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Ein Tizian mit Teebeuteln

Popkultur von der Peripherie: Japanische Kunst und Designobjekte der neunziger Jahre in der Wiener Ausstellung „Japan Tody“ im MAK präsentiert sich in Acryl, aber ohne jeglichen bilderstürmerischen Eifer  ■ Von Uwe Mattheiß

Milde schaut die Madonna im blauen Umhang auf ihren kleinen Sohn, wie er sich aus den Leintüchern reckt. Ärmchen und Beinchen sind noch die eines Kleinkindes, doch unter dem blond gescheitelten Haar blicken harmonisch proportionierte Gesichtszüge eines Erwachsenen auf die Szene herab. Der König der Welt nimmt die Huldigungen der Heiligen Drei Könige entgegen. Über ihm wachen der Stern von Bethlehem und zwei putzige Engel. Für den Fall, daß die Gemeinde vor der theophanen Herrlichkeit des Werkes in Tränen ausbricht, ist vorgesorgt: Die vier Quadratmeter große Bildtafel ziert eine Aussparung für eine Packung Kleenex-Tücher.

Und dennoch fehlt dieser Bildmanipulation gänzlich der blasphemische oder bilderstürmerische Eifer. Sie irritiert eher durch die vollkommene Indifferenz gegenüber dem Inhalt und der Tradition der Darstellung. Der warme Farbton alter Ölmalerei entpuppt sich bei näherem Hinsehen als schneller Strich in Acryl, der die Illusion des gediegenen Ölschinkens gar nicht erst erwecken will. Die Anordnung der Bildelemente wirft so ziemlich alle Prinzipien der Komposition über den Haufen, die die europäische Ölmalerei im Laufe ihrer langen Geschichte hervorgebracht hat. Miriam Fukuda, eine 33jährige bildende Künstlerin aus Tokio, begegnet den westlichen „Meisterwerken“ wie wertvollen Exponaten einer völkerkundlichen Sammlung. Sie gehört zu den herausragenden Vertreterinnen einer neuen japanischen Kunst nach 1989, die sich gleichermaßen vom westlichen Vorbild wie von den Fesseln der japanischen Tradition befreit hat.

Die Ausstellung „Japan Today“ im Wiener Museum für Angewandte Kunst zeigt anhand der Arbeiten von 15 Künstlerinnen und Künstlern die Eckdaten einer produktiven Explosion in der japanischen Kunst der neunziger Jahre. Den höchst unterschiedlichen Ansätzen in Kunst, Fotografie und Design erscheint ein Arbeitsprinzip gemeinsam: der ganz und gar ahistorische Zugang zum Zeicheninventar der westlichen Kunstgeschichte – und ebenso zur japanischen Tradition. Von ihren Kontexten losgelöst, treten die Irrläufer aus der west-östlichen Geschichte gleichrangig neben die Bildervorräte der technologischen Sphäre und der Populärkultur.

Miriam Fukuda wendet die Kategorie des Exotischen, die die westliche Kultur entwickelt hat, auf die alten Meister selbst an. Dabei interessieren sie nicht die Fragestellungen der Moderne. Das Ölbild als höchste Form des individuellen Ausdrucks bei gleichzeitigem Anspruch auf universelle Gültigkeit der Inhalte beruht auf Denkvoraussetzungen, die die japanische Tradition beispielsweise so nicht liefert. Fukudas Bildtafeln zerlegen ihre Vorbilder ganz oder teilweise in quadratische Flächen, die wie in einem groben Scannerbild den durchschnittlichen Farbwert der Originalfläche tragen. Sie läßt Bildvorlagen hinter zwei rotierenden Polarisationsfiltern verschwinden und wieder aufscheinen. Bilder von Velasquez oder Manet malt sie in verschobener Perspektive nach. Im „Frühstück im Freien“ ragt plötzlich ein graues Männerbein der schönen Nackten anzüglich entgegen. Und Danae empfängt goldenen Regen in Form von gelben Teebeuteln.

Mit ähnlichen Manipulationen an europäischen Vorbildern tritt seit den achtziger Jahren Yasumasa Morimura auf. In seinen großformatigen Farbfotografien posiert er im Bildarrangement nach den Vorbildern westlicher Werke. In der Wiener Ausstellung ist er mit einer Reihe von Selbstinszenierungen nach Vorbildern aus der populären Musikkultur vertreten, von Madonna bis Michael Jackson. Anders als etwa Cindy Sherman spekuliert er in seinen Unterwanderungen der westlichen Bilderwelt auf die ethnische Differenz. Er dringt ausdrücklich und sichtbar als japanischer Körper in europäisch-amerikanische Kontexte ein. Er zeigt den Zwiespalt der westlichen Kultur, die sich heute zwar durchgängig universal und multiethnisch betrachtet, deren Bildwelt aber trotz schwarzer Musik, japanischen Designs und den „United Colors“ der Werbung nach wie vor von „Weißen“ bevölkert ist.

