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■ NachschlagKulinarisches von der roten Liste im Museum für Naturkunde

„Daß ein Sterblicher sich nährt von einem Geschöpf, das zugleich auch seine Lampe speist, daß er es also sozusagen bei seinem eigenen Lichte verzehrt, scheint auf den ersten Blick ein wunderlich Ding, und es macht sich deshalb nötig, ein paar historische und philosophische Betrachtungen darüber anzustellen“ (Herman Melville, Moby Dick).

Das Museum für Naturkunde hat sich innerhalb des Veranstaltungszyklus „Schauplatz Museum“ etwas ganz Besonderes ausgedacht. Ausgestopfte Tiere und blanke Dinosaurierknochen angucken macht hungrig, dachte man sich, das weiß auch die Gyrosbude gleich neben dem Museum. Aber hat sich schon mal jemand vorgestellt, ein Fischotterragout zu essen?

Es ging also ums Essen am Dienstag abend im Naturkundemuseum, besser gesagt: um die Zubereitung heikler Speisen. Denn gebraten, gekocht, mariniert und gedünstet wurden Lebewesen, die heute auf der roten Liste der gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Tiere stehen. Verspeist wurden sie zwar nur theoretisch, aber der Schauspieler Helmut Krauss las so plastisch aus alten Kochbüchern vor, wie zum Beispiel dem „Großen illustrierten Kochbuch für den einfachen, bürgerlichen und feinen Tisch“ von 1904, daß man den märkischen Feldhasen vor sich auf dem Teller liegen sah. Bei manchen Gerichten wie Bärenbraten in Bieressig, Austern, die vor rund 150 Jahren ein alltägliches Nahrungsmittel waren, oder gedämpftem Biberschwanz (seinerzeit ein Fastenessen) schmeckte der eine oder andere in den Zuschauerreihen innerlich nach und nickte anerkennend. Die Rezepte hörten sich nicht nur sehr schmackhaft an, sie schilderten auch verschiedene Arten des Sterbens. Denn früher kaufte man nicht das fertige Schnitzel, das in der Pfanne nur noch zusammenschrumpeln muß, sondern hatte es meist mit einem noch lebenden Tier zu tun. Zur Fertigstellung einer Mahlzeit gehörten deshalb häufig eine Philosophie des Tötens sowie ihre praktische Ausführung. Zum Beispiel Flußkrebse: Erst mal muß man sie fangen, dann mit einer Stielbürste abbürsten und anschließend unbedingt mit heißem Wasser begießen, weil kaltes einen langen, quälenden Tod bedeuten würde.

Begleitend zu den kulinarischen Ausführungen spielte Beni Araki auf einem Cembalo Tafelmusik von Bach, Rameau und anderen Komponisten. Katrin Schings

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