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■ Der iranische Schriftsteller und Verleger Abbas Maarufi glaubt, daß das Verschwinden und Wiederauftauchen seines Kollegen Faradsch Sarkuhi eine schlechte Inszenierung des iranischen Geheimdienstes ist. Der kritische Dialog ist kontraproduktiv„Jetzt besteht kein Deut Hoffnung mehr“

Abbas Maarufi (39) hat in Teheran die regimekritische Literaturzeitschrift „Gardun“ (Himmelsgewölbe) herausgegeben. Seine Tätigkeit brachte ihm im Januar 1996 eine Verurteilung zu 35 Peitschenhieben und sechs Monaten Gefängnis sowie den Entzug der Lizenz zur Veröffentlichung seiner Zeitschrift ein. (Die taz berichtete.) Seit dem Sommer lebt er mit seiner Familie in Deutschland. Bis zum Herbst hatte er eine Stipendium der Bündnis90/Die Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Jetzt will er einen Asylantrag stellen. Im Herbst erschien sein erstes Buch in deutscher Übersetzung.*

taz: Vergangenen März sagten sie der taz aus Anlaß der iranischen Parlamentswahlen, Sie wollten in Teheran bleiben. Jetzt leben Sie in Deutschland. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Abbas Maarufi: Unter anderem hat mir der UN-Menschenrechtsbeauftragte für den Iran, Maurice Copithorne, empfohlen, das Land zu verlassen. Ich habe mich daraufhin an den deutschen Botschafter gewandt. Wenn ich zurückkehren würde, erwarten mich Auspeitschung und Gefängnis. Ich kann diese Situation immer noch nicht richtig wahrhaben. Jeden Tag, wenn ich aufwache, mache ich mir Gedanken, was ich hier eigentlich zu suchen habe.

Sie konnten ausreisen. Ihr Kollege, der Chefredakteur der Literaturzeitschrift „Adineh“, Faradsch Sarkuhi, wurde offensichtlich am Flughafen Teheran festgehalten und tauchte erst nach 47 Tagen wieder auf. Hatten Sie einfach Glück?

Ich hatte bei meiner Ausreise ähnliche Befürchtungen. Ich habe zu Kollegen gesagt: Ich werde versuchen, mich unter Flutlicht zu bewegen und nicht im Schatten, um nicht zu verschwinden. Deshalb bin ich mit Lufthansa geflogen. Sarkuhi wollte mit Iran Air ausreisen, vielleicht war das ein Fehler.

Was halten Sie vom Wiederauftauchen Sarkuhis? Er hat auf einer Pressekonferenz gesagt, er sei in Deutschland gewesen.

Das Regime hat einen Rückzug gemacht. Darüber freue ich mich. Seine Rückkehr war eine Inszenierung – allerdings eine mangelhafte. Inszenierungen sollten von Künstlern geschrieben werden und nicht von diesen Scheißbeamten. Nach der islamischen Revolution hatten wir ein erfolgreiches Kino, weil Künstler gute Inszenierungen geschrieben haben. Aber in der Politik war das anders, weil die Revolutionäre ihren eigenen Prinzipien nicht treu geblieben sind. Irans religiöser Führer, Ali Chamenei, hat einmal gesagt, die Festigung der Gesellschaft solle über die Kunst stattfinden. Aber in der Realität war die Kunst das erste, was in der Islamischen Republik vernichtet wurde. Ähnlich mangelhaft wie die Inszenierung um Sarkuhis Rückkehr war jene um den Mord an dem Übersetzer Ahmad Mir Alai. Er wurde 1995 tot mit einer Schnapsflasche in der Tasche und mit Alkohol übergossen auf einer Straße in Isfahan gefunden. Es sollte so aussehen, als habe ihm ein um die Ecke wohnender, bekannter Armenier Alkohol verkauft und Alai sich zu Tode gesoffen. Die Behörden hatten leider vergessen zu überprüfen, ob der Armenier noch dort war – er lebte seit eineinhalb Monaten in der Türkei! Sarkuhi hat auf Fragen von Journalisten geantwortet, wo sein Paß mit einem deutschen Einreisestempel sei, der Paß sei in Turkmenistan. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er ein Land mit so strengen Kontrollen wie Turkmenistan ohne Paß verlassen haben soll. Auch im Fall des 1994 in iranischer Haft angeblich an Herzversagen gestorbenen Schriftstellers Saidi Sirdschani haben die iranischen Behörden ihrem Opfer alles mögliche vorgeworfen: Er sei drogenabhängig, ein Agent der CIA, er sei homosexuell... Einfach alles, was für eine Hetzkampagne taugte. Alles Vorwürfe, die mit seiner Persönlichkeit überhaupt nicht in Einklang zu bringen sind.

Was denken Sie ist Sarkuhi in den 47 Tagen passiert, daß er anschließend eine derartige Pressekonferenz gibt?

