wie sich die gegeneinander gerichteten Vorwürfe gleichen und wiederholen“, schreiben Rotter & Rotter. „Hatte das christliche Europa bis in die Neuzeit den Islam und dessen Begründer wegen der erlaubten ,Vielweiberei‘ der Befürwortung sexueller Ausschweifung beschuldigt, geißelt nun der Islam die westliche Libertinage. Gilt aufgeklärten, westlichen Kreisen der Schleier der Muslimin als Zeichen ihrer Unterdrückung, deklarieren Muslime die permanente Zurschaustellung von nackten Frauen in westlichen Medien als Zeichen ihrer Entwürdigung und Herabsetzung zum Sexualobjeket.“ Mann schlägt sich mit den eigenen Waffen.
Immer noch, so scheint es, scheiden sich die männlichen Geister am Körper der Frau: An ihm macht sich die Triebunterdrückung fest. Folglich kann nur die selbstbestimmte, weibliche Sexualtität die Last von der Lust nehmen und etwas vom „Göttlich-Weiblichen“ in beiden Kulturkreisen aufblitzen lassen. Wir haben es immer geahnt, die Brüder Rotter bestätigen es. Die sexuelle Revolution ist also Frauensache. Vielleicht nach dem Motto: Wer zweimal mit dem Gleichen pennt...“ Oder lieber doch ganz anders. Sinnlicher!
Ekkehart und Gernot Rotter: „Venus, Maria, Fatima – wie die Lust zum Teufel ging“. Artemis & Winkler Verlag, 1996, 270 Seiten, 38,90 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen