: "Am besten 'ne Kurpackung"
■ Bommi Baumann, Ex-"Umherschweifender Haschrebell", über Subkultur-Rauschgiftfreaks von Berlin, Goa und anderswo
taz: Kannst du dich noch an den ersten Junkie erinnern, der dir begegnet ist?
Bommi Baumann: Unser Hausarzt war Junkie. Der alte Doktor Daumspeck. Ist mir als Kind schon immer aufgefallen. Der war anders wie der Rest. War einfach ruhiger und freundlicher als die ganzen anderen Erwachsenen. Ein hochgebildeter Mann. Der hat in den 70er Jahren Selbstmord gemacht und hat dann wirklich einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem stand: Er nimmt das sein ganzes Leben, und er zieht sich das jetzt nicht rein, in die Illegalität gedrängt zu werden.
Ihr habt ja die erste deutsche Drogensubkultur begründet.
Berlin war für uns Anfang der 60er Jahre kulturell tote Hose. Hier gab's nichts. Hättest wahnsinnig werden können. Das war wirklich tödlich.
Am Anfang, so ab 64, gab es also einen Trupp von Leuten, die immer an der Gedächtniskirche herumhingen und lange Haare hatten und sich diese ganze amerikanische Kultur angeeignet hatten. Da waren auch Leute darunter, die kannten die Beatles noch persönlich. Shorty, der beim „2. Juni“ war, der kannte die noch persönlich. Die sind dann immer nach Hamburg gefahren und haben sich da die Bands angesehen, weil hier in Berlin so gut wie gar nichts gespielt hat. Fremde Bands schon gar nicht. Ja gut, Jacky and the Strangers, die gibt's ja heute noch.
Wir hatten Rhythm 'n' Blues gehört und diese ganzen Bücher gelesen: Burroughs, Kerouac, Huxley. Aber wie man an Drogen rankommt, wußte keiner.
Die Leute nahmen also das, was heute wieder alle nehmen: Speed. Das hast du alles in der Apotheke gekriegt – Captagon und so 'ne Scheiße. Der Arzt hat noch gesagt: „Na, lassen Sie sich doch gleich 'ne Kurpackung verschreiben. Da müssen Sie nicht so oft kommen.“ Bis 1967 konntest du das haben wie Smarties. Diese ganzen Opiate: Polamydon, Pantopon-Tabletten, Morphiumampullen, synthetisches Morphin. Du hast gesagt: „Ich brauch 'n Kasten Morphin.“ Da haben die gesagt: „Bitte schön.“
Dann gab es auch noch Hustentabletten. So 'ne Mixtur zwischen Speed und Morphin. Romilar war am beliebtesten. Da war alles drin. Wenn du 20 Stück auf einmal genommen hast, hat das wirklich LSD-Wirkung gehabt. Wir haben Röhrchen geschluckt und sind übern Ku'damm spazieren gegangen. Dann wurde das immer bunter. Das hat ja am Anfang gar keiner mitgekriegt, was wir da treiben.
Haschisch dagegen war exotisch. In die Dicke Wirtin kamen 66 die ersten aus Indien oder Persien, Marokko oder der Türkei zurück. Die hatten Haschisch dabei und Rohopium. Wir haben dann auch Leutchen gehabt, die sind in die Schweiz gefahren und haben Lysergsäure geholt, und wir haben das Zeug dann selber hergestellt. LSD ist ja erst später zur Droge geworden. Damals war das noch 'ne irgendwie geartete Medizin.
Den Titel „Umherschweifende Haschrebellen“ haben viele als Lebensprogramm verstanden?
Du brauchtest nur ein Stück Haschisch und das, was du auf dem Leib hast, und ziehst dann von Wohnung zu Wohnung. Alles andere ist Dekadenz. Selbst wer eine eigene Wohnung hat, kann sich ja schon Adenauer nennen. Manchmal bist du dann in Zehlendorf in irgendwelchen Villen gelandet, wo die Eltern gerade drei Wochen weg waren. Da hat man gefeiert. Später sah das aus – rauchende Trümmer! Nur die Grundmauern standen noch. Der Typ, der da wohnte, hat dann das Geld von den Eltern genommen und ist nach Indien.
Im Sommer 69 gab es ja auch noch wirkliche Experimentalkneipen: das Unergründliche Obdach für Reisende, wo oft endlose Gitarrensoli liefen; das Silver Apple, das Zodiac – am Halleschen Ufer – und solche Sachen.
Es gab auch Arbeiterkids, die übers Rauchen zum bewaffneten Kampf kamen, und „militante Panthertanten“, die sich überlegt hatten, Heintje zu entführen. Ihn dann zu vergewaltigen und mit Drogen vollzustopfen und dann wieder freizulassen. Das war lange Zeit so eine Idee.
Wie sollten Drogen im revolutionären Kampf eingesetzt werden?
Ich geb' dir mal ein Beispiel: Ende 68 oder Anfang 69 gab es im Asta der TU das letzte Treffen, wo es um gemeinsame Strategien gehen sollte. Die Subkulturfraktion, also das, was so in den Kommunen saß, war mit 60, 70 Leuten gekommen. Und dazu dann diese Politfraktion, also die späteren K-Gruppen und diese ganzen Herrschaften. Und da hat Abi Fichter – ein Bruder von Tilmann Fichter, dem Schulungsleiter der SPD und später auch beim „2. Juni“ – einen Vortrag gehalten.
Er wollte erklären, warum Leute Rauschgift nehmen sollten, und daß das, was die da mit ihrer Politik machen, Irrsinn ist. Er hat also erzählt, daß er heute früh auf einem Trip in so einen Tante-Emma-Laden gegangen ist. Und da hat er gesagt: „Ne Flasche Apfelsaft.“ Dann hat er die Flasche Apfelsaft genommen und aufgemacht, einen Schluck getrunken und hat der Frau am Ladentisch gesagt: „Trinken Sie doch ruhig mal einen Schluck!“
Und beinahe hätte die Frau also von der Flasche getrunken. Das hat jetzt also das Zwischenmenschliche erweitert. Kraft des LSD hätte er sie fast überzeugt, sich einfach wie ein normaler Mensch zu verhalten. Also diese Frau, die solche Penner mit langen Haaren sonst ablehnt, trinkt beinahe aus der Flasche. Und er versuchte zu erklären, daß das fast der Sieg der Revolution gewesen wäre. Heute früh in diesem Laden.
Er hat bestimmt 'ne Stunde gebraucht, das zu schildern. War ja immer noch auf Trip. Erst war atemlose Stille, alle haben den angestarrt und gedacht: Was erzählt der denn? Doch er hätte die Leute fast überzeugt. Wahnsinnsvortrag. Hast du richtig gesehen, wie jeder jetzt über dies Problem nachdachte.
Das war das letzte Mal, daß diese Leute zusammensaßen. Und alle waren hilflos: diese nüchternen Politleute und diese ganzen Subkultur-Rauschgiftfreaks.
Abi hatte ja letztendlich auch recht, wenn man ganz ehrlich ist. Wenn alle Leute vollkommen natürlich miteinander klarkommen – das wäre ja die perfekte Gesellschaft. Alles andere, was dann kommt, regelt sich ja von selbst.
Es gab ja auch regelrechte Rauschgiftkommunen?
Da waren ja auch ganz obskure Leute dabei. Zum Beispiel diese „Horla-Kommune“ aus Köln. Die kamen bei uns mal mit 20 Leuten vorbei und haben dann zwei Monate im Keller gehaust. Alle total verdreckt, verfilzte Haare, in Fell gekleidet – wie die Neandertaler. Die waren schon ziemlich radikal. Haben den ganzen Tag getrommelt und Rauschgift genommen. Oder diese spätere Teufelsbergszene. Die haben beim Grunewaldsee rumgehangen; da, wo jahrzehntelang immer die Selbstmörder hingegangen sind. Die lebten in Zelten und haben so Esoterik, Satanismus, Richtung Nazis gemacht.
Meistens waren das Typen. Die haben so auf Germenanentum gemacht: Wald, Schamanen, Drogen und Kreise aus Steinen mit Runen und Hakenkreuzen. Beschwörungsformeln auf altnordisch und Feuer angemacht und Amulette in dem Feuer geschmiedet und da dann Runen reingeritzt. Und dabei natürlich ununterbrochen Haschisch geraucht. Wie die Wahnsinnigen. So eine Art Esoterikfaschismus mit Drogen. Die kamen auch immer zu Wolfi Neuss, und Wolfi ging auch oft zu denen. Hat dann gesagt: Laß uns mal hingehen zu den Jungs, einen rauchen. Rio Reiser hat die auch unterstützt. Der hat sich von denen Amulette machen lassen und denen Geld dafür gegeben.
Irgendwie haben die aber auch zur Bewegung gehört. Hat keiner gesagt: „Habt ihr nicht 'ne Meise mit eurer Nazischeiße!“ Wolfi ja sowieso nicht. Der war ja schon sooo liberal. Hauptsache, sie haben Haschisch geraucht, dann waren sie schon in Ordnung. Über diese Grunewald-Clique liefen dann die ersten Körnerläden und so was. Die haben auch diesen ganzen Esoterikirrsinn angeschoben.
Viele von denen hatten ja SS- Väter und waren alle von zu Hause rausgeflogen – das war Ehrensache. Da hat man dann gesagt: „Leck mich am Arsch, du Nazischwein.“ Logisch. Diese Ablehnung der Generation der Väter war ja Konsens.
Mit einigen Vätern, wie Rudolf Gelpke, hattet ihr euch aber auch verbündet.
Irgendeiner von uns hatte mal einen Drogenprozeß, und da haben sie den als Gutachter geladen. Der war ja einer der ersten, die bei diesen LSD-Testreihen von Hoffmann mitgemacht hatten. Und der hatte dieses dreibändige Standardwerk geschrieben: „Rauschmittel im Orient und Okzident“ und war sozusagen wissenschaftlich fundiert dafür.
Er meinte, der Westen sei eine einseitig auf Alkohol fixierte Kultur, also alles vollkommen verklemmte, schwachsinnige, einseitige Idioten, die lieber mal Drogen nehmen sollten. Der war von uns begeistert, und wir waren von dem begeistert.
Ende 68 tauchte der in Berlin auf und verteilte wahllos Drogen an die Leute. Dem durftest du nicht in die Hände fallen. Der hatte immer so ein Vertreterköfferchen mit allen möglichen Drogen dabei und hatte immer gesagt: „jetzt nimm mal“ und „die Dämonen müssen sich von der Kette reißen“. So ein richtig wertekonservativer Abendländer war das, auch wenn er zum Islam übergetreten war.
Wir trafen uns an einem Punkt mit ihm: der Dritte-Welt-Theorie. Daß die Dritte Welt das eigentliche revolutionäre Potential ist. Dann war das sicher auch eine männerbündlerische Geschichte. Wo der uns alle gesehen hat – also Jungs, die echt militant werden und gar keine Schranken mehr kennen; da war der hellauf begeistert. Da hat er in uns diese Fedayin vom „Alten Mann vom Berg“ gesehen. Der hat mir auch geholfen, den Orient anders zu begreifen.
An sich hab' ich dem Mann 'ne Menge zu verdanken. Auch wenn der nicht linksradikal war. Gelpke starb dann an einem Gehirnschlag vom Opium an dem Tag, an dem er von dem Tod von Georg von Rauch gehört hatte. Hat noch telefoniert mit seinem Bruder, der ihm erzählte, daß da dieser hübsche nette Junge erschossen worden ist, und ist dann in Zürich in so einem Hoteleingang umgefallen und tot gewesen.
Wie unterscheidet sich der Drogenkonsum in Europa und Asien?