Was glauben Sie, was in den Jahren seit der Revoltion 1979 im Iran passiert ist, daß zahlreiche Führer politischer Parteien im iranischen Fernsehen erschienen sind und erklärt haben: Ich schäme mich meiner Vergangenheit! Verhöre im Iran gehören zu den schwärzesten Momenten meiner Erinnerung. Wäre ich in Sarkuhis Situation, würde ich wohl auch alles sagen, was man von mir verlangt.

Einige vermuten einen Zusammenhang zwischen dem Verschwinden Sarkuhis und dem Berliner „Mykonos“-Prozeß. Sarkuhi hat selbst in einem Brief an seine Frau diese Befürchtung geäußert. Halten Sie einen solchen Zusammenhang für realistisch?

Ja. Sarkuhi ist auf einer Reise nach Deutschland entführt worden. Zwei Tage vor seiner Abreise wurde ihm mitgeteilt, gegen ihn liege ein Todesurteil vor. Anklagepunkte: Spionage für Deutschland, Zugehörigkeit zu linken Gruppierungen, verwerfliche Lebensführung und Mitgliedschaft im Schriftstellerverband.

Was halten Sie – aus dem Exil betrachtet – von den deutsch-iranischen Beziehungen?

Vielleicht ist der sogenannte kritische Dialog schuld an dieser Misere. Seit dem Beginn dieser Politik ist im Iran alles nur schlimmer geworden. Wenn das das Ergebnis dieser Politik ist, bitte ich die Bundesregierung, diese Politik zu unterlassen. Kinkel sollte die iranische Führung fragen, wieso sie einen Dialog mit ihm sucht, aber nicht mit den iranischen Schriftstellern und Intellektuellen.

Was sollte die Bundesregierung tun?

Eine Politik „Auge um Auge“ betreiben: beispielsweise den Dialog abbrechen und massiven Druck auf den Iran ausüben, die Zensur abzuschaffen.

In der Gruppe jener 134 Schriftsteller, die 1994 einen unabhängigen Schriftstellerverband im Iran gefordert haben, waren Sie im Vergleich zu Sarkuhi kompromißbereiter gegenüber der iranischen Führung.

Es gab zwei Fraktionen: Die Moderateren um Ahmad Schamlu, Huschang Golschiri und mich und die etwas anarchistischeren um den im Dezember tot in seiner Wohnung aufgefundenen Ghaffar Hosseini und Sarkuhi.

Was war der Konflikt zwischen den beiden Fraktionen?

Ich gehörte zu dem Vorbereitungskomitee, das Unterschriften zu dem Aufruf sammeln sollte. Ich habe Unterschriften gesammelt, die anschließend von anderen gestrichen wurden – aufgrund persönlicher Differenzen.

Gab es auch inhaltliche Differenzen?

Nein – keine großen. Es ging um Geschmacksrichtungen, ähnlich wie bei den Differenzen zwischen Ost und West im deutschen PEN. Es ging um unterschiedliche Herangehensweisen. Die Grundfesten meiner Überzeugungen wurden allerdings erschüttert, als ich merkte, daß die iranische Regierung einzelne Worte durch Zensur beseitigen will, meine Kollegen aber ganze Personen. Das war für mich inakzeptabel. Wie kann man gegen die Zensur der Regierung vorgehen und selbst in einem solchen Maße zensieren?

Sarkuhi hat von einem Konflikt zwischen ihm und ihnen berichtet. Es ging um seine Formulierung: Wir fordern uneingeschränkte Meinungsfreiheit. Und Ihre: Wir fordern Meinungsfreiheit, so wie sie die Verfassung der Islamischen Republik garantiert.

Wir alle haben die Satzung des Schriftstellerverbandes unterschrieben, mit der Forderung nach uneingeschränkter Meinungsfreiheit. Aber es ist utopisch zu glauben, wir könnten uns von der Realität im Iran loslösen, so als ob wir im 24. Stock der UN-Zentrale in New York säßen und über geeignete Formulierungen nachdenken. Um greifbare Ergebnisse zu erzielen, müssen wir die iranische Realität berücksichtigen. Der Standpunkt meiner Fraktion war, daß Extremismus – egal ob von links oder rechts – zu nichts führt. Wir waren pragmatisch. Es wundert mich, wieso Sarkuhi oder andere diesen Konflikt nach außen getragen haben. Das war eine interne Diskussion.

Sie haben vor wenigen Monaten gesagt, Sie wollten im Iran bleiben, um dort als kritische Stimme aktiv zu bleiben – ähnlich wie Sarkuhi. Ist dieser Versuch jetzt gescheitert?

