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Dem Polizeihund ausgeliefert

■ Polizei hetzte Hund auf einen Vietnamesen, der sich mit befreundeten Zigarettenhändlern unterhielt. Übergriffe durch Polizeibeamte sind seltener geworden

Ngoc Que Hoang wollte in Berlin noch ein paar Bekannte treffen. Zwei standen am U-Bahnhof Samariterstraße im Bezirk Friedrichshain und verkauften Zigaretten. Kaum hatte der Vietnamese sie begrüßt, türmten die Bekannten. Zwei Zivilpolizisten waren auf die Vietnamesen zugekommen. Ngoc, der sich als abgelehnter Asylbewerber nur in Guben aufhalten dürfte, wollte ebenfalls weglaufen. Doch ein Polizeihund faßte ihn.

Obwohl die Polizisten nach Schätzungen des Vietnamesen nur etwa acht Meter von ihm entfernt standen, riefen sie das Tier nicht zurück. Viermal biß der Hund zu. Der Vietnamese schätzt, ihm etwa drei Minuten lang ausgeliefert gewesen zu sein.

Dann hätten die Polizisten ihn gegen das U-Bahn-Geländer gedrückt und durchsucht. Sie fanden ein Portemonnaie mit 54 Mark darin und Papiere. Die Polizisten suchten die Umgebung ab und fanden die Zigaretten, die die Verkäufer zurückgelassen hatten. Die ordneten sie Ngoc zu.

Mit dem Auto ging es zur Polizeidienststelle Wedekindstraße. Weil Ngoc vor Schmerzen stöhnte und kaum aus dem Auto steigen konnte, stießen ihn die Polizisten in die Dienststelle. Sie beschimpften ihn und drückten ihm die Kehle zu, erinnert er sich. Erst als andere Beamte hinzukamen, fühlte sich Ngoc wieder wie ein Mensch behandelt. Noch eine weitere Stunde mußte er allein in einem Zimmer sitzen, bevor ein Arzt gerufen wurde. Gegen Ngoc wird wegen illegalen Zigarettenhandels ermittelt. Die 54 Mark nahm man ihm ab.

Jetzt wehrt sich Ngoc mit Hilfe der Beratungsstelle „Reistrommel“ gegen die Behandlung durch die Polizei. Francine Jobatey, die Sprecherin des Innensenators, bestätigte den Polizeieinsatz „im Rahmen eines Strafverfahrens wegen illegalen Zigarettenhandels“ und den „Einsatz eines Hundes“. Ob der „rechtmäßig und ratsam“ gewesen sei, sei noch nicht geprüft. Aber immerhin habe die ärztliche Untersuchung doch „keine Schäden durch den Hundebiß“ offenbart. Dazu Tamara Hentschel von der „Reistrommel“: „Ich weiß nicht, ob Schmerzen keine Schäden sind. Abgesehen davon fühlte Ngoc seine Würde verletzt.“ Den Zigarettenverkauf hält Tamara Hentschel für noch nicht erwiesen. Ngoc hätte angegeben, mit den Verkäufern lediglich schon mal ein Schwätzchen gehalten zu haben.

Vor drei Jahren sorgten Gedächtnisprotokolle von Vietnamesen, die von der Polizei mißhandelt worden waren, für Schlagzeilen. Seit die Vorfälle öffentlich geworden sind, so Hentschel, komme das seltener vor. Aber die stärkere öffentliche Kontrolle ändert nichts daran, daß die rechtliche Situation es den Vietnamesen immer noch nicht ermöglicht, sich zu wehren.

In diesem Jahr kann die „Reistrommel“ bislang drei Fälle dokumentieren, in denen sich Vietnamesen über die Behandlung durch Polizisten beschwerten. Hentschel geht von einer hohen Dunkelziffer aus, denn viele Vietnamesen wenden sich erst gar nicht an Beratungsstellen: Sie leben in einer unverschuldeten Perspektivlosigkeit. Deutschland verweigert ihnen ein Aufenthaltsrecht und Vietnam die Wiedereinreise.

Bettina Grothewohl von der „Bürgerinitiative für ausländische MitbürgerInnen“ in Hohenschönhausen verweist auf einen besonders markanten Fall aus diesem Jahr: Polizisten drangen nachts in das Wohnheimzimmer eines Vietnamesen ein, dem sie vorwarfen, illegale Untermieter zu beherbergen. Der im Schlaf völlig überraschte Mann „verdankt“ dem Polizeieinsatz blaue Flecken und eine aufgeplatzte Lippe. Das Polizeiprotokoll schrieb diese Verletzungen der Zimmertür zu, die der Mann beim Öffnen an den Kopf bekommen hätte. „Das ist aber schon deshalb unsinnig“, so Bettina Grothewohl, „weil die Wohnheimtüren nach außen öffnen.“

Tamara Hentschel hat gar nichts dagegen, daß die Polizei gegen vietnamesische Kriminelle vorgeht. „Aber die Mittel müssen sich im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit bewegen.“ Eine Kontrolle, darüber ist sie sich im klaren, wird immer schwer sein. Solange jedenfalls, wie Vietnamesen, die die Polizei anzeigen, mit einer Gegenanzeige rechnen müssen. Und diejenigen mit befristeten Aufenthaltstiteln oder Grenzübertrittsbescheinigungen könnte das den Aufenthalt in Deutschland kosten.

Auch Trittbrettfahrer nutzen die fehlende Rechtssicherheit aus. So wurden vietnamesischen Zigarettenhändlern im Februar in der Altglienicker Siriusstraße von angeblichen Polizisten Bargeld und Zigaretten abgenommen. Würden sie sich dagegen wehren, müßten sie selbst mit Strafverfolgung rechnen. Marina Mai

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