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Vor allem: Unter Menschen bleiben

■ Hannelore Krüger arbeitet in einem Selbsthilfeprojekt für Behinderte. Sie fürchtet den Tag, an dem die Förderung ausläuft

„Sag' ich's, oder sag' ich's nicht?“ Sie schaut ihm direkt in die Augen. Das Gespräch läuft ganz gut. Der adrett gekleidete Herr hinter dem Schreibtisch blättert interessiert in ihrer Bewerbungsmappe, fragt höflich nach Ausbildung und Zusatzqualifikation, lächelt sie verbindlich an. Bis die verdammte Husterei losgeht. Als ihr später noch mal die Luft wegbleibt, fragt er nach. Dann sagt Hannelore Krüger es doch. Daß sie Asthma hat und manchmal Depressionen. Und daß in ihrer Bewerbungsmappe eine Seite fehlt: die mit dem Behindertenausweis. Der Herr dankt. „Wir melden uns.“ Den Job kann sie vergessen.

Den Moment, wo man fallengelassen wird vom Personalchef, den kennt jeder bei der Firma „Gartenprofi“. Das Selbsthilfeprojekt in Haldensleben bei Magdeburg bietet gärtnerische Dienstleistungen an. Und von den 21 Arbeitslosen, die hier beschäftigt sind, haben 15 einen Behindertenausweis in der Tasche. In psychiatrischer Behandlung sind die meisten, manche bekommen regelmäßig Medikamente. Doch daß sie in den eigenen vier Wänden eingesperrt bleiben sollen, will den ambulanten Patienten nicht in den Kopf.

„Zu DDR-Zeiten haben wir alle gearbeitet“, erzählt Hannelore Krüger. Die zierliche Frau mit dem scheuen Gesichtsausdruck, die im Büro der „Gartenprofis“ den PC bedient, die Abrechnungen sichtet und nebenher noch ein Telefonat führt, gilt als „seelisch behindert“. Das war nicht immer so. Über 20 Jahre lang hat sie Gabelstapler gefahren „bei Tikusa in Wollmirstedt, das war eines der modernsten Hochregallager der DDR“. Kittel aus Dederon, Pullover aus Selastik, fabrikneue Röcke, Blusen und Kleider wurden in der riesigen Halle gesammelt. „Wir haben die Sachen sortiert, gezählt und an die Verkaufsstellen in der ganzen DDR verteilt. Wenn eine Kaufhalle gut angesehen war, bekam sie schöne Ware. Für die anderen war der Plunder.“

Was duch die Luft schwirrte bei Tikusa, weiß Frau Krüger nicht. Nur, daß sie krank wurde davon. Aus einer Allergie wurde Asthma, mitgekriegt haben das alle. „In der Brigade wußte jeder über jeden Bescheid, da war sehr viel Persönliches dabei.“ Bekam sie einen Anfall, sprang schon mal eine Kollegin ein, „obwohl ich mir immer blöd vorkam, das zu zeigen. Aber meistens wurde es toleriert.“

Die Leute von der Brigade haben ihren Job verloren, in Wollmirstedt lagern heute Teppichrollen, und Hannelore Krüger hat eine Odyssee durch die Personalbüros hinter sich. In Kaufhäusern und beim Stadtarchiv hat sie sich beworben, eine Meisterprüfung als Lagerwirtschafterin absolviert, „in der Hoffnung, daß ich beim Otto- Versand was kriege. Die haben mir bis heute nicht zurückgeschrieben.“ Die Warterei hat sie fertiggemacht. Die Kinder sind groß, ihr Mann arbeitet tagsüber, und zum ein Leben hinterm Herd fühlt sie sich nicht berufen. Aus Asthma wurden „diese Angstanfälle“. Gern spricht sie nicht darüber. „Man schämt sich eben für so was.“

