: Delikatessen ohne Grenzen
Verwaltungsgericht Hamburg verhindert Abschiebung: Türkischer Koch darf bleiben / Präzedenzfall für hunderttausend Menschen? ■ Von Elke Spanner
Wenn türkische Spezialitätenköche in Deutschland türkische Spezialitäten kochen, dann tun sie das für maximal drei Jahre. Bisher. Nun könnte ihnen Ali Seydi Ö. den Weg zum langfristigen Bruzzeln, Grillen und Würzen in der BRD geebnet haben. Das Hamburgische Verwaltungsgericht (VG) folgte am Freitag in einer Eilentscheidung seinem Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltes – und entschied damit, daß in türkischen Imbissen und Restaurants die Delikatessen unbefristet von denselben Landsleuten kredenzt werden dürfen.
Seinen Erfolg verdankt Ali Seydi Ö. dem „Assoziationsratsabkommen EWG-Türkei“ von 1986. Die Ausländerbehörden weigerten sich bislang, es anzuwenden. Da setzt sich die türkische Regierung mit VertreterInnen der – damals noch – Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an einen Tisch, und wir sollen die Konsequenzen tragen? Ja, sagt das VG. Denn das Europarecht geht vor. Und das besagt, daß AusländerInnen, die in einem EU-Mitgliedsstaat ein Jahr lang ordnungsgemäß beschäftigt waren, das Recht auf eine Verlängerung ihrer Arbeits- und damit auch der Aufenthaltserlaubnis haben – während nach BRD-Recht spätestens nach drei Jahren Schluß ist. Eigentlich hat das schon der Europäische Gerichtshof 1992 im sogenannten Kus-Urteil entschieden.
Die BRD mochte diese Entscheidung bislang jedoch nicht für türkische Spezialitätenköche gelten lassen. Denn diese unterscheiden sich von anderen türkischen ArbeitnehmerInnen. Sie können speziell mit dem Zweck der Arbeitsaufnahme hier einreisen – mittlerweile höchst selten für MigrantInnen, die ihr Visum nur erhalten, wenn vakante Stellen nicht von deutschen oder doch bitteschön zumindest von EU-AusländerInnen besetzt werden können. Es liegt in der Natur der Sache, daß türkische Spezialitäten besser von TürkInnen als Deutschen, FranzösInnen oder ItalienerInnen zubereitet werden können.
„Bundesweit betrifft das Urteil mehrere hunderttausend Menschen“ freut sich der Anwalt von Ali S., Mahmut Erdem, der mit der Bestätigung des Eilbeschlusses im endgültigen VG-Urteil rechnet. Vergleichbare EU-Abkommen gebe es mittlerweile auch mit Marokko, Tschechien und Polen. Nicht nur Spezialitätenköche profitierten davon, schätzt er: „Auch nachgezogene Familienangehörige könnten ein selbständiges Aufenthaltsrecht bekommen, wenn sie ein Jahr lang gearbeitet haben.“ Gerade Frauen müßten zur Zeit zudem vier Jahre in einer Ehe ausharren.
Weniger als Mahmut Erdem freut sich erwartungsgemäß die Ausländerbehörde. „Jetzt lautet die Frage, ob man türkischen Spezialitätenköchen in Zukunft überhaupt noch ein Visum ausstellen kann“ überlegt Sprecher Gunnar Eisold laut. „Damit würde man ihnen faktisch ein unbefristetes Aufenthaltsrecht geben, und das hat der Gesetzgeber so nicht gewollt“. Die Ausländerbehörden auch nicht: Eisold hält es für sehr wahrscheinlich, daß seine Behörde versuchen wird, die Entscheidung vom Oberverwaltungsgericht wieder einkassieren zu lassen.
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