Bei uns sind Drogen ja paranoid besetzt. Das ist ja schon dieses Kichern, wenn Leute Hasch rauchen. Die ersten Minuten, wo du merkst, das Zeug hebt dich aus der dir bekannten Welt raus. Das ist ja 'ne komplette Verunsicherung. Also: Die anderen sind nicht so drauf, und du kommst jetzt mit denen nicht mehr klar. Du hast dich ja in dem Moment zum Outcast in der Gesellschaft gemacht.
In Asien ist das anders. Da weiß jeder, was jetzt mit dir los ist, wenn du da völlig stoned rumrennst. Da brauchst du dich nicht tarnen, und da kannst du dich auch nicht tarnen. Alle wisssen: „Ha ha, der gute Mann ist nicht mehr so ganz da.“ Da taucht ja nicht dieses Moment der Entfremdung auf, das einen auf die paranoide Schiene führt. Aber hier hast du ja 'ne komplette Separation. Nur wenn du besoffen bist: Das ist allen verständlich, damit kommen sie klar, aber darüber hinaus eben nicht.
Ich hab' ja in Bombay in diesen klassischen Opiumhöhlen gewohnt. Die kannten mich da schon alle. Hab' da meine Matte ausgerollt, mich in eine Ecke gelegt und gesagt: „Tach, da sind wir wieder.“ Für 'ne Mark am Tag warst du da stoned. Mit zwei, drei Dollar bist du 'ne Woche ausgekommen. Da bist du frühmorgens aufgestanden. Hast zwei, drei Pfeifen geraucht. Dann sind wir frühstücken gegangen in Ruhe und was gegessen und gequatscht, Zeitung gelesen – also ganz normal den Tag angefangen.
Vor allem alte Männer saßen in den Opiumhäusern. Die hatten ja auch noch 'ne gewisse Disziplin. Und mit denen hast du über alles gequatscht, und die haben dir dann erklärt, wie das alles bei ihnen funktioniert. Du hast im Basar von Bombay über den Dächern gehangen und mit den alten Männern gesessen, und die Welt war vollkommen in Ordnung. Frühmorgens ist der Polizist gekommen, hat wortlos die Hand aufgehalten und ein paar Rupien gekriegt. Dann ist der wieder gegangen. Das war alles sehr geordnet: Einer kaufte das Zeug ein, der nächste saß dann da und machte die Pfeifen. Das ist 'ne Kunst. Das gibt richtig welche, die können gar nichts anderes. Das ist deren Beruf. So was gibt es ja inzwischen nicht mehr. Der Opiumraucher ist ja inzwischen eine ausgestorbene Spezies.
Ihr wart auch oft in Goa?
Klar. Am Anfang waren sie da ja immer nur am Haschischrauchen. Zum Schluß haben sie zu 80 Prozent Heroin genommen und sich untereinander beschissen. Das Übliche eben. Nur auf einem gehobenen Niveau. Da wurde nur ganz minimal gestreckt, aber es wurde gestreckt. Alles natürlich noch mit diesem „Hi, Brother, Peace“ und „Love“. Aber du hast schon gemerkt, das wird immer linker.
Anfang der 70er waren das ja wirklich leere Strände. Da hatte jeder seine Hütte irgendwo. Von Strand zu Strand war die Szenerie anders. Da waren auch ein paar Touristen dabei und die Hardcorehippiefraktion, und weiter hinten, Richtung Whagator, wurde es schon inter- und außergalaktisch. Da saßen Herrschaften, die hatten sich in neue Dimensionen hochbewegt. Da war dann schon richtig schön Feierabend. Solche Leute siehst du hier in keiner Klapsmühle. Schon damals angezogen wie indische Sadhus und Rastalocken und Silbersternchen im Gesicht. Haben auch einen Unfug erzählt – da hast du kein Wort mehr von verstanden, ob der nun aus Köln kam oder Seattle. Das war so der harte Kern des Drogenkonsums. Haschraucher, die wirklich ununterbrochen geraucht haben. Die haben Kilos neben sich liegen gehabt. Ununterbrochen haben die in Dampfwolken gehockt und vor sich hingeschrien. Die waren natürlich nicht mehr ansprechbar. Richtig schön weggewesen.
