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„Ein Verstoß gegen alle Naturgesetze“

■ Für die rot-grüne Koalition in NRW droht Garzweiler II zum politischen Sprengsatz zu werden. SPD-Fraktionschef Klaus Mathiessen spricht von Neuwahlen

Als Johannes Rau nach Abschluß der Koalitionsverhandlungen im Sommer letzten Jahres vor die SPD-Landtagsfraktion trat, da versicherte er seinen GenossInnen, durch die Vereinbarung werde „die Rechtskraft der Genehmigung für Garzweiler II nicht berührt und das Projekt nicht gefährdet“. Gleichzeitig räumte Rau aber ein, der Kompromiß gebe den Grünen „die Möglichkeit, ihre grundsätzlich andere Auffassung zu artikulieren und Chancen zu suchen, wie man diesen Prozeß verändern kann“. Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hörte sich in jenen Tagen eher moderat an: „Für den Fall, daß sich der Energiebedarf aufgrund von Sparmaßnahmen, Effizienzsteigerung und neuen Energiequellen tatsächlich gravierend änderte“, müsse man über das Projekt „in eine andere Bewertung eintreten“.

Müßte man eigentlich, denn die Daten und Prognosen zum Stromverbrauch, mit denen einst Garzweiler begründet wurde, sind längst Makulatur. So gehen die Wachstumsraten des Bruttostromverbrauchs in NRW ständig zurück. Auch der Einsatz der Braunkohle im Wärmemarkt schrumpft.

Doch statt sich diesen Entwicklungen zu stellen, verkündet SPD- Fraktionschef Klaus Mathiessen in diesen Tagen, Garzweiler sei „kein politisches Problem mehr, das wir durch Kompromisse aus der Koalition herausschaffen könnten, sondern Garzweiler ist ein rechtliches Problem“. Im Februar 1995 hatte Mathiessen im Düsseldorfer Landtag noch gesagt, daß die Genehmigung für Garzweiler II jederzeit „überprüft, erforderlichenfalls geändert und notfalls zurückgeholt werden kann“.

Genau darauf setzen die Grünen. Zunächst einmal ist aber das Landesverfassungsgericht in Münster am Zug. Die obersten Landesrichter müssen über eine Organklage der bündnisgrünen Landtagsfraktion und sieben weitere Klagen aus Gemeinden und Städten der betroffenen Region entscheiden. Die Grünen werfen der alten SPD-Alleinregierung vor, den Landtag bei der Braunkohleplanung nicht in gebotener Weise beteiligt zu haben. Anfang 1997 will das Münsteraner Gericht mündlich verhandeln. Mit einem Urteil ist Mitte 1997 zu rechnen.

Sollten alle Klagen scheitern, dürfte die rot-grüne Koalition in schweres Wetter geraten, weil dann die Genehmigung des Rahmenbetriebsplans anstünde und danach der Zug Richtung Garzweiler II kaum noch zu stoppen wäre. Deshalb wollen die Grünen diesem Plan, das hat zuletzt Parteisprecher Rainer Priggen unmißverständlich deutlich gemacht, in der beantragten Form auch auf keinen Fall zustimmen.

Das muß nicht das Ende der Koalition bedeuten, auch wenn SPD- Fraktionschef Mathiessen für diesen Fall schon Neuwahlen angedroht hat. Bei einer erheblichen Einschränkung der Abbaufläche – etwa auf ein Drittel – wären Kompromisse denkbar, auch wenn niemand öffentlich darüber redet.

Für beide Koalitionspartner steht beim Streit um Garzweiler II ein Stück Identität auf dem Spiel. Während bei der SPD das Arbeitsplatzversprechen im Vordergrund steht, ringen die Bündnisgrünen um ökologische Glaubwürdigkeit. Der Ökologe und Journalist Franz Alt spricht ihnen aus der Seele. Für Alt stellt Garzweiler II „eine wichtige Schlacht“ im „Krieg gegen die Natur“ dar. Wer am Tagebau festhalte, „verstoße gegen alle Naturgesetze“. Walter Jakobs

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