Mit einer Therapie hat sie angefangen, „Medikamente lehne ich ab.“ Und zum Psychiatrischen Landesfachkrankenhaus in Haldensleben geht sie nur im Notfall. Kein Wunder. Ein düsterer Kasten reiht sich hier an den anderen, Verwaltungsgebäude an Krankenblocks, neben eingezäunten Häusern für die schweren Fälle toben Kinder auf dem Spielplatz: eine Stadt in der Stadt, kein Ort zum Wohlfühlen. Aber irgendwo in diesem Labyrinth gibt es ein paar engagierte Mitarbeiter. Die haben begriffen, daß sich Patienten zu ihnen verirren, die nicht in die Psychiatrie gehören. Ein Förderverein zur Enthospitalisierung wurde gegründet, den Pastor und „die von der Sparkasse“ hat man gewonnen. Und Dietrich Kloß. Leiter einer Schweinemastanlage war der Hüne mit der dröhnenden Baßstimme vor der Wende. 1991 ging die Schnitzelfabrik den Bach runter, Kloß wurde arbeitslos, kam als ABM-Kraft im Gartenbau unter. Die grünen Flecken zwischen den Klinkgebäuden hat er bepflanzt. Und 1994 mit einer Mitarbeiterin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes die Firma „Gartenprofi“ aus dem Boden gestampft.

Dietrich Kloß hat das Gute mit dem Nützlichen verbunden. Das Gute ist: „Daß den Behinderten geholfen wird.“ Das Nützliche: „Daß jeder Kranke ja auch Geld bringt“. Die Schaffung von Behindertenarbeitsplätzen wurde vom Bund gefördert. Inzwischen tragen das Land Sachsen-Anhalt und das Arbeitsamt rund 70 Prozent der Lohnkosten. Den Rest erwirtschaftet das elfköpfige Team selbst — mit einer simplen Arbeitsteilung: Die Betreuer organisieren die Gelder, die Behinderten verschaffen ihnen staatlich geförderte Arbeitsplätze. Herr Kloß hätte keinen Job, wenn es Frau Krüger nicht gäbe.

Immer im Büro sitzen will die 42jährige allerdings nicht. Manchmal steigt sie morgens um halb sieben mit den KollegInnen in den weißen Transporter auf dem Gewerbehof ein, wo graue Silos mit Futtermitteln in den Himmel ragen. Der Weg zur Arbeit führt entlang an den stuckverzierten Häusern der Industriestadt Haldensleben. Durch den mittelalterlichen Ortskern geht es, vorbei an windschiefen Fachwerkhäusern und dem alten Rathaus. Der Kleinbus biegt in eine ungepflasterte Straße, beim Kindergarten gibt es heute einen Auftrag. Die „Gartenprofis“ packen Schaufeln und Harken aus. Gelbes, feuchtes Herbstlaub rechen sie dann zusammen, schippen es in eine Schubkarre, leeren die am Komposthaufen aus. „Gartenarbeit habe ich schon immer gemocht“, erzählt Frau Krüger, „ich bin gerne an der Luft.“

Dietrich Kloß hat eine hochmotivierte Truppe. Daß es trotzdem „immer eine Gratwanderung“ ist, mit psychisch labilen Menschen zu arbeiten und konkurrenzfähig zu bleiben, erzählt er. „Einen Auftrag zurückzugeben, weil wir nicht hinterherkommen, das darf nicht sein.“ Und teurer als die Konkurrenz können sie nicht werden, „auch wenn es manchmal langsamer geht, die Mitarbeiter mehr Anleitung brauchen oder öfter mal krank sind“. Bisher kommt das Kleinunternehmen knapp durch. Doch ohne Unterstützung des Landes geht gar nichts.

Für Hannelore Krüger ist die Arbeit hinterm Schreibtisch und im Garten lebenswichtig. Elf Mark die Stunde bekommt sie, „aber von dem Geld alleine könnte ich nicht exisitieren“. Was fehlt, bringt ihr Mann nach Hause, der hat einen befristeten Job, „man hält sich eben so über Wasser“. Daß ihre Existenz gefährdet ist, weiß Frau Krüger. Bei „Gartenprofi“ laufen die Fördermittel zum Jahresende aus, für ihre Stelle gibt es schon jetzt kein Geld mehr. Wegschicken will sie keiner. „Wenn die Leute zu Hause bleiben müssen, dann sind sie am Ende“, erzählt Projektleiter Kloß, der bis zur Sozialministerin gehen will. Eine Regelfinanzierung muß her, und zwar für mindestens zwei Jahre. Für Hannelore Krüger und ihre Kollegen geht es um mehr als Geld. „Das Wichtigste ist, unter Menschen zu bleiben.“ Constanze von Bullion

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