Wir waren die Hartnäckigsten. Wir haben bis zuletzt gehofft. Aber jetzt besteht kein Deut Hoffnung mehr. Alle meine Bücher und meine Zeitschrift sind verboten. Ich habe für zwei Jahre Publikationsverbot. Das Vorgehen gegen uns ist mittelalterlich. Man lebt schließlich nur einmal. Deshalb habe ich meine Existenz im Iran geopfert, um Zeit zu gewinnen. Vielleicht habe ich in zehn Jahren nichts mehr zu sagen. Ich will die Zeit nutzen, um zu schreiben. Ich habe in der Zeit in Deutschland einen Roman geschrieben, mehrere Erzählungen und Artikel. Die älteren Ausgaben von Gardun werden über das Internet verbreitet. Im Rahmen des Goethe-Instituts sollen weiterhin von Gardun organisierte Literaturabende stattfinden, so wie vor der iranischen Revolution in Teheran: in Stockholm, Essen, New York usw.

In Teheran gibt es kein Goethe- Institut. Hat die iranische Führung mit Ihrer Vertreibung ihr Ziel erreicht?

Wir wollen gerade zum Ausdruck bringen, daß wir im Iran keine Möglichkeit haben, unserer Tätigkeit nachzugehen. Uns bleibt keine andere Möglichkeit. Ich hoffe, daß bei diesen Treffen eine Verständigung der Schriftsteller deutlich wird, damit die Welt erfährt, was wir mitzuteilen haben – daß wir nicht wegzudenken sind.

Ist Ihre Stimme noch im Iran zu hören? Der Zugang zum Internet ist dort stark eingeschränkt.

Literatur kann man nicht auslöschen. Meine Bücher sind im Iran immer noch vorhanden. Ich werde auch in Zukunft unter Pseudonym oder auf andere Art und Weise schreiben und dafür sorgen, daß meine Werke im Iran zu lesen sind. Wir werden nicht so schnell von der Szene verschwinden. Berühmte iranische Schriftsteller haben ihre Bücher trotz Verbot als Fotokopien veröffentlicht.

Warum geht die iranische Führung gerade mit solcher Brutalität gegen den kleinen Kreis kritischer Literaten vor: Mord, Folter, Verschwindenlassen?

Die iranische Führung hat begriffen, daß die Geschichte nicht von den Schreibern der Sieger geschrieben wird, sondern von den Schriftstellern der Besiegten. Das ist für eine Regierung mit ideologischen Ambitionen schwer zu verdauen. Sie hat Unsummen in ideologische Arbeit investiert. Sie wollten getreue und erfolgreiche Literaten hervorbringen, es ist ihnen aber in keinem einzigen Fall gelungen. Die regimetreuen Schriftsteller sitzen in den Institutionen, bei der Zensur. Ihr Vorgehen hat mit persönlichem Neid gegenüber ihren Kollegen zu tun: Die Besiegten sind erfolgreich. Das führt zu dieser Brutalität. Ein anderer Faktor ist der seit etwa einhundert Jahren im Iran existierende Kampf zwischen Geistlichen und Intellektuellen. Was jetzt passiert, ist ein Ausdruck dieses Kampfes der Sieger gegen die Besiegten. Für das Regime existiert nur Schwarz oder Weiß: Entweder du gehörst zu uns oder du bist unser Feind. Mittlerweile sind entsprechende Gesetze in Kraft. Beispielsweise kann man wegen Kontakten zu Ausländern wegen Spionage zum Tode verurteilt werden. Schriftsteller – die immer zuerst mit ausländischen Kulturträgern in Kontakt sind – können jederzeit als ausländische Agenten hingerichtet werden. Das funktioniert wie in einer lateinamerikanischen Diktatur. Vorher versucht die iranische Führung durch taktische Schritte zu erreichen, daß die Schriftsteller schreiben, was sie möchte. Beispielsweise hat mich vor etwa drei Jahren ein Vertreter eines hochrangigen iranischen Politikers besucht und gesagt: Ihre Bücher gefallen dem Ajatollah XY sehr gut. Er möchte, daß sie auch ein Buch über den Krieg gegen den Irak schreiben. Dann wollte er mir einen Scheck überreichen. Ich habe das abgelehnt. Ich habe gesagt: Ich bin kein Verkäufer, sondern Schriftsteller. Ich war immer ein Verfechter des Dialogs. Ich denke, daß man mit der Methode von Partisanen nichts erreichen kann. Ich hoffe immer noch, daß man sich mit den verantwortlichen Politikern zusammensetzen und diskutieren kann.

Ihre Kritiker halten Ihnen diese Kompromißbereitschaft vor, besonders daß sie selbst einmal für das Regime gearbeitet haben – für das für Kultur zuständige Ministerium für religiöse Führung.

Ich habe mir überhaupt nichts vorzuwerfen. Ich war zehn Jahre Lehrer – Angestellter des Amtes für Erziehung und Bildung. Drei Jahre lang habe ich in einem Musikzentrum gearbeitet und die erste Musikzeitschrift in der Islamischen Republik veröffentlicht. Wir haben viele Stücke erstmals im Iran aufgeführt. Ich akzeptiere, daß einige Leute den Stil meiner Bücher nicht mögen. Aber die Leute, die behaupten, ich hätte mit dem iranischen Regime zusammengearbeitet, halte ich für keine ernstzunehmenden Kritiker meiner Tätigkeit. Interview: Thomas Dreger

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