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Die Hauruck-Amputation einer wichtigen sozialen Errungenschaft ist gescheitert. Vorerst. Arbeitgeber und der Daimler-Konzern blasen bei der gekürzten Lohnfortzahlung für Kranke zum Rückzug und zeigen sich verhandlungsbereit. Die Angst vor e

Die Hauruck-Amputation einer wichtigen sozialen Errungenschaft ist gescheitert. Vorerst. Arbeitgeber und der Daimler-Konzern blasen bei der gekürzten Lohnfortzahlung für Kranke zum Rückzug und zeigen sich verhandlungsbereit.

Die Angst vor einer explosiven Stimmung in den Betrieben ist größer als die Bereitschaft, mit der Brechstange Kosten zu sparen.

Schlappe für die Rambos

Der Klassenfeind ist in schlechter Verfassung. Das müsse einen Verbandspräsidenten doch „enttäuschen“, wenn „einen die eigenen Unternehmen im Stich lassen“, klagte gestern der Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Werner Stumpfe. Nachdem viele Metall-Unternehmen die Lohnkürzung im Krankheitsfall vorerst nicht umsetzen wollen, mußte Gesamtmetall klein beigeben. Der Verband rückte am Montag von seiner Empfehlung ab, das neue Gesetz zur Lohnkürzung für Kranke sofort anzuwenden. Die Schlappe von Gesamtmetall ist ein politischer Sieg der Gewerkschaft. Aber nur fürs erste. Zugleich zeigt sich das Chaos im gespaltenen Arbeitgeberlager.

Nach dem überraschenden Wendemanöver wollen sich morgen die Metall-Tarifparteien treffen, um über neue tarifliche Regelungen zur Lohnfortzahlung zu verhandeln. Die Tarifverhandlungen werden „sehr schwierig“, wenn die Arbeitgeber an der 20prozentigen Kürzung der Lohnfortzahlung festhielten, befürchtet die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer.

Die IG Metall hat sich vorerst nur bereit erklärt, die Lohnfortzahlung auf eine neue Bemessungsgrundlage zu stellen. Nach Angaben von IG-Metall-Vize Walter Riester könnten etwa die Überstundenzuschläge künftig nicht mehr bei der Lohnfortzahlung berücksichtigt werden. Die IG Metall gibt sich realistisch: Es werde nicht gelingen, „zur alten Form der Lohnfortzahlung zurückzukehren“, warnt Baden- Württembergs IG-Metall-Chef Zambelli vor zu hohen Erwartungen. Die IG Metall weiß, daß sich die Metall-Arbeitgeber und die Unternehmen mit einer überregionalen tariflichen Festschreibung der Lohnfortzahlung nur dann anfreunden, wenn sie anderswo die Hand aufhalten können. Vor diesem Hintergrund ist auch die gestern aufgestellte Forderung der Gewerkschaft für die kommende Tarifrunde zu sehen. 4,5 bis 5 Prozent mehr Lohn fordert die IG Metall für die Tarifrunde 97. Das läßt Spielraum für Verhandlungen und Kompensationen mit der Lohnfortzahlung.

„Wir werden nicht mehr sehr viele falsche Tarifabschlüsse machen können, ohne die Metallindustrie in Deutschland insgesamt zu gefährden“, meint der düpierte Gesamtmetallchef Stumpfe düster. Die Tarifparteien müßten zu einer Einigung kommen, die die Kosten der Unternehmen insgesamt nicht erhöht. Gesamtmetall wollte schon seit einiger Zeit die Lohnfortzahlung zusammen mit dem Urlaubs- und Weihnachtsgeld und den künftigen Lohnsteigerungen im Paket verhandeln.

Wie auch immer der Verhandlungspoker weitergeht: Die IG Metall ist an einem starken Verhandlungsgegner interessiert. Denn die Schlappe von Gesamtmetall zeigt, wie zerrissen der Verband ist. Entscheidend in Sachen Lohnfortzahlung sei, ob die Metallarbeitgeber dafür überhaupt „ein echtes Verhandlungsmandat“ erhielten, erklärt besorgt der baden-württembergische IG-Metall- Bezirksleiter Gerhard Zambelli.

Genüßlich hatte die IG Metall in den vergangenen Tagen lange Listen an die Medien durchgefaxt, in denen all jene Unternehmen penibel aufgeführt waren, die das Entgelt für Kranke entgegen der Verbandspolitik nicht kürzen wollten. „Aus Gründen des Betriebsfriedens“, wie der Automobilkonzern BMW verlauten ließ.

Der Arbeitgeberverband mit seiner harten Linie sei durch die Unternehmen „richtig vorgeführt worden“, meint Richard Polzmacher, Tarifsekretär der IG Metall in Bayern. Die Arbeitgeberverbände hätten versucht, „die Firmen in ihre Linie zu zwingen“.

Das klappte nicht. Die einzelnen Unternehmen erkannten – im Gegensatz zu Gesamtmetall – die Symbolkraft des Themas. Eine Lohnkürzung für Kranke ist eben nicht das gleiche wie eine Minderung des Urlaubs- oder Weihnachtsgeldes. Ein individuelles Risiko wie Krankheit auf die Arbeiter zurückzuverlagern, war ein zu großer Einschnitt in die Sozialpartnerschaft. „Da kippt die Stimmung“, so ein Metaller. Zumal in vielen Betrieben die Angst um den Job umgeht, Beschäftigte sich auch krank zur Arbeit schleppen.

Der politische Fehler von Gesamtmetall war, diese Brisanz nicht zu erkennen. Statt dessen verlagerte der Verband mit der empfohlenen Mißachtung der Tarifverträge die Konflikte in die Betriebe. Und das ist das letzte, was Unternehmen von ihrem Verband erwarten. „Wir machen uns über unseren Verhandlungsgegner inzwischen Sorgen“, sagt der bayerische Metaller Polzacher über Gesamtmetall. „Die lösen sich doch allmählich auf.“ Die IG Metall aber braucht einen starken Verhandlungspartner für eine bundeseinheitliche Regelung – andernfalls hat auch die Gewerkschaft ein Problem. Denn unterschiedliche Regelungen schwächen auch ihre Kampfkraft.

Unterdessen werden in anderen Branchen eilig Kompromisse zur Lohnfortzahlung gesucht. Die Tarifparteien in der Chemieindustrie treffen sich Ende dieses Monats zu einem einschlägigen Spitzengespräch. In der Chemieindustrie gibt es keine eigenen tariflichen Vereinbarung zur vollen Lohnfortzahlung, die Konzerne haben Kürzungen schon angekündigt. Auch bei den Banken gibt es keine tarifliche Sicherung, die Geldinstitute wollen gleichfalls das Entgelt für Kranke mindern. Heute treffen sich die Gewerkschaften DAG und HBV zur Strategieberatung. „Wenn die Arbeitgeber nicht mit uns verhandeln wollen, werden wir zu allen gewerkschaftlichen Mitteln greifen bis hin zum Streik“, droht Bankexperte Gerhard Renner vom DAG-Bundesvorstand.

Die Gewerkschaften wissen, daß am Ende in jedem Fall weniger herauskommen wird für die Belegschaften. Und genau das hat die Bundesregierung auch gewollt. Der Sozialabbau kommt auf leisen Sohlen. Barbara Dribbusch

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