: Die unsichtbare Waffe in Moskaus Händen
■ Viele der neuen Staaten sind auf russische Gaslieferungen angewiesen
Moldawiens Bürger müssen zu Neujahr nun auch noch ihre eingemotteten Pelzwaren aus den Schränken kramen. Auf einer Krisensitzung beschloß das Kabinett in Chisinau, den öffentlichen Nahverkehr vorübergehend einzustellen und die Beheizung öffentlicher Gebäude drastisch einzuschränken. Die Temparaturen sanken an der Moldau derweil auf minus 27 Grad. Der Grund für die plötzliche Notstandsmaßnahme ist in Moskau zu suchen. Der russische Energiekonzern Gasprom hatte seine Gaslieferungen um die Hälfte eingeschränkt, um Druck auf den säumigen Zahler auszuüben, der mit rund 620 Millionen Mark in der Kreide steht. Ein Umschuldungsabkommen sieht indes vor, die Schulden bis zum Jahr 2003 zu begleichen.
Auch fünf Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR leiden die ehemaligen Sowjetrepubliken noch an den Folgen einer verzerrten Planwirtschaft, die Energiekosten in der Rentabilitätsrechnung nicht berücksichtigte. Politisch selbständig, blieben die jungen Staaten energiewirtschaftlich auch weiterhin von Moskau abhängig.
Der Kreml versuchte wiederholt, aus dem Energiedefizit der jüngeren Brüder politisches Kapital zu schlagen. Besonders schwer zu kämpfen hatten anfänglich die Ukraine und Weißrußland. Kiew zeigte sich nicht willens, Souveränität gegen preisgünstiges Gas und Öl einzutauschen. Als Moskau den Vorschlag machte, die aufgelaufenen Schulden gegen den ukrainischen Teil der Schwarzmeerflotte aufzurechnen, lehnte Kiew brüskiert ab. Seither bemüht sich die Ukraine, den Energieverbrauch zu reduzieren, alternative Quellen im eigenen Land zu erschließen und einen Teil des Bedarfs aus Turkmenistan zu ordern.
Gasprom drohte mehrfach, den Hahn zuzudrehen. Indes sind auch dem Konzern die Hände gebunden. Denn die Pipelines auf dem Territorium des Nachbarn versorgen die Kunden in Mittel- und Westeuropa. Solange Gas durch die Pipelines floß, erhielt die Ukraine zwischen 50 und 80 Millionen Kubikmeter täglich, zusätzlich zapfte sie illegal noch einmal 50 Millionen Kubikmeter pro Tag ab. Nicht genug, um den Bedarf von 200 Millionen Kubikmeter zu decken. Trotz allem gelang es dem westlichen Nachbarn, dem politischen Druck aus Moskau zu widerstehen. Obwohl sich Gasprom nur noch zu 40 Prozent in staatlichen Händen befindet, nimmt sich der Konzern die Freiheit, wider Rentabilitätskriterien nach politischem Gutdünken sein Gas zu vertreiben. In Weißrußland, das energiewirtschaftlich voll und ganz am Moskauer Tropf hängt, stehen die Dinge noch krasser. Zu Jahresbeginn schuldete Minsk Rußland 800 Millionen US-Dollar allein für Energielieferungen. Im Februar erließ man dem Nachbarn die Schulden, der freiwillig zurück unter die Fittiche des Kreml strebt. Minsk hatte zuvor bereits den Löwenteil der Kredite des Internationalen Währungsfonds an Gasprom abgeführt, ohne den völlig überalterten nationalen Energiebereich zu modernisieren. Klaus-Helge Donath, Moskau
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen