: Polizeichefs nehmen selber fest
■ Prozeß gegen angebliche Störerin von Rekrutenvereinigung offenbart: Landesschutzpolizeidirektor Gernot Piestert ging mit einem Kollegen allein gegen Demonstranten vor. Rest der Truppe blieb untätig
Landesschutzpolizeidirektor Gernot Piestert, der dritthöchste Mann der Berliner Polizei, hat beim Bundeswehrgelöbnis vor dem Charlottenburger Schloß höchstpersönlich zugegriffen. Er sei erbost über die Absperrung gehechtet, um gegen Demonstranten vorzugehen, berichtete ein ebenfalls hochrangiger Polizist als Zeuge im Prozeß gegen eine Studentin. „Warum wird hier nicht eingegriffen“, habe sich Piestert erbost, als die um den Gelöbnisplatz stehenden Einsatzbereitschaften bei den „Mörder! Mörder!“-Rufen keinerlei Reaktion zeigten.
Vor Gericht mußte sich gestern die 21jährige Studentin Eva W. verantworten. Es ist das erste Verfahren in Berlin wegen Beleidigung von Bundeswehrsoldaten als „Mörder“, nachdem das Bundesverfassungsgerichts 1994 den Aufkleber mit dem Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ als eine zulässige Meinungsäußerung bezeichnet hat. Die Staatsanwaltschaft wirft Eva W. vor, trotz zahlreicher Kontrollen bis zur letzten Absperrung am Schloßplatz vorgedrungen zu sein. Dort soll sie mit „Mörder“-Rufen die Zeremonie gestört haben.
Hauptbelastungszeuge ist Polizeidirektor Michael Knape – der sich seinerseits an der Festnahme beteiligte. Als Rechtsberater von Landesschutzpolizeidirektor Piestert hatte er sich eigenen Angaben zufolge mit zwei Oberstaatsanwälten ausgiebig auf das Demo- Großereignis vorbereitet. Als dann die „Mörder“-Rufe die feierliche Stille durchschnitten und die behelmten Mannen „passiv“ blieben, tat es Knape seinem Chef Piestert nach, sprang über die Absperrung und packte Eva W. Er habe die Frau in einem „szenetypischen, schlabbernden, wabbeligen Kleid“ schon längere Zeit als Störerin im Visier gehabt, sagte er. Daß die Festgenommene auf einem Foto in Rock und T-Shirt zu sehen ist, tat er mit den Worten ab: Als Mann könne man so etwas nicht unterscheiden.
Der Zeuge Knape war sich sicher, daß er die Studentin allein festgenommen hat. Piestert habe ihn nicht unterstützt. Nachdem er die Frau anderen Beamten übergeben habe, habe er seinen Chef „besorgt“ gesucht, schließlich sei die Situation für zwei allein auf weiter Flur agierende Beamte nicht ganz ungefährlich gewesen. Das sei ihm aber erst später klargeworden. Nach Angaben von Verteidiger Sven Lindemann steht Knapes Aussage im Widerspruch zu vier anderen Polizeizeugen. Diese hätten bei ihren früheren Vernehmungen bekundet, Piestert und Knape hätten die Festnahme zusammen getätigt. Lindemann will dazu auch den Landesschutzpolizeidirektor selbst als Zeugen hören. An sich dürfen ranghohe Polizisten wie Gernot Piestert und Michael Knape gar keine Festnahmen qua Amt machen. Sie sind dazu einzig als Privatleute nach dem sogenannten Jedermannsrecht befugt, das in der Strafprozeßordnung geregelt ist.
Der Prozeß wurde auf unbestimmte Zeit vertagt. Plutonia Plarre
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