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Ist innere Sicherheit begrünbar?

Die GAL will sich dem Voscherau-Knackpunkt innere Sicherheit stellen: Mehr Polizei, sauberere S-Bahnen, Dealer dulden  ■ Von Silke Mertins

Die grüne Parteispitze rutscht auf ihren Stühlen hin und her. Eigentlich wollte sie gestern im Hintergrundgespräch mit handverlesenen JournalistInnen über Bürgernähe und Arbeitsmarktpolitik reden. Doch die VertreterInnen der Öffentlichkeit interessierte nur eins: Innere Sicherheit.

Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) hatte am Freitag die Kriminalitätsbekämpfung zum Knackpunkt für Koalitionsverhandlungen erklärt. Ex-Innensenator Werner Hackmann (SPD) hat der Innenbehörde vorgeschlagen, private Sicherheitsdienste – zum Beispiel die ASD, deren Geschäftsführer er ist – vor Läden für Ordnung sorgen zu lassen. Und der Chef der Bahn-AG, Heinz Dürr, verlangte vorgestern, die Drogenszene vor dem Hauptbahnhof selbst vertreiben zu dürfen.

„Ich hätte nichts dagegen, die Situation am Hauptbahnhof abzustellen“, will GAL-Spitzenkandidatin Krista Sager nicht den Verdacht aufkommen lassen, sie nähme diejenigen, die den Gang durch die offene Drogenszene als Spießrutenlauf empfinden, nicht ernst. „Die Frage ist nur, an welchem anderen Ort fänden wir die Drogenszene akzeptabel?“Fraktionschef Willfried Maier glaubt indes, man dürfe den BürgerInnen „nicht den Gefallen tun, das Elend am Haupbahnhof zu verbergen“. Parteisprecherin Antje Radcke erinnert an wachsende Armut als Ursache für Kriminalität, Gewalt und Sucht.

Grüne Hilflosigkeit? „Voscherau ist auch hilflos“, entgegnet Sager. Seine Forderungen nach schärferen Gesetzen seien absurde Luftblasen. Hackmanns Vorschlag, Sicherheit und Bettlerfreiheit auf Gehwegen vor Geschäften zu privatisieren, gar „ein Traditionsbruch der SPD“. Das sei, erhitzt sich Maier, „als ob man jemandem verbietet, an einer bestimmten Stelle zu atmen“. Die GAL sei „strikt gegen eine Privatisierung der Sicherheit“. Wenn es „eine europäische Überlieferung gibt, dann die der öffentlichen Stadt“.

„Ich bin auch nicht dafür, daß jemand die S-Bahn vollstrüllt“, bekennt Sager. Bahn-Chef Dürr sei dafür verantwortlich, „daß die S-Bahnen verkommen“. Der solle erst einmal auf den eigenen Gleisen kehren, statt die Drogenszene aufzuräumen. Dreck habe die „Sittenverrohung“im öffentlichen Nahverkehr verschuldet, nicht der Mangel an Gesetzen.

So weit, so leicht. Doch was will die GAL Voscherau-Äußerungen wie der, daß Ausländer „die Knäste verstopfen“und den „deutschen Steuerzahler“belasten, entgegenhalten? Ist das Thema innere Sicherheit überhaupt begrünbar? „Wir sind eine liberale Partei, wir halten nicht so schrecklich viel von Repressionen“, sagt Maier. Man setze auf langfristige Konzepte. Und bis dahin? Die Antwort mag erstaunen: mehr Polizei. Die „höhere Personaldichte“könne man erreichen, wenn die Ordnungshüter von „minderschweren Problemen“wie Ladendiebstählen und Verkehrsunfällen entlastet würden. Sprich: diese Aufgaben auf private Sicherheitsdienste überträgt.

Außerdem müsse es eine „ganz andere Drogenpolitik geben“, etwa Fixerräume oder ein Heroin-Projekt. Forderungen, die mit denen der SPD identisch sind. Im „gewissen Umfang“, so Maier, müsse außerdem „Dealen akzeptiert“werden. Das sei am Haupbahnhof aber „faktisch“ohnehin der Fall.

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