Gab auch welche, die ununterbrochen Trips geschluckt haben. Die waren richtig durchgeknallt. Manche sind dann auch ins Meer hinausgeschwommen und dann zwei, drei Tage später als Leiche zurückgekommen. Die Schrägsten waren die Deutschen.
Goa ist ja christlich. Ein Paradies von Barock und Rokokokirchen. Einmal hatte ich da frühmorgens einen nackten Deutschen stehen gesehen. Der hatte gerade die Kirche kurz und klein geschlagen. Bestimmt Ministrant aus dem Münsterland oder so. Da haben uns die Inder angehalten und gesagt: „Nehmt den mal mit. Wenn die Polizei kommt, dann bringen die den ins Gefängnis oder in die Irrenanstalt.“ Das waren dieselben Leute, deren Kirche er gerade kaputtgeschlagen hat. Das mach mal in Bayern; die würden dich totschlagen; die rotten dich aus. Ist denen doch scheißegal.
Der war also völlig durchgeknallt. Den haben wir dann zu Madame de Sousa gebracht, einer Kräuterhexe, die sich um alle Ausgeflippten kümmerte. Und die hat ihn dann mit Kräutertrunk langsam wieder runtergebracht.
Es gab auch welche, die sind mit den Sadhus losgezogen. Das sind dann noch die Glücklichen gewesen. Die Sadhus haben ja ihre Psyche völlig im Griff. Das sind ja keine Dropouts; die werden ja akzeptiert von der indischen Gesellschaft, auch wenn manche ein Gelübde gemacht haben, daß sie alle zwei Stunden rauchen müssen. In Europa gibt es ein Vakuum auf dem Gebiet. Deshalb gibt es auch diesen ganzen Esoterikirrsinn.
Hast du manchmal Lust gehabt, auch richtig auszuflippen?
Ging ja nicht. Wir hatten ja noch das Problem, das wir gesucht worden sind. Wir mußten immer noch darauf achten: Zu sehr darfst du dich nicht entfernen. Es gibt noch eine Realität, und die ist ganz kraß gegen dich. Das war ja noch in den 70er Jahren. Wenn sie mich gekriegt hätten, wäre ich nicht so schnell wieder rausgekommen. Und so achtest du schon darauf, daß du einen gewissen Zugang zur Realität hältst und eine gewisse Disziplin. So irre das klingt – das hält dich zusammen, so was. Manchmal hat mich das auch gestört. Hab' ich gesagt: Wenn ich jetzt nicht so verlangt wäre, könnte ich ja jetzt ausflippen wie all die anderen Idioten. Und das konnte ich mir eben nicht leisten. Ich konnte mir ja nicht mal leisten, schwarzzufahren.
Die meiste Zeit hast du Opiate genommen und gekifft?
Ich habe Jahrzehnte keinen Alkohol angerührt. Ich hab' Opiate genommen und Haschisch geraucht. Haschisch hab' ich nachher von selber sein lassen. Das hat nur noch gestört. Ich zieh' an irgendeinem Joint, und dann werden meine Gedanken völlig sprunghaft. Ich kann mich keine zehn Sekunden mehr auf irgendein Thema konzentrieren. Das schießt mir nur noch wirr durch die Birne. Ich kann keinem Gespräch mehr zuhören – nichts.
Wie war es, als du aus dem Knast rausgekommen bist?
Da bin ich richtig abgestürzt. Zum Schluß hab' ich ja noch Unmengen an Schnaps getrunken, weil das Heroin nicht mehr törnte. Nach 25 Jahren merkst du die Scheiße gar nicht mehr. Du mußt also irgendwas dazu nehmen. Dann fängst du an, Alkohol zu trinken. Und dann bist du irgendwann beides: Junkie und Alkoholiker. Da kenn' ich auch ein paar von den alten – drei Flaschen Schnaps am Tag und grammweise Heroin. Wo du dann frühmorgens auch gar nicht mehr weißt: Was nehm' ich jetzt zuerst? Erst den Alkohol oder erst das Heroin? Also erst mal einen Schluck Alkohol. Den kotzt du gleich wieder aus, dann noch ein Schluck Alkohol – kotzt du auch aus. Der dritte Schluck Alkohol bleibt dann drin. Dann schnell Heroin nehmen. – Wir reden von frühmorgens. Bevor du 'ne Toilette siehst. – Und dann nimmst du einen ordentlichen Hieb Heroin, dann noch 'n Schluck Alkohol. Und dann in diesem Dusel, der sich da entspannt, da kippst du jetzt wahllos alles rauf, und dann gehst du auf Toilette. Das ist nur noch die Hölle. Kann mir keiner erzählen, daß das gesund ist.
Letzen Endes sind Drogen ein Luxus, den du schwer bezahlen kannst. Der Körper ist nicht ewig belastbar. Meine Leber und meine Bauchspeicheldrüse machen inzwischen nicht mehr mit. Ist nicht mehr dasselbe wie vor 30 Jahren. Also Rumspringen den lieben langen Tag und Techno tanzen geht nicht mehr.
Vor knapp vier Jahren mußte ich dann einen Schnitt machen. Da hab' ich frühmorgens einfach die Feuerwehr angerufen. Die haben mich dann ins Urban-Krankenhaus gefahren. Und da kommt dann einer an und fragt: „Haben Sie eine Übernahme?“ – „Wat hab' ich?“ – „Sie müssen doch eine Kostenübernahme haben!“ – „Was für 'n Ding hab' ich?“ Du wirst lachen; ich hatte ja sogar noch einen Krankenschein dabei. „Das reicht doch nicht. Sie brauchen doch eine Kostenübernahme!“ – „Ja bist du noch normal, du Idiot!“ Gott sei Dank war da noch meine Freundin dabei. Die hat den dann angeschrien. Und dann haben die mir überhaupt erst mal einen Platz besorgt. Das mußt du dir mal vorstellen. Ist ja nicht so, daß du jetzt sagst: Ich hör' jetzt mal auf, und dann machst du das. Die einzigen, die das machen, sind Synanon. Daß sie dann auch noch mit dem Nichtrauchen kommen, überfordert natürlich die Leute ganz kraß. Aber daß sie das so machen: Nun setz dich mal hin und mach einfach mit, das finde ich gut. Die haben schon manchen Leuten das Leben gerettet.
Die reden immer von Therapien, aber da sollen sie dann auch einen ungehinderten Zugang schaffen. Wer entziehen will, der muß da auch die Möglichkeit zu haben. Und die haben ja meist kein Papier mehr, haben kein Geld. Ist doch alles bekannt. Kannst doch nicht von denen verlangen, daß die genauso ausstaffiert sind wie ein normaler Bürger. Wie viele haben sich dann gesagt: Leck mich am Arsch, da geh' ich wieder drücken. Was willste auch machen? Wenn ich da im Urban-Krankenhaus nicht laut geworden wäre – die hätten mich wieder nach Hause geschickt.
Was hältst du von der Diskussion, Haschisch freizugeben?
Also paß mal auf: Wer Haschisch rauchen will, der raucht's, und das kannst du auch hier im Garten anbauen. Das ist doch 'ne Scheindiskussion, die da geführt wird. Wenn Mercedes sagt, sie brauchen Hanfanbau, weil sie diesen Hanf in ihre Autopolster packen wollen, weil das besser und billiger ist für sie, na dann wird die Scheiße doch sowieso angebaut. Was soll also der ganze Firlefanz? Und wenn da draußen Tausende Hektar Hanffelder rumstehen, wie willst du da noch ein Verbot durchsetzen? Die Diskussion ist doch abgeschlossen. Und ob jemand Bier trinkt oder Haschisch raucht – na gut. Von Bier wird er dicker; von Haschisch wird er auf lange Zeit gesehen etwas eigenartig. Viele, die die ganze Zeit auch nur geraucht haben – die sind wirklich leicht verduddelt. Sagen wir das mal so. So leicht daneben. So den direkten Zugriff haben die doch nicht mehr so ganz.
Oder diese ganzen Leute, die damals Trips gefressen haben, als sie 14, 15 waren. Da sind doch die meisten für den Rest ihres Lebens geschädigt. Ganz wenige, die noch irgend so ein Künstlermilieu gefunden haben, wo sie noch 'n paar Mark gemacht haben.
Wir haben früher bei den „Haschrebellen“ gesagt: Wenn die Leute Drogen nehmen, sind sie für die Konsumgesellschaft nicht mehr einsetzbar. Als ob es heute noch darauf ankommen würde, diesen ganzen Sozialschrott heranzuzüchten. Hier sind fünf Millionen Arbeitslose. Jetzt mußt du dich doch nicht noch hinsetzen und mit irgendwelchen Drogen präparieren, damit du nicht mehr in diese Gesellschaft paßt. Das hat sich ja radikal gewandelt. Also: „Opium, Haschisch, Meskalin für ein freies Westberlin“ würde ich heute nicht mehr uneingeschränkt verkünden. Schönen Dank! Wenn ich die ganzen Gestalten am Bahnhof Zoo oder am Kotti sehe – na schönen Dank auch!
Also, ich hab' mal nachgerechnet: Im Laufe meines Lebens muß ich gute anderthalb Millionen für Drogen ausgegeben haben. Hab' mich dann auch mit dem Dicken unterhalten. Der war auch „2. Juni“ – Junkie und alles. Anderthalb Millionen für Drogen in 25 bis 30 Jahren! Jetzt überleg mal, was da zusammenkommt bei geschätzten 10.000 Junkies in der Stadt. Wenn da jeder nur ein Gramm am Tag braucht, sind das zehn Kilo am Tag, die hier verkauft werden.
Was soll man mit den Junkies machen?
Ich selber bin ja eigentlich gegen die Programme mit Ersatzstoffen. Methadon stoppt ja nicht den physischen und psychischen Verelendungsprozeß der Junkies. Wenn man vom einzelnen ausgeht, müßte man also alles daransetzen, daß die Leute wirklich clean werden – also keine Ersatzstoffe. In jedem Fall müssen die Zugangsmöglichkeiten zu Therapien verbessert werden. Das wird ja durch die Seehofer-Gesetze eher erschwert.
Wenn man allerdings von der Gesellschaft ausgeht, muß man wohl eine Freigabe machen, um den Markt auszutrocknen. Sonst haben wir irgendwann eine Narkokratie und keine Demokratie mehr. Machen wir also eine Freigabe. Alle Junkies werden registriert und so weiter. Aber: kein Wahlrecht, keinen Führerschein, keine Geschäftsfähigkeit für Junkies. Diese drei Punkte müssen erfüllt werden. Und danach die Strafen für Heroinhändler hoch. Heroinhandel ist ja der einfachste Weg, in dieser Gesellschaft zu Geld zu kommen. Diese unglaublichen Summen, die da angehäuft werden, dienen ja dazu, die Gesellschaft zu unterwandern und kaputtzumachen. Das muß verhindert werden. Dann müßtest du noch die ganzen Geldwäschegesetze ändern. Was sich nicht machen läßt, solange es die FDP noch gibt. Aber so, wie's jetzt läuft, wirst du der ganzen Sache nicht mehr Herr.
Was ist so aus deinen alten Genossen geworden?
Sind weniger wie zehn, die noch leben von denen, die damals angefangen haben. Die hat wirklich die Droge früher oder später alle geholt. Nun gut: Zwei oder drei haben Selbstmord gemacht, viere, fünfe sind beim Verkehrsunfall gestorben. Aber das ist wie bei den zehn kleinen Negerlein. Und wir sind alle um die 50 rum. Das ist ja nicht so das Durchschnittsalter, wo man stirbt. Eigentlich sterben die Leute ja mit 70 inzwischen. Protokoll: Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen