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Trutzburg Bonn

■ Die Koalition will den Kohlekonflikt verschieben

Zwei Scheiben der FDP-Zentrale gehen zu Bruch, Bergarbeiter drängen Polizisten vor sich her, Kanzlerpuppen hängen an Seilen, eine Autobahn wird blockiert – für einen kurzen Augenblick glich die Szenerie an den Rheinwiesen einem Brechtschen Lehrstück. Kohl und das Kabinett reagierten, wie es im Lehrbuch parlamentarisch gewählter Regierungen Sitte ist. In Windeseile wurde der Kohlegipfel abgesagt und verschoben. Man wolle sich nicht dem „Druck der Straße“ beugen, lautete die magische Formel, die in Deutschland stets das Fürchten lehren soll, wenn der Protest über die Vehemenz eines Kirchentages hinausgeht. Die Verschiebung der Gespräche mag der Bundesregierung einen taktischen Vorteil bringen. 48 Stunden haben SPD und Gewerkschaft nun Zeit, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden und den Zorn der Bergarbeiter zu dämpfen. Kohl, der sich nicht scheut, persönlich auf Eierwerfer zuzustürmen, stilisiert sich derweil zum eisernen Kanzler in der umtosten Trutzburg Bonn: Erst wenn ihr brav seid, werde ich wieder ein Ohr für euch haben.

Ob sich aber der propagandistische Gewinn, den sich die Regierung verspricht, am Ende auszahlen wird? Ist, was die Regierung Kohl betreibt, noch Strategie oder schon Reflex? Es überrascht durchaus, daß sich Kohl bei allen Problemen, die die Koalition hat, noch eines zusätzlich draufsattelt. Mag sein, daß manche hoffen, im Kohlestreit die Reformunwilligkeit der SPD aufs allertrefflichste zu entlarven. Doch das Gegenteil dürfte der Fall sein, wenn die SPD tut, was die Bergleute von ihr erwarten: nämlich ihre Rolle als Oppositionspartei wahrzunehmen und eine sanfte Lösung für den Bergbau durchzusetzen.

Ähnlich wie bei der Lohnfortzahlung könnte auch der Versuch, die Kohlesubventionen rabiat zu kappen, am Ende scheitern. Die Bergleute von Rhein und Ruhr kämpfen zwar nur um ein regionales Anliegen, um die Rettung der Überreste der einst mächtigen Kohlereviere. Die Kumpel symbolisieren zugleich aber immer noch den wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik nach 1945. Sie gehören zum Inventar, das wie vieles andere nun ausgemustert werden soll. Ihr Protest in Bonn ist daher Ausdruck der Angst und Wut, die Millionen im Lande allabendlich vor den Fernsehern beschleicht. Severin Weiland

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