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Horst Seehofer legt die Aids-Hilfe an den Tropf

■ Etat für die Bekämpfung der tödlichen Infektionskrankheit wird um ein Drittel gekürzt. Eltern von Kranken und Künstler protestieren: Entwarnung ist „töricht“

Berlin (taz) – Die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) stürzt ins Milliardenloch der Bundesregierung. Gesundheitsminister Horst Seehofer macht Ernst. Er will die Gelder für die Bekämpfung der Infektionskrankheit dramatisch streichen. Von 18 auf 12,5 Millionen Mark soll der Aids-Etat bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gekürzt werden. In Berlin attackierten gestern Eltern von Aidskranken, Künstler und Mitglieder der Aids-Hilfe die Rotstift-Politik „auf Kosten von Menschen mit HIV und Aids“.

DAH-Geschäftsführer Stefan Edgeton warf dem Minister vor, er gefährde mit diesem „drastischen Einschnitt“ eine einzigartig erfolgreiche Arbeit, die dazu geführt habe, daß die Bundesrepublik in Sachen Aids heute von den westlichen Industrienationen am besten dastehe. Die Mittelkürzung sei das falsche Signal und untergrabe die Präventionsarbeit.

Seehofer sei offenbar hereingefallen auf die Entwarnungsphantasien. Es sei töricht zu glauben, daß Aids erledigt sei, nur weil sich die Therapiemöglichkeiten gebessert haben. Das Gegenteil sei der Fall: „Die rennen uns die Bude ein“, schilderte Edgeton den deutlich gewachsenen Bedarf an Information und Hilfe. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung – von ihr wird die DAH finanziert – werde mit den anvisierten Mittelkürzungen ausgetrocknet. Aber Seehofer sei ja geübt in der Auflösung von Ämtern, sagte Edgeton unter Anspielung auf das zerschlagene Bundesgesundheitsamt.

DAH-Sprecher Michael Lenz wies auf die Anstrengungen der DAH in den letzten Jahren hin, die trotz Wiedervereinigung und steigenden Betroffenenzahlen nie eine Etaterhöhung gesehen habe. „Wir haben uns immer nur gestreckt und gestreckt.“

Das Kölner Ehepaar Margarete und Günter Schmitz, deren Sohn im vergangenen Jahr an Aids gestorben war, berichtete über die Angehörigenarbeit, die von den Aids-Hilfen getragen und finanziert werde. Solche Projekte dürften nicht kaputtgespart werden. Die Eltern appellierten an Politik und Gesellschaft, den Betroffenen nicht ihre Solidarität zu verweigern. Entertainerin Margot Werner verlangte „nicht weniger, sondern mehr Geld“ für diejenigen, die Tag für Tag den Kranken und Infizierten beistehen.

In der Bundesrepublik gibt es gegenwärtig 120 regionale Aids- Hilfen mit rund 6.000 haupt- und nebenamtlichen Mitarbeitern, die auch finanziell eng mit dem Dachverband DAH verbunden sind. Sie leisten die gesamte Aufklärungs- und Präventionsarbeit in den von Aids am intensivsten betroffenen Gruppen der Schwulen und der Drogenszene. Gegenwärtig wird die Zahl der Infizierten auf 60.000 geschätzt, 16.000 Menschen sind bisher an Aids erkrankt. Manfred Kriener

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