Morimuras Arbeiten zeigen vielleicht am deutlichsten die Perspektive Japans gegenüber der westlichen Kultur, die sich zur „Weltkultur“ bemächtigt hat. Das Japan der Gegenwart ist in Technologie, Architektur, Design oder selbst Populärkultur eines ihrer Zentren, zugleich aber erfolgte die Aneignung dieser Kultur aus der Perspektive der Kolonisierten. Im Bewußtsein, zugleich als Zentrum und Peripherie herzuhalten, erscheinen europäische Sehnsüchte nach Ursprung oder Tradition nicht besonders attraktiv.

Das betrifft auch die eigenen Wertvorstellungen: Nach dem Tod von Kaiser Hirohito 1989 sind zum Teil höchst polemische Auseinandersetzungen mit den nationalen Autoritäten entstanden. Einer ihrer vielleicht radikalsten Vertreter ist Yukinori Yanagi. Seine Installation „Hinomaru Container“ ist ein äußerlich an ein Grabmal erinnernder Raum, im Innern erzeugen Neonröhren, rote Glühlampen und Spiegel ein Bild nach Art der japanischen Vorkriegsflagge Hinomaru („Aufgehende Sonne“). In der Mitte, dem Ursprung der roten und weißen Strahlen, blinkt ein „Y“ mit zwei Querstrichen, als Zeichen der japanischen Währung. An die Stelle von Spiritualität und autoritärem Staat ist das Geld als Ikone getreten.

Die Ausstellung zeigt bekannte Formen, in denen Popkultur verarbeitet wird. Takeshi Murakami und seine Übersteigerung der Formen der Comicliteratur und die phantastischen Maschinen des Kenji Yanobe beziehen ihre Anregung aus der auch im Westen bekanntgewordenen Subkultur der Otaku, der jugendlichen „Stubenhocker“, die ihr Leben komplett Comics oder Computerspielen widmen. Weniger bekannt, aber höchst pointiert erscheinen die Auseinandersetzungen von Künstlerinnen nicht nur mit „weiblichen Themen“. In edlen Grauwerten ironisiert Michiko Kon auf großformatigen Fotografien den Sexismus in der Sprache. Aus Fischen und Meeresfrüchten formt sie Gegenstände, die die Frau „zur Frau“ machen, wie Korsagen und Stilettos. Sie spielt mit der weitreichenden Analogie von Meeresfrüchten und weiblichen Sexualorganen in der Alltagssprache. Der austernschlürfende Herrenwitz auf japanisch.

Eines der wichtigsten Themen in der japanischen Gegenwartskunst ist nach wie vor die Auseinandersetzung mit Technologie. Mit ihrer Installation „Informationskrieg“ holt die Künstlerin und Informatikerin Seiko Mikami die Gewalt- und Kriegsphantasien aus dem „Cyberspace“ in eine materielle Repräsentation zurück. Das Innenleben eines PCs wird zur Startrampe einer gläsernen Rakete, die ebenfalls mit integrierten Schaltkreisen bestückt ist.

Mit der Absage an historische Kontinuitäten ist ein besonderes Verfahren in der Aneignung fremder Quellen verbunden. Yuko Hasegawa beschreibt in einem Katalogtext dieses Phänomen der „Japanisierung“ als eine „sogartige Kraft, sich ohne erkennbare Auswahlprinzipien eine fremde Kultur einzuverleiben“. Hasegawa liefert eine positive Reformulierung des im Westen stereotyp erhobenen antijapanischen Vorurteils von der fehlenden Originalität: Auf Japan bezogen bedeute Originalität die Art der Aneignung und der Transformation äußerer Einflüsse. „In der heutigen japanischen Kultur gibt es nichts, was auf eine ,original‘ japanische Quelle zurückzuführen wäre.“ Diese Haltung erlaubt der japanischen Kunst eine Art von postnationalem Selbstverständnis. Gegen die restaurativen Tendenzen in Europa ist ihre fröhliche Revolte ein wirksames Gegengift.

„Japan Today“. Bis 25.5., Museum für Angewandte Kunst, Wien

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