: Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar
...kennt viele Rätsel. Über die Geheimnisse des Alltags, die Mysterien der Normalität, die Wunder der Natur. Wie etwa das Fragezeichen Frau. Just am Heiligen Abend saßen vier homosexuelle Herren beieinander, bei Lammfilet und teurem Merlot, und hatten nur ein Thema: die Frau. Die urbane nämlich, Mitte dreißig, tough, emanzipiert, materiell unbesorgt und unbemannt.
Jeder der vier kannte gleich mehrere von diesem Typus, Freundinnen, Kolleginnen, Bekannte. Und einer, Manager in einem Dienstleistungsbetrieb, brachte die gesammelten Erfahrungen auf den Punkt: „Sie werden alle von ihrer Gebärmutter regiert.“ „Ja, ja, die Vaginalkräfte“, prustete laut ein anderer dazwischen, der Lehrer ist an einem gemischtgeschlechtlichen Gymnasium. Die flotte These verlangte nur noch nach Bestätigung, eine Frau nach der anderen wurde durchgehechelt, und am Ende kamen sie zu einem Schluß: Alle diese Frauen wollen ein Kind. Oder haben gerade eines bekommen. Oder planen derzeit ihre Niederkunft.
„Der Körper der Frau Mitte Dreißig verlangt einfach danach“, dozierte der Manager: „Das ist ein Gesetz der Natur.“ „Es gibt keine Natur!“ protestierte der Intellektuelle in der Runde. „Und schon gar keine weibliche!“ pflichtete ihm Lola bei, eine Tunte der Sonderklasse. „Aber sie denken an nichts anderes mehr, nehmen jeden dahergelaufenen Kerl zur Samenspende, zelebrieren ihre Schwangerschaft als permanente Offenbarung und tragen ihre dicken Bäuche mit einem trotzigen Selbstbewußtsein umher, daß sie darüber sogar ihre Frisuren vergessen.“ Der Lehrer redete sich in Rage. „Dabei klagen so viele darüber, daß es so schwierig sei, überhaupt noch einen Mann zu finden“, seufzte Lola, „und richtig entsetzt bin ich, wenn ich sehe, war für Grottenolme diese Supermädels manchmal abgreifen. So als sei die Männerwelt eine einzige Altkleidersammlung!“
Als die vier bei der Mousse angelangt waren, schwarz und weiß und voll der guten Butter, wußten sie nicht mehr weiter: „Warum machen sich Frauen nur derart zu Sklavinnen der Natur?“ „Zu Opfern ihrer Geschlechterrolle!“ Der Intellektuelle mußte das letzte Wort haben. Sie schauten einander an, patschten ratlos mit kleinen Silberlöffeln in der klebrigen Masse und hofften auf eine Erkenntnis, die der Welt wieder ihren Glanz zurückgibt wie weiland die Geburt des kleinen Heiligen im Stall von Bethlehem.
„Was geht uns das eigentlich an?“ Der Manager versuchte den Durchbruch. „Ne ganze Menge!“ Lola hatte das Gemüt einer Trümmerfrau: Jetzt erst recht! „Wo sind wir nicht wie die Frauen sind? Wollen wir denn etwas anderes? Nein! Wovon träumen wir denn ständig? Na?! Vor die Wahl gestellt, würden wir uns doch auch für die Villa in Zehlendorf entscheiden, mit Terrasse, Zweitwagen, wöchentlicher Maniküre, einem zuckersüßen Nachgeborenen und 'nem Mann, der nie da ist.“ Erschöpft lehnte Lola sich zurück, seit Monaten hatte sie nicht mehr soviel Substantielles am Stück dahergeredet.
Lola hatte recht. Die anderen wußten es genau. Sie hoben die Gläser, prosteten einander zu: „Auf die Gebärmutter! Auf die Vaginalkräfte!“ Und die Welt war wieder in Ordnung. Mußte man sie dann noch verstehen?
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