: Verfassungsrichter verdonnern Eltern zum Lesen
■ Die Warnhinweise auf Packungen mit gesüßtem Kindertee sind deutlich genug
Freiburg (taz) – Die Hersteller von gesüßten Kindertees sind erleichtert: Ihre Karies-Warnhinweise sind rechtlich nicht zu beanstanden. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einem gestern bekanntgegebenen Beschluß. Die Eltern eines heute elfjährigen zahngeschädigten Mädchens hatten die Karieswarnungen auf Milupa-Teeverpackungen für nicht ausreichend gehalten.
Lange Zeit benutzten Eltern gesüßte Kindertees als Einschlafhilfe für ihre Kleinen. Die Tees wurden in Plastikfläschchen gefüllt und dem Kind zum Nuckeln gegeben. Erst der Gießener Zahnmediziner Willi-Eckhard Wetzel wies 1981 darauf hin, daß diese Form des Gute-Nacht-Trunks zu massiven Zahnschäden führen könne. Seit 1982 findet sich daher auf der Rückseite von Milupa-Kinderteepackungen der „Wichtige Hinweis“: „Flasche selbst halten und nicht dem Kind als Nuckelfläschchen überlassen, häufiges oder andauerndes Umspülen der Zähne, z.B. vor dem Einschlafen, kann Karies verursachen. Nach der abendlichen Zahnpflege sollte grundsätzlich nichts Süßes gegessen und getrunken werden.“
In der Folgezeit wurden gegen den damaligen Marktführer Milupa Hunderte von Schadenersatzprozessen angestrengt. Der Frankfurter Anwalt Christoph Kremer wurde zum Spezialisten für derartige Klagen und hatte im Hinblick auf Zahnschäden, die vor 1982 entstanden waren, auch großen Erfolg. Mit den heute noch aktuellen Warnhinweisen haben die Hersteller jedoch nach Ansicht der Fachgerichte ihre Schutzpflicht ausreichend erfüllt. Doch Anwalt Kremer gab nicht auf und erhob Verfassungsbeschwerde.
Diese Beschwerde wurde jetzt von einer mit drei RichterInnen besetzten Kammer des Verfassungsgerichts einstimmig abgelehnt. Die Warnhinweise seien ausreichend und es sei nicht dem Hersteller anzulasten, wenn Eltern sie mißachten. Eine Vorinstanz hatte angenommen, daß nur rund 20 Prozent der VerbraucherInnen Gebrauchsanleitungen lesen, wenn dem Produkt das Image der Ungefährlichkeit anhafte.
Bei Milupa zeigte man sich mit dem Urteil zufrieden, auch wenn der Absatz an Kindertees heute auf „ein unbedeutendes Maß“ gesunken sei. Firmensprecher Wilhelm Scior wies allerdings darauf hin, daß Eltern die Gefahr immer noch nicht richtig verstanden hätten: „Heute werden zwar Kindertees gemieden, dafür füllt man aber Fruchtsäfte und Limonaden in die Nuckelfläschchen.“ Zahnmedizinisch sei das sogar gefährlicher, weil nun auch noch Säure auf die Säuglingszähne einwirken könne. (Az.: 1 BvR 1179/93) Christian Rath
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