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Abstempeln und Mitnehmen

■ Ein Tisch, ein Stempel, ein Krematoriumsplan: Luis Camnitzers „Patentanmeldung“

Auf einem unschuldig weißen Teppich steht ein 250 mal 150 cm großer gläserner Planungstisch. Zwei Konstruktionszeichnungen sind auf der Platte eingeätzt. Eine Umrundung ist nötig, um den wie eine Bordüre dazugesetzten Text zu lesen: „Ich beschloß, ein Krematorium mit höherer Kapazität zu bauen. Im November 1942 schloß ich meinen Entwurf zur Massenverbrennung in einem Krematorium ab und reichte ihn beim Reichspatentamt in Berlin ein. Das Krematorium sollte nach dem Fließbandprinzip funktionieren, so daß die Leichen über einen Rost ununterbrochen in die Öfen transportiert worden wären und die Verbrennung in Gang gehalten hätten. Dieses Patent konnte nicht amtlich registriert werden, weil es als geheime Reichssache eingestuft war.“

Diese ebenso sachlichen, wie etwas frustrierten Aussagen des Ingenieurs Fritz Sander, leitender Mitarbeiter der Erfurter Brennofenfirma J. A. Topf & Söhne, vor einem russischen Militärtribunal können in der Installation von Luis Chamnitzer in ihrer Borniertheit erst nach und nach realisiert werden. Auch die Art des Tischgestells wird erst auf den zweiten Blick deutlich: Es ist aus DIN-genormten Gasrohren gebaut. Und an den Wänden der Galerie Basta hängen dazu noch 16 Fotos von Grassoden – von unten gesehen.

Warum ist das alles kein Betroffenheitskitsch im Rahmen der Holocaust-Diskussion? Thema des in Uruguay aufgewachsenen Künstlers Luis Camnitzer sind nicht die Greuel der Vergangenheit, er benutzt den besonderen deutschen Kontext als Verstärker für den Hinweis auf den ganz aktuellen Mangel an ethischer Verantwortung. Seuche, Bombenopfer oder Massenmord, der Ausgangspunkt der zitierten Problemlösung wurde weder vom Erfinder damals noch vom Künstler heute erwähnt. Es ist gerade die Gleichgültigkeit einer technischen Apparatur gegenüber Ursache und Wirkung, die dem deutschstämmigen, in New York lebenden Künstler wichtig ist. Und das ist immer aktuell: Auch heute wird in den Giftküchen der Technologie im Namen des Fortschritts Unheil ausgebrütet.

Darüber hinaus geht es Camnitzer um die individuelle Autorisierung einer Arbeit zum Werk, sei es durch Patentanmeldung oder künstlerische Signatur. Mit den Geheimnissen des Kunstbetriebs befassen sich die Arbeiten in den hinteren Räumen der Galerie. Der New Yorker Kunstprofessor und Teilnehmer der Biennalen von Venedig und Sao Paulo kennt sich da bestens aus. Wie ein Formular berechnet „Signature by the inch“ ironisch-kritisch den Wert der einzelnen Buchstaben der Künstlerunterschrift. Kernsätze wie „Anschauen ohne zu zahlen ist Stehlen“ oder „Ästhetik verkauft, Ethik verschwendet“ werden wie Handzettel verbreitet: Sechs Aussagen des Künstlers können die Besucher für eine Mark selbst mit der Unterschrift von Luis Camnitzer abstempeln und mitnehmen. Dabei ist kein Geheimnis, daß alle sechs zusammen mit Originalunterschrift des Künstlers 20.000 Mark kosten würden.

Gegen die Kunstpraxis postmoderner Zitate und absolut gesetzter Materialästhetik gleichermaßen besteht Luis Camnitzer auf einer sinnlichen und engagierten Kunst, die aber das einzelne Künstlerindividuum nicht überschätzt. Er findet die Idee befremdlich, ein Künstler sei vor allem ein Künstler und nicht vor allem ein ethisches und politisches Wesen.

Hajo Schiff Luis Camnitzer: „Patentanmeldung“, Galerie Basta, Großheidestr. 21, Di bis Fr, 14 bis 19 Uhr, Sa, 12 bis 15 Uhr, bis 